Aber auch der 15. Mai, der Österreich die volle Wiedererringung seiner Souveränität und die gesamte Freiheit gebracht hat.
Das ist ein Ganzes: Da kann nicht ein Teil herausgebrochen werden. Da kann nicht auf- oder gegengerechnet werden. Dies ist – ich wiederhole – ein Ganzes.
Wichtig ist, dass wir jedes Jahr an diesem 27. April nicht nur des wiedererrichteten unabhängigen Österreichs gedenken, sondern auch der Opfer – und die Opfer sind zahlreich. Wir gedenken der 580 000 Österreicher, die ihr Leben verloren haben – 65 000 ermordete österreichische Juden, 35 000 zivile politische Opfer, sie wurden hingerichtet, sie starben in Konzentrationslagern und Gefängnissen –, und wir gedenken auch der 380 000 Gefallenen beziehungsweise in Kriegsgefangenschaft Verstorbenen sowie der 100 000 Toten, die in Kriegshandlungen oder im Luftkrieg ihr Leben lassen mussten.
Diese Zahl ist ja viel mehr als nur eine Zahl: Dahinter stecken Schicksale! Und es ist eine Wunde, die nicht heilt. Es ist eine Wunde, die gepflegt werden muss, gesäubert werden muss – die Heilung vielleicht dadurch erringen kann, dass von den Opfern Verzeihung gewährt wird. Vor allem aber muss Erinnerung gegeben werden, und von dieser Erinnerung und von diesem ganzheitlichen Darstellen soll sich kein Österreicher und keine Österreicherin ausschließen – aber es darf auch niemand ausgeschlossen werden bei diesem Gedenken am 27. April, am 5. Mai oder am 8. Mai, wenn sich diese Jahrestage jähren.
Entscheidend ist, dass man auch in der Aufarbeitung der Geschichte das Ganze sieht. Morgen werden wieder einige Leitartikel erscheinen, in denen meiner Meinung nach einige ganz gravierende Irrtümer beschrieben werden. Ein Irrtum zum Beispiel ist der, dass es heißt: Österreich hat sich nicht entnazifiziert; Österreich wurde von außen entnazifiziert!
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, Hohes Haus: Ist das fair und gerecht angesichts der Gründer dieser Republik, die am 27. April 1945 – und zum Teil sogar noch wenige Tage vorher – in der Todeszelle gesessen sind, darunter auch mehrere der Gründer meiner politischen Partei und genauso auch Politiker Ihrer Fraktionen?
Ich finde, es ist wichtig, dass man schon sieht und anerkennt, dass da aus Eigenem gehandelt wurde, dass etwa der Westen, Innsbruck beispielsweise, durch die Kraft der Widerstandsbewegung frei den Amerikanern übergeben wurde. Die Fairness gebietet es also, auch den Eigenbeitrag dieses neuen Österreich in diese ganzheitliche Betrachtung einzuziehen.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, hier auch die objektiven Fakten zu nennen, die beispielsweise Hubert Feichtlbauer sehr berührend und beeindruckend zusammengetragen hat. Österreich hat sich nämlich nicht aus der Geschichte einfach davongestohlen. Das wäre ja auch gar nicht gegangen, gar nicht toleriert worden: weder von innen noch von außen. Es gab 136 829 Voruntersuchungen, mehr als 28 000 Anklagen gegen NS-Sympathisanten oder Täter. Es gab 13 667 Verurteilungen, 30 Todesurteile wurden vollstreckt; was den Bevölkerungsanteil anlangt: mehr pro Kopf als in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Viertel aller Staatsbeamten verlor in Österreich wegen ihrer NS-Nähe die Stellung, ein großer Teil erlitt wesentliche Einkommensverluste.
An die 100 000 Unternehmer wurden nach dem Wirtschaftssäuberungsgesetz gemaßregelt. Und es gab nach 1945 eine ganze Reihe von Wiedergutmachungen – sicher in vielen Fällen zu spät, halbherzig und nicht mit der richtigen Tonlage wiedergegeben. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es viele Gesetze betreffend Wiedergutmachungen gegeben hat, die seit 1945 zig Milliarden Schilling an Wiedergutmachungsversuchen gebracht haben. Es wurde der Nationalfonds eingerichtet, es wurden Kunstschätze restituiert, und es wurden – ich danke dafür auch! – dank der einstimmigen Beschlussfassung in dieser Legislaturperiode zwei Fonds für Zwangsarbeiter aus Mittel- und Osteuropa und der General Settlement Fund für jüdische Opfer und für Restitutionslücken, also für Ansprüche, die in der Vergangenheit nicht erfüllt wurden, eingerichtet.