Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 37. Sitzung / Seite 190

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen zum 10. Punkt der Tagesordnung.

Erster Redner ist Herr Abgeordneter Öllinger. Die Uhr ist auf 5 Minuten gestellt. – Bitte.

21.30

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau D. wurde 1943 aufgrund des nationalsozialistischen Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zwangssterilisiert. 13 Jahre lang – von 1951 bis 1964 – kämpfte sie vergeblich um ihre Anerkennung als Opfer im Sinn des Opferfürsorgegesetzes. Entmutigt forderte sie die BeamtInnen des Wiener Opferfürsorgereferates schließlich auf, ihr Gift für einen Selbstmord zu schicken.

Frau D. war kein Einzelfall. Die im Zuge gesundheitspolitischer Verfolgung durchgeführten Zwangssterilisationen wurden in der Zweiten Republik bis 1995 – Zusatz von mir: bis zur Beschlussfassung über die Einrichtung des Nationalfonds – nicht als solche anerkannt. Die Betroffenen erhielten keinerlei medizinische, finanzielle oder auch moralische Unterstützung zur Bewältigung der Folgen des Zwangseingriffs. – Zitatende.

Das Zitat stammt aus einer Diplomarbeit, die eine sehr engagierte Frau zu dem Thema der NS-Zwangssterilisationen geschrieben hat. Die Arbeit heißt "Verdrängte Überlebende" und beschäftigt sich mit dem Thema der Zwangssterilisationen.

Meine Damen und Herren! Der aktuelle Anlass für diese Debatte ist das, was in den letzten Jahren Gott sei Dank wieder ein öffentliches Thema geworden ist: Die Debatte um die Causa Gross, um jenen Arzt der Mordanstalt Spiegelgrund, der an der Tötung von Hunderten Jugendlichen verantwortlich mitgewirkt hat, und im Zusammenhang mit diesem Prozess, mit diesem eingestellten Prozess, dann auch noch die Chuzpe besessen hat, die Opfer und Medien, die über diesen Prozess berichtet haben, zu klagen.

Eines dieser Opfer ist Johann Gross, er hat ein Buch geschrieben. In diesem Buch, das ich Ihnen sehr empfehlen würde, beschreibt er seine Erfahrungen am Spiegelgrund. Er ist – wie leider nur mehr wenige andere – ein Überlebender vom Spiegelgrund. (Der Redner platziert das Buch "Spiegelgrund" von Johann Gross am Rednerpult.)

Ich habe persönlich mit einigen der Überlebenden gesprochen. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr diese Menschen nach 50 Jahren noch immer um ihre Anerkennung kämpfen.

Ich habe ein sehr persönliches Erlebnis gehabt: Der Herr Gross hat mich eines Abends, als über den Dr. Gross berichtet wurde, angerufen, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass er einer der Überlebenden ist. Er hat mir im Zusammenhang mit diesem Telefongespräch mitgeteilt: Aus mir und meinen Söhnen ist etwas geworden. – Die Stigmatisierung, die ihm als asozialem Jugendlichen umgehängt wurde, und die Asozialität, die bei ihm darin bestanden hat, dass er aus einem schwer kriminellen Erziehungsheim der Nazis mehrmals abgehauen ist und deswegen in den Spiegelgrund eingeliefert wurde, die Stigmatisierung wirkt bei Personen wie Johann Gross, aber auch bei vielen anderen nach.

Ich habe auch mit einem anderen gesprochen. Er hat voriges Jahr um eine Opferfürsorgerente angesucht – ich nenne seinen Namen nicht – und war völlig entsetzt und schockiert, dass ihm im Zusammenhang mit seinem Ansuchen um Opferfürsorgerente jener Akt, mit dem er während der Nazizeit zu einem Asozialen erklärt wurde, der vom Anstaltsleiter Dr. Illing ausgefertigt wurde, vorgehalten wurde. Er hat es als Vorhaltung verstanden, auch wenn es die Beamtin nicht so gemeint hat, weil natürlich zu klären war und in allen solchen Fällen zu klären ist, ob ein Anspruch besteht.

Der Anspruch auf eine Opferfürsorgerente besteht – Herr Abgeordneter Feurstein, ich kann mich an Ihre Rede erinnern – bei diesem Menschen nach wie vor nicht. Nicht nur bei diesem Menschen nicht, sondern auch bei allen nicht, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder einfach deswegen, weil sie "nur" – unter Anführungszeichen – zwangssterilisiert worden sind, nach wie vor jeglichen Opferanspruch vermissen – und nicht nur den Opferanspruch, denn es geht nicht um die Rente, sondern es geht um die Anerkennung von Seiten dieser Republik. Es


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