Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 77. Sitzung / Seite 73

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einem bemerkenswerten Schritt aufgerafft: Sie haben mit ihren ehemaligen Kriegsgegnern Solidarität geübt, sie haben mit dem Marshallplan geholfen und dazu beigetragen, Europa wieder mit aufzubauen.

Europa war zu diesem Zeitpunkt auch nicht der ärmste Platz der Welt, aber Europa war zu diesem Zeitpunkt auf Grund der grausamen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges der gefährlichste Platz der Welt. Es war ein General, der Außenminister war, nämlich George Marshall, der letztendlich diesen Plan zur friedlichen Entwicklung Europas entwickelt hat.

Wenn man jetzt eine Parallele zieht und fragt, was heute der gefährlichste Punkt der Welt ist, dann muss man sagen, heute ist der gefährlichste Punkt der Welt der Nahe Osten. Es stehen sich dort viele gegenüber, bis auf die Zähne bewaffnet und verfeindet. Ich bin der Auffassung, dass es klug wäre, eine ähnliche Strategie in Bezug auf den Nahen Osten anzuwenden, wie es die amerikanischen Freunde nach 1945 in Europa gemacht haben, nämlich neben einer politischen Lösung – umgesetzt – einen Powell-Plan zu entwickeln, der zu einer wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung des Nahen Ostens führen kann; nur mit dem Unterschied, dass die Verantwortung dafür heute nicht mehr die Vereinigten Staaten von Amerika allein tragen müssen oder sollen, sondern dass ein Europa, das reich geworden ist, bereit sein muss, diese Mitverantwortung zu übernehmen, damit wir im Nahen und Mittleren Osten Frieden und Stabilität schaffen können, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der Freiheitlichen und der ÖVP sowie bei den Grünen.)

Ich habe großes Vertrauen in die Aktivitäten des amerikanischen Außenministers Colin Powell, weil ein Militär in einer solch schwierigen Situation weiß, was Krieg bedeutet, was es bedeutet, seine Männer in die Schlacht zu schicken, weil er ganz genau weiß, dass die Heldenbilder, die in den Geschichtsbüchern auftauchen, nur die eine Seite der Medaille sind. (Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Die andere Seite der Medaille sind Mutlosigkeit, Verzweiflung, Elend nicht nur bei der betroffenen Bevölkerung, sondern auch bei den Soldaten. Daher ist er mit Recht zurückhaltend, seine Männer in eine Schlacht zu schicken, von der er nicht weiß, was dabei herauskommt – ähnlich wie George Marshall, der, bevor er Außenminister war, General der Vereinigten Streitkräfte der USA war und sehr stark davor gewarnt hat, die Truppen in eine Schlacht zu schicken, deren Ausgang ungewiss ist.

Nachdem Colin Powell ganz genau weiß, was Krieg bedeutet, ist er einer derjenigen, die sehr stark dafür eintreten, eine politische, ökonomische Gesamtstrategie gegen den internationalen Terrorismus zu entwickeln, und ich bin der Auffassung, wir Österreicher sollten ihn dabei unterstützen, denn das ist der richtige Weg. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der Freiheitlichen, bei der ÖVP und den Grünen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen auch mit einem vorsichtig sein. Ich freue mich darüber, dass es eine internationale Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus gibt, aber nicht alles, was Einzelne heute unter Terrorismus verstehen, ist auch gleich Terrorismus. Ich warne vor einer Inflation des Wortes "Terrorismus", denn wenn jede Regierung – es gibt leider auch autoritäre Regierungen, diktatorische Regierungen auf der Welt – jede Art von Widerstand, die es gegen sie geben mag, als Terrorismus bezeichnet, dann muss ich ganz offen dazu sagen, das ist nicht Terrorismus. Es muss auch weiterhin die Möglichkeit des Widerstandes gegen Diktaturen geben, ohne dass man sich gleich als Terrorist beschimpfen lassen muss. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage das vor allem deswegen, weil ich manche Deklarationen in den letzten Tagen sehr ernst nehme. Auf der einen Seite sprechen einzelne islamische Staaten, die nicht zu den gemäßigten, sondern zu den eher fundamentalistischeren Staaten gehören, zwar gegen den Terror, aber wir wissen auf der anderen Seite, wir haben es erlebt, dass Hunderttausende Menschen zum Beispiel vor 20 Jahren aus dem Iran und auch aus anderen Staaten fliehen mussten, um ihr Leben zu retten, und dass diese Menschen bei uns Schutz und Unterschlupf gefunden haben. Daher müssen wir ganz klar sagen: Es gibt eine


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