Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 111. Sitzung / Seite 174

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noch ständig politisches Kleingeld zu münzen – und haben damit sogar Erfolg – und den Eindruck zu erwecken, dass man, wenn man rasch die Wohnungstür öffnet, noch sieht, wie der Nachbar mit bluttriefenden Händen in seine Wohnung hineinhuscht. Das ist die "Kunst".

Von Königgrätz bis 1938, das ist ungefähr so lange wie von 1938 bis jetzt! Aber Sie verstehen es, mangels jüngerer Argumente, mangels anderer Argumente immer wieder die fürchterlichen alten Suppen aufzukochen und heute über die Köpfe anderer zu gießen. (Widerspruch bei der SPÖ und den Grünen.) Sie stellen es so dar, als ob die Schuldigen nicht längst begraben wären, sondern als ob man ihnen heute noch ans Zeug flicken könnte. Das ist Ihre Kunst, Sie beherrschen sie meisterhaft, aber Sie sind durchschaut. An das müssen Sie sich gewöhnen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es ist auch bemerkenswert, wie weit in den vergangenen Tagen die Kritiker schon vom ursprünglichen Vorwurf weggerückt sind. Der Vorwurf war, dass Stadler die Frage aufgeworfen hat: Wann war wirklich die Befreiung? Das war alles. Da das nicht haltbar ist, weil die Zeitgenossen von damals auf der einen und auf der anderen Seite unisono den Standpunkt vertreten haben: Die Befreiung war in Wahrheit 1955 – ich werde Zitate so wie gestern heute ergänzend vorlesen –, haben Sie sich von dieser nicht zu verteidigenden Linie zurückgezogen und befinden sich auf ganz anderen Ebenen. Die ganze Weltgeschichte wird bemüht, alles Mögliche, Relativierung da und dort, aber der ursprüngliche Vorwurf ist nicht mehr da. Er war einfach nicht haltbar!

Aber machen Sie sich nur die Mühe und lesen Sie die Aussagen der Zeitgenossen dazu. Ich möchte mich nicht auf die distanzierten Erklärungen von heute beschränken, die alle aus der Entfernung – Jahrzehnte danach – getätigt worden sind. Ich möchte voller Respekt zu dem zurückkehren, was die damaligen Autoren – soeben aus den Konzentrationslagern gekommen – davon gehalten haben. Waren sie der Ansicht, dass Österreich 1945 befreit worden ist, oder waren sie der Ansicht, 1955? Ich lasse die Autoren selbst sprechen.

Figl, Landeshauptmann, Bundeskanzler, Außenminister, der "Vater des Staatsvertrages", heißt es – Raab, Figl, Schärf, die Väter des Staatsvertrages –, sagte: "Ein 17 Jahre lang dauernder grauenvoller Weg der Unfreiheit ist beendet!" Das sagt er aber nicht am 27. April 1945, auch nicht am 5. Mai 1945, auch nicht am 8. Mai 1945. Er sagte das am 15. Mai 1955! Der grauenvolle 17 Jahre lang andauernde Weg – 17 Jahre, begonnen 1938, beendet 1955 – ist beendet. "Österreich ist frei!", das hat er dann angeschlossen. Er hat nicht gesagt: Vor zehn Jahren ist Österreich frei geworden, sondern jetzt ist Österreich frei, und er hat den Staatsvertrag hergezeigt. (Abg. Dr. Partik-Pablé  – in Richtung SPÖ –: Lernen Sie Geschichte!)

Auch Gschnitzer, die selbe Partei – das sind ja Namen, die in den Reihen der ÖVP noch allen in klangvoller Erinnerung sein müssen –, was sagte er hier in diesem Saal bei der Behandlung des Staatsvertrags in der Sitzung am 7. Juni 1955:

"Hohes Haus! 1945, als mit der Stunde des Friedens auch die Stunde der Freiheit für uns zu kommen schien" – kommen schien!  –, "da waren wir den Alliierten ehrlich dankbar. Aber wir sind bald schlimm enttäuscht worden. Erst jetzt, zehn Jahre später, soll nun wirklich die Stunde des Friedens und der Freiheit uns schlagen. Wir erinnern uns heute, daß beim Fallen der Zonenkontrollen an der Enns, diesem ersten Silberstreifen am Horizonte österreichischer Freiheit, die Leute auf der Linzer Brücke getanzt haben. Diesmal hat das Volk in Wien getanzt, als ihm der Außenminister das unterzeichnete Dokument des Staatsvertrages vorhielt." – Das sagte nicht irgendwer, sondern Gschnitzer. Er war später auch Staatssekretär oder Außenminister, ich weiß das nicht mehr so ganz genau.

Und wie war es mit der anderen Seite? Etliche Zeitzeugen von damals sind schon zitiert worden. Ich beschränke mich darauf, Gewerkschaftsbundpräsident und Innenminister Olah – er lebt noch – zu nennen. Er hat gesagt:


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