Herr Bundeskanzler! Was wollen Sie mit Ihrer Unschuldsvermutung? Es ist doch eine Tatsache, dass der Justizminister die strafrechtliche Verfolgung von Abgeordneten zunächst für eine verfolgenswerte Idee hielt und dies erst Wochen später wieder zurückgenommen hat. – Das war der Anlass für den ersten Misstrauensantrag. Auch damals, Herr Bundeskanzler, haben Sie sich auf diese Regierungsbank gesetzt, geschwiegen und durch Ihr Schweigen Ihre Solidarität mit dem Justizminister bekundet.
Der zweite Misstrauensantrag erfolgte nach dem "Weisen"-Bericht. Schüssel schwieg auch dazu. (Abg. Großruck: Er will im Gegensatz zu Ihnen ein Philosoph bleiben!) Später hat sich Schüssel in dem Sinne geäußert: Na ja, der Justizminister lernt noch. – Ja, der Minister lernt vielleicht noch, aber bitte nicht auf unsere Kosten, Herr Bundeskanzler Schüssel!
Und hier das Aktuellste: Der Justizminister hat in seiner Vergangenheit als Parteianwalt der FPÖ nachweislich von den Spitzelaktionen der FPÖ profitiert. Er hat als Abnehmer und Nutznießer dieses sich abzeichnenden illegalen Spitzelrings profitiert – er, der Anwalt Böhmdorfer.
Auf den Vorhalt: "Haben Sie nicht gewusst, was das für Unterlagen sind?" sagte Böhmdorfer erstens "nein" und zweitens: "Das habe ich von meinen Klienten erhalten." – Die Klienten waren Haider, Stadler und wie sie alle heißen, die Spitzenfunktionäre der FPÖ.
Jetzt muss man sich einmal vorstellen, was das für eine Situation in der Justiz herbeiführt, die der Bundeskanzler da zulässt! Das sieht dann etwa so aus: Der berichtspflichtige Staatsanwalt kommt also zu Justizminister Böhmdorfer und sagt: Ich würde gern Rechtsanwalt Böhmdorfer einvernehmen, weil der doch offenbar diese illegal beschafften Unterlagen verwendet hat. – Justizminister Böhmdorfer sagt: Ja, sicher, eine verfolgenswerte Idee. – Der Staatsanwalt fragt Anwalt Böhmdorfer: Na, was haben Sie sich denn damals gedacht? – Rechtsanwalt Böhmdorfer sagt: Dazu sage ich nichts. Ich berufe mich auf meine Verschwiegenheitspflicht. – Der Staatsanwalt kommt zurück und sagt: Herr Justizminister Böhmdorfer, der Rechtsanwalt Böhmdorfer sagt nichts. (Heiterkeit bei den Grünen.) – Ich meine, das ist herzmanovskysch (Abg. Dr. Kostelka: Das ist real!), aber es ist die voraussehbare Realität!
Daraufhin, so kann ich mir vorstellen, sagt Justizminister Böhmdorfer: Na ja, aber der Anwalt Böhmdorfer hat doch gesagt, das habe er von seinen Klienten. Fragen Sie, Herr Staatsanwalt, doch den Klienten Haider, wo er die Unterlagen her hat. (Abg. Öllinger: Der ist "über jeden Verdacht erhaben"!) – Der arme Staatsanwalt muss jetzt einerseits den Klienten Haider befragen, andererseits weiß er, dass derselbe Justizminister, der ihm diesen Rat erteilt hat (Abg. Dr. Krüger: Was Sie da machen, ist zutiefst unseriös! Sie wissen genau, dass er weisungsfrei gestellt wurde!), dass der Justizminister soeben erklärt hat, dass der Landeshauptmann von Kärnten über jeden Verdacht erhaben sei. (Abg. Dr. Krüger: Sie wissen ganz genau, dass der Staatsanwalt weisungsfrei gestellt wurde! Das ist unglaublich!)
Wenn etwas zutiefst unseriös ist, Herr Krüger und Ex-Justizminister, dann das, dass der Justizminister, der amtierende Justizminister dieser Republik, über jemanden – und sei es der Haider (Rufe bei den Freiheitlichen: "der" Haider!) – in einem bevorstehenden Verfahren sagt, er ist über jeden Verdacht erhaben. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Widerspruch bei den Freiheitlichen.) Lesen Sie dazu die Aussendung des Verfassungsrechtlers Heinz Mayer von heute! (Abg. Dr. Krüger: Ich habe bisher geglaubt, dass Sie seriös sind, Herr Klubobmann!) – Das habe ich von Ihnen nie angenommen, Herr Ex-Justizminister Krüger. (Beifall bei den Grünen.)
Herr Bundeskanzler Schüssel! Sie sind persönlich verantwortlich für diese Zustände. Sie tragen die Verantwortung für die Zusammensetzung dieser Bundesregierung, und es kann keine Rede davon sein, dass Sie sich auf Unschuldsvermutungen ausreden können. Ja, die Unschuldsvermutung gilt in Bezug auf strafrechtliche Verfahren, sie gilt auch in Bezug auf Haider, sie gilt auch in Bezug auf Stadler. Das ist alles richtig, zumindest derzeit.
Aber beim Justizminister, dessen Unvereinbarkeiten klar auf dem Tisch liegen, reden wir ja nicht von strafrechtlicher Verantwortung dieser Art, jedenfalls noch nicht. Was ein Anwalt darf in diesem Land, und was er nicht darf, das wird ja wohl noch zu klären sein. Aber derzeit reden wir davon nicht, sondern wir reden von politischer Verantwortung und von den politischen Unverein