Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 107. Sitzung / Seite 62

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Ich glaube, dass Gesundheitspolitik so wirklich zur Nagelprobe eines sozialen und humanistischen Handelns wird und auch zum Prüfstein einer Gesinnung, die ich jetzt gerne hier am Rednerpult hinterfragen möchte.

Was passiert nämlich? – Das Defizit oder die roten Zahlen der Kassen einerseits und ein relativ phantasieloses und wenig klug gedachtes Spardenken andererseits führen bei der Bundesregierung primär dazu, dass es einfach zu unqualifizierten Rundumschlägen kommt, zu Fehlinterpretationen, Missdeutungen, Mythen und Märchen über eine zukünftige Unfinanzierbarkeit der Gesundheitspolitik. Diese sollen alle ÖsterreicherInnen bereit machen für Selbstbehalte, für eine Erhöhung der privaten Kosten am Gesundheitssystem und zum Beitritt zu diesem republikanischen Sparverein nötigen, sage ich jetzt einmal.

Sie unterstellen der Bevölkerung – und das sind Worte, die ich immer wieder höre – nacktes Konsumdenken und sprechen von "Vollkasko-Mentalität" der Versicherten, so als ob jemand ins Krankenhaus kommen und sagen würde: Bitte, nehmen Sie mir doch meine Brust ab, amputieren Sie mir meine Brust! Könnte ich heute eine Herzklappe haben, weil mir gerade danach ist? Oder weil es gerade dem Biorhythmus entspricht: Bitte geben Sie mir ein künstliches Hüftgelenk, denn mein Freund hat auch eines! – So eine Diskussion ist ja aberwitzig! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Nicht sparsam sind Sie aber, wenn Sie sich selbst beweihräuchern, sich selbst überschätzen und überhaupt keine Selbstkritik zeigen. Wenn Sie hier am Rednerpult sagen, die Ambulanzgebühren hätten einen signifikanten Lenkungseffekt, dann könnten Sie auch behaupten, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet. Sie werden aber sehen, das wird nicht passieren. (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Was Sie aber wirklich tun mit diesen Selbstbehalten, die ja nur die Kranken betreffen ... (Abg. Böhacker: An Überheblichkeit nicht mehr zu überbieten!) Herr Bartenstein, Sie schütteln so oft den Kopf, dass Ihre Halswirbelsäule langsam eine Sache für die Orthopädie wird. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Dr. Bartenstein. ) Wegen mir schütteln Sie den Kopf? Herr Minister Bartenstein, dass Sie nicht hinter mir stehen, weiß ich, aber auch hinter mir sitzend sind Sie mir keine Hilfe, wenn Sie dauernd in meinen Nacken sprechen. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Ich frage mich in dieser Debatte – und das sage ich schon zur christlich-sozialen ÖVP –: Wo bleibt da der Gedanke Caritas? Was sind Solidarität und Gerechtigkeit? – Ist das wirklich nur das Gestammel von Linken, Träumern und Gutmenschen? Oder wo sind Argumente? Wo ist Tiefgang in der Debatte? Wo nehmen Sie wissenschaftliche Studien, in denen meist das Gegenteil von dem gesagt wird, was Sie hier behaupten, ernst? Sind auch Argumentation und Tiefgang sozusagen nur eine Sache oder ein Hobby von irgendwelchen Freizeitsportlern und Intellektuellen? – Ich glaube nicht.

Die Gesundheitspolitik würde dieses Nachdenken verlangen und auch, dass Sie endlich Daten und Fakten anerkennen.

Ihr Gesundheitssprecher sagt öffentlich bei einer großen Veranstaltung "Medizin Weltstadt Wien – wie lange noch?" – mit einem freundlichen Fragezeichen dahinter –: Natürlich wird die Gesundheitspolitik mehr kosten. – Das sagen auch andere Leute hier im Raum. Wenn man allerdings hier heraußen steht und dasselbe wie Ihre Leute sagt, dann wird man geprügelt und belächelt, und Sie sagen nein. Und dieses Nein heißt, dass Sie Leuten, insbesondere chronisch Kranken, Alten und Schwerkranken, in Zukunft Leistungen vorenthalten.

Die Einhebung von Ambulanzgebühren ist auch nicht klug, weil sie äußerst ungerecht ist. Es gibt für Leute mit bestimmten Erkrankungen keine andere Möglichkeit, als Spezialambulanzen aufzusuchen. Bei schwer Zuckerkranken, schweren Hormonstörungen, bei Kontrolle von Herzklappen, auch bei der Einstellung mit Medikamenten bei schwersten Depressionen sind lückenlose Kontrollen erforderlich, die in der freien Praxis nicht durchgeführt werden können. Das sollten Sie als Gesundheitsminister wissen. Sie sollten auch wissen, dass die größte diesbezüg


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