Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 70. Sitzung / Seite 36

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Im Übrigen haben wir Sozialdemokraten ein umfassendes Paket mit dem Titel "Pakt für Arbeit und Europa" ausgearbeitet und der Öffentlichkeit vorgestellt, und ich habe Ihnen, Herr Bundeskanzler, den Vorschlag unterbreitet, in Hinsicht auf die Bedeutung der Erweiterung der Europäischen Union für Österreich diese Frage nicht als ein parteipolitisches Anliegen, sondern als eine gesamtnationale Anstrengung zu betrachten, sodass Sie als Bundeskanzler die Möglichkeit haben, die Regierung, die Opposition, die betroffenen Bundesländer und die Sozialpartner an einen Tisch zu holen, um eine gemeinsame österreichische Vorbereitungs- und Durchführungsstrategie für die Erweiterung zu machen. Wir sind dazu bereit, weil wir glauben, das dies eine der größten Zukunftsaufgaben für unser Land ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zweite wesentliche Frage, die sich in Bezug auf den Vertrag von Nizza stellt, betrifft die Zukunft der Europäischen Union, welche Entwicklung wir diesbezüglich gehen wollen. Ich halte Ihre Aussage für völlig richtig, dass dieser Prozess in einer offenen Form, in Form eines Konvents organisiert werden soll, weil es in unserem Interesse liegt, dass die Zukunft Europas nicht nur eine Angelegenheit der Regierungen, sondern auch der Parlamente, der Zivilgesellschaften, der Bevölkerung insgesamt ist. Daher legen wir größten Wert darauf, dass Österreich mit diesem Vorschlag in der Europäischen Union auftritt, und Sie können sich der Unterstützung des österreichischen Parlamentes sicher sein (Abg. Kiss: Der SPÖ im Parlament!), wenn Sie diese Unterstützung zur Durchsetzung dieses Vorschlages in der Europäischen Union brauchen. Ich halte diesen Weg für absolut richtig! (Beifall bei der SPÖ.)

Im Zusammenhang mit der Frage: Wie sollen wir das neue Europa gestalten, und welche Herausforderungen stehen vor uns?, sind Ihre Aussagen in den letzten Tagen ein bisschen widersprüchlich gewesen, wenn ich das so bezeichnen darf. Sie haben heute versucht, die Vorschläge des deutschen Bundeskanzlers Schröder darzustellen als ein "Weniger von Europa". Offensichtlich haben Sie bei Ihrer ersten Stellungnahme zu diesem Thema den gesamten Text nicht gelesen gehabt, denn Sie haben in einem Interview mit dem "Kurier" am 1. Mai gemeint, "man dürfe künftig nicht alle Kompetenzen an Brüssel abgeben und ,nicht alles europäisieren‘". Sie warnten vor einem "Superstaat Europa".

Heute sagen Sie, Schröder wolle weniger Europa, am 1. Mai sagten Sie, Schröder wolle den "Superstaat Europa". Herr Bundeskanzler! Bilden Sie sich eine letztendliche Meinung, was Sie von den Vorschlägen Ihres deutschen Amtskollegen halten! Das würde für die Klarheit der österreichischen Position außerordentlich wesentlich sein. (Beifall bei der SPÖ.)

In der Tat geht es bei diesen Debatten um die Zukunft Europas im Wesentlichen um drei Ebenen:

Die erste Ebene ist: Wie kann man Europa demokratischer gestalten, als es heute ist? Zur Demokratie gehört dazu, dass Gesetzgebung öffentlich stattfindet, zur Demokratie gehört dazu, dass es eine klare Kompetenzabgrenzung gibt, wer wofür zuständig ist, wofür Europa und wofür die nationale Ebene, und weiters gehört zur Demokratie dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger auch den Eindruck haben – berechtigt! –, dass sie mit ihren demokratischen Wahlentscheidungen beeinflussen können, was in Europa geschieht.

Der Vorschlag, den der deutsche Bundeskanzler Schröder gemacht hat, und der Vorschlag, den unser Bundespräsident Dr. Thomas Klestil eingebracht hat, sind Vorschläge für die Organisierung eines europäischen Institutionensystems, die in Summe zu mehr Transparenz, zu mehr Parlamentarisierung und damit zu mehr Demokratie führen. Daher möchten wir Sozialdemokraten diese Vorschläge explizit und ausdrücklich unterstützen, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Die zweite Ebene ist: Was soll Europa gemeinsam erledigen? Es ist in der Tat so, dass man darüber reden muss, was bei der Kompetenzverteilung herauskommt. Eine Renationalisierung der Strukturpolitik erachte ich als eine große Gefahr, denn das würde letztendlich die Solidarität, die die Grundlage des europäischen Einigungsprozesses ist, untergraben. Gerade vor dem Hintergrund der Erweiterung, die auch darauf aufgebaut ist, dass die bisherigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union solidarisch sind mit den neuen Mitgliedstaaten, bin ich der Meinung,


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