Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 92. Sitzung / Seite 109

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Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (fortsetzend): Abgesehen von dieser Ankündigung, meine Damen und Herren, hätte sich der Kollege nicht die große Mühe machen müssen, sich allein für diesen Akt die Garderobe des Edel-Oberkellners im Parlament anzulegen. (Allgemeine lebhafte Heiterkeit. – Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Das nächste Mal wird er einen Mao-Anzug anziehen! An deinem Mao-Anzug nimmt auch niemand Anstoß! – Weitere Zwischenrufe. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Spaltung in der österreichischen Bundesregierung in der Frage der Europapolitik dürfte offensichtlich die zweite Phase dieser Bundesregierung einleiten. Die erste Phase, die darin bestanden hat, dass die Regierung mit Husch-Pfusch-Gesetzen im Parlament operiert hat und "speed kills" das Motto war, dürfte nun abgelöst werden durch die Phase der streitsüchtigen Hilflosigkeit, die diese Bundesregierung der österreichischen Öffentlichkeit präsentiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regierung hat aber nicht nur in sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen versagt. Es gibt auch eine gefährliche Entwicklung auf dem Sektor der Demokratie. Ich möchte daran erinnern, dass die FPÖ vor zwei Jahren mit der Aussage begonnen hat, die Opposition gehöre ins Gefängnis. Sie hat weitergemacht mit der Ansage, es müsse Ordnung in den Redaktionsstuben geschaffen werden. (Abg. Dr. Ofner: Schmähtandler! Du bist ein Schmähtandler!) Sie haben in Bezug auf die Journalisten gemeint, die Hand, die einen füttert, beiße man nicht. Danach hat man die Beamten attackiert, die in der Spitzelaffäre ermittelt haben, und gemeint, das wäre ein "rotes Komplott". (Abg. Ing. Westenthaler: Wo ist die Spitzelaffäre? Wo ist das Ergebnis der Spitzelaffäre, Herr Kollege? Zusammengebrochen!) Und als Letztes ist jetzt der Verfassungsgerichtshof zum Ziel der Angriffe seitens der FPÖ geworden, indem Sie meinen, der Verfassungsgerichtshof wäre "politisch korrumpiert" und müsse daher "zurechtgestutzt" werden.

Meine Herren von der ÖVP! Meine sehr verehrten Damen von der ÖVP! Das ist eine demokratiepolitische Gesinnung, mit der kein Staat zu machen ist. Das, was an antidemokratischen Attacken von Seiten der FPÖ ausgeht, ist einer westeuropäischen Demokratie nicht würdig! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Herr Abgeordneter Khol! Lassen Sie sich von Ihrem ehemaligen Generalsekretär Michael Graff im "Format" dieser Woche Folgendes sagen (Abg. Ing. Westenthaler: Wer? Wissen Sie, warum der gehen musste?): "Die FPÖ ist die führende, aber nicht die alleinige Partei, die um die Verfassung einen Bogen macht. Vergleichen Sie nur die ÖVP-Linie in der Neutralitätspolitik. Da bewegt sich die ÖVP auch schon lange nicht mehr im Verfassungsbogen."

Die mögliche Antwort von Andreas Khol auf diese Anklage eines seiner Parteikollegen wird wahrscheinlich sein: Auch der "Verfassungsbogen" ist eine Tochter der Zeit. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ und den Grünen. – Abg. Ing. Westenthaler: Gusenbauer zitiert Graff! Sie wissen aber schon, warum er gehen musste!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wahrheit ist, dass das schwarz-blaue Projekt einen gemeinsamen Kern gehabt hat. Der Kern des schwarz-blauen Projekts ist die brutale Machtpolitik und das Umfärben Österreichs. In dieser Frage sind sich die beiden Parteien wirklich einig.

In der neuen Ausgabe des "trend" – bei weitem kein sozialdemokratisches Agitationsorgan – steht unter dem Titel "Blaues Blut", Herr Westenthaler (Abg. Ing. Westenthaler: Ihre Lösungsvorschläge, Herr Kollege! Wo sind Ihre Lösungsvorschläge?), Folgendes geschrieben:

"Angetreten ist die ÖVP/FPÖ-Koalition mit dem Schlagwort ,Entpolitisierung‘. De facto hat sie das größte Köpferollen aller Zeiten gestartet. Anstelle von rotem ist nun blaues und schwarzes Blut gefragt. Bisweilen werden bei diesem Postenschacher neu nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks überschritten, sondern auch die Spielregeln des demokratischen Rechtsstaats missachtet." – Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)


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