Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 25. Sitzung / Seite 77

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Herren, und der Ehrlichkeit halber sollte man das, denke ich, auch anerkennen. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Rossmann.)

Mir wäre es aber auch durchaus recht, wenn wir in den Fragen der Bildungspolitik nicht nur über das Budget sprächen, sondern uns tatsächlich – Kollege Niederwieser hat das teilweise getan – konkret auch bildungspolitischen Fragen stellten. Sie haben hier ein paar interessante Punkte angesprochen, auf die ich eingehen möchte.

So fordern Sie etwa Ganztagsschulformen ein – insbesondere Ihre Stadtschulrats­prä­sidentin in Wien ist ja eine Vorkämpferin dafür – und stellen dann hier die Behauptung auf, dass es praktisch in allen europäischen Staaten, insbesondere in den erfolg­rei­chen, solche ganztägigen Schulformen gebe.

Ganztägige Schulformen gibt es auch in Österreich. Uns ist es aber wesentlich – und ich denke, dass es möglich sein muss, sich hier auch politisch zu finden –, dass solch eine ganztägige Schulform, solch ein Angebot auf Nachmittagsbetreuung auf frei­williger Basis erfolgen muss und dass solch eine ganztägige Schulform dort angebo­ten werden muss, wo es den Bedarf dafür gibt. (Abg. Dr. Niederwieser: Ich habe ja gesagt, in den verschiedenen Formen!) Außerdem muss es ein flexibles Modell sein, bei dem man auch die Möglichkeit hat, Kinder nicht über ein ganzes Semester oder gar ein ganzes Jahr in die Nachmittagsbetreuung zu geben, sondern etwa auch für zwei oder drei Wochen. Das ist ein Modell, bei dem wir uns finden können. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Rossmann.)

Eine ganztägige Schulform, zu der Kinder verpflichtet werden, gibt es meines Wissens nirgends in Europa. Selbst in sehr erfolgreichen Bildungssystemen, etwa jenem in Finnland – wir haben uns das sehr genau angeschaut, Kollege Brosz war damals auch dabei –, gibt es ein ganztägiges Betreuungsangebot, aber keinesfalls eine Verpflich­tung der Jugendlichen. Das ist aber genau das, was Ihre Stadtschulratspräsidentin verlangt. Und da sage ich Ihnen: Das wird mit uns nicht zu machen sein! (Beifall bei der ÖVP.)

Im Übrigen zeigt auch die PISA-Studie sehr eindeutig, dass es nicht die Organi­sations­form der Schulen ist, die dafür ausschlaggebend ist, ob ein Bildungssystem erfolgreich ist oder nicht. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die ausschlaggebend sind. Sie wollen – so zumindest die Wiener Stadtschulratspräsidentin – die Hauptschulen abschaffen. Aber ich sage Ihnen, wir stehen deshalb dafür nicht zur Verfügung, weil wir eine po­sitive Erfahrung mit den Hauptschulen haben. (Beifall bei der ÖVP.)

Etwa 50 Prozent der Maturantinnen und Maturanten in Österreich kommen über die Hauptschulen. Wir haben hervorragende Hauptschulen, insbesondere im ländlichen Raum, wir haben allerdings – das gebe ich Ihnen zu – in den Ballungszentren ein Problem; so etwa in Wien, wo wir an den meisten Hauptschulen keine ersten und zwei­ten Leistungsgruppen mehr haben, sondern nur noch dritte Leistungsgruppen. Da wer­den die Hauptschulen zu Sackgassen, meine Damen und Herren, und das ist entgegen der Bildungspolitik, die wir anstreben.

Wir wollen, dass hier die richtigen Antworten gegeben werden. Ihre Antwort auf die Problematik der städtischen Hauptschulen ist, die Hauptschulen abzuschaffen und eine Gesamtschule zu etablieren, eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen in der AHS-Unterstufe, und zwar undifferenziert. Das ist nicht unser Bildungsentwurf. Wir wollen ein differenziertes Bildungssystem, wir wollen ein Bildungssystem, in dem nach Neigungen, nach Talenten unterschieden wird. Wir sehen das ja deutlich gerade auch in Finnland oder in Schweden, wo es Schulen gibt, die etwa nach dem Skolverket-Modell entwickelt werden, oder wo es erfolgreiche Privatschulen nach dem Modell des ehemaligen Unterrichtsministers Per Unckel gibt, also in Wahrheit ein differenziertes Modell.

 


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