sozialdemokratischen Bundeskanzler, nämlich von Dr. Franz Vranitzky, vor der österreichischen und der internationalen Öffentlichkeit artikuliert wurden. Damit wurde ein Paradigmenwechsel in der Debatte über die Vergangenheitsbewältigung und über die Bewertung der Ereignisse zwischen 1938 und 1945 eingeleitet. Ich möchte ausdrücklich meinen Respekt und meine Anerkennung für Dr. Vranitzky zu seinen Erklärungen im Jahre 1991 vor dem Nationalrat und im Jahre 1993 in Israel bekunden. (Beifall bei der SPÖ.)
Ich tue dies vor allem deswegen, weil ich der Auffassung bin, dass wir all das, was wir jetzt tun, nicht in erster Linie machen, um gegenüber der internationalen Öffentlichkeit ein Signal zu setzen. Ich glaube, wir machen das in allererster Linie für uns selbst, denn das Bild, das wir uns von unserer Vergangenheit machen, bestimmt auch unsere politische Gegenwart. Geschichtsbilder haben auch eine Wirkung und eine Wirkungsmacht für die Interpretation der Gegenwart und für die Gestaltung der Zukunft. (Beifall bei der SPÖ.)
Wir gedenken daher jedes Jahr – vor allem am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus – in erster Linie der Opfer. Wir gedenken aber der Opfer nicht nur wegen der Wirkung nach außen, sondern auch um unserer selbst willen, weil wir mit diesem Blick auf die Vergangenheit auch einen Blick auf die Zukunft werfen. Das Wesentliche dabei ist, dass wir in diesem Zusammenhang immer wieder unsere Grundwerte bekräftigen und uns auch dazu bekennen, dass wir an den demokratischen Grundwerten der Zweiten Republik festhalten wollen. (Beifall bei der SPÖ.)
Man braucht eigentlich nie etwas über das "Dritte Reich" und seine Gewalttaten gehört zu haben, um zu wissen, dass man Menschen nicht verfolgen darf, dass man Menschen nicht misshandeln darf, dass man Menschen nicht totschlagen darf. Wir müssen jedoch sogar die Erfahrung machen, dass Menschen, die ein enormes Wissen über die Geschichte des Nationalsozialismus haben, trotzdem Menschen sein können, die zu rechtsextremer Gewalt und auch zu menschenfeindlichen Gesinnungen neigen; das heißt, das Wissen um die Vergangenheit allein verhindert solche Gewalttaten nicht, denn aus dem Wissen allein entsteht weder eine persönliche Moral, noch entstehen daraus ethische Überzeugungen.
Die Erinnerung kann uns allerdings helfen, zu verstehen, und sie kann uns zeigen, was geschieht, wenn die Würde von Menschen von Staats wegen außer Kraft gesetzt wird und die Vernichtung der Würde des Menschen Ziel und Inhalt von Politik ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ethische Überzeugungen sind nie ein für alle Mal gesichert. Sie müssen gelernt und täglich vorgelebt werden. Die Menschenwürde ist nicht erst dann in Gefahr, wenn Häuser angezündet oder Menschen durch die Straßen gehetzt werden. Daher möchte ich ganz deutlich sagen, dass sich – auch wenn wir jetzt in weiten Bereichen bei den materiellen Fragestellungen die Restitutionsangelegenheiten erledigt haben werden, auch wenn es da und dort noch Diskussionen über offene Fragen gibt und offene Fragen auch in Zukunft immer wieder von einzelnen Betroffenen diskutiert werden – die politische Formulierung, die da und dort gewählt wird, dass man mit dieser Lösung nun einen Schlussstrich ziehen könnte und dass das letztendlich eine Wiedergutmachung wäre, nicht durchsetzen darf. Ich möchte als Klubobmann meiner Fraktion deutlich sagen: Für diese Art von Verbrechen gibt es keine Wiedergutmachung, und einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung dieser schrecklichen Taten der Vergangenheit kann es für uns nicht geben! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)
Ich bin der Auffassung, dass wir mit diesen Restitutionsgesetzen eine der letzten Chancen wahrnehmen, manchen der wenigen Überlebenden noch eine finanzielle Geste zu zeigen. Viele, die diese Geste schon längst hätten bekommen sollen, sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gestorben, sofern sie überhaupt das Glück hatten, der Hölle des Nationalsozialismus zu entkommen. Ein Großteil der jüdischen Mitbürger in unserem Land, der Roma, der Sinti, der Homosexuellen und anderen ist es nicht gelungen, die Hölle des Nationalsozialismus zu überleben. In Bezug auf sie hatten wir überhaupt nie die Chance, diese Art von finanzieller Geste zu setzen. In Bezug auf die wenigen Überlebenden haben wir nun diese Chance. Daher bin ich sehr froh darüber, dass wir diese Chance als österreichische Demokraten gemeinsam wahrnehmen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)