die Bürger überzeugt werden. Das wird nicht ganz einfach sein, denn viele Wünsche an diese neue Verfassung sind nicht so ohne weiteres erfüllbar.
Diese Verfassung sollte für jeden Volksschüler verständlich sein, hat Präsident Giscard d’Estaing gesagt. Ist sie das? – Manches ja, würde ich sagen; manches ist ganz einfach zu kompliziert. Aber manches ist verständlich.
Die Grundziele der Union: Vollbeschäftigung, soziale Marktwirtschaft, Umweltschutz, kulturelle Vielfalt oder die 54 Artikel der Grundrechtscharta für jeden Bürger, versteht man. Die Meinungsfreiheit ist garantiert, es gibt das Verbot der Todesstrafe, die Gleichberechtigung von Mann und Frau und soziale Grundrechte. – All das ist einklagbar beim Europäischen Gerichtshof.
Europas Bürger werden selbst Vorschläge einbringen können. Eine Million Unterschriften genügt, damit sich die Institutionen Europas, also Parlament und Kommission, damit auseinander setzen müssen.
Auch die Institutionen werden klarer geordnet. An der Spitze Europas werden künftig neben einem Kommissionspräsidenten ein länger amtierender Präsident des Europäischen Rates und vor allem auch ein europäischer Außenminister stehen, der von einem gemeinsamen diplomatischen Dienst unterstützt wird. – Henry Kissinger hat einmal gesagt: Er hat keine Telefonnummer, die er anrufen könnte! – Da ist sie: Es gibt einen europäischen Kommissionspräsidenten und einen europäischen Außenminister.
Nicht unwichtig, sondern bedeutsam in der Demokratie ist, dass das Europäische Parlament gewaltig aufgewertet wird. Fast alle Entscheidungen – 95 Prozent sind es – werden eine gleichberechtigte, stimmberechtigte Mitentscheidung des Europäischen Parlaments mit sich bringen.
Österreich ist es gelungen, neben all diesen allgemeinen Punkten einige sehr wesentliche nationale Anliegen, die für uns wichtig sind, hineinzuverhandeln und so den Konventtext zu verbessern, wie etwa dass unser Wasser oder die kommunalen Dienste – dazu gehören die Sozialleistungen, die Gesundheitsversorgung, die Entsorgung in der Gemeinde und der Verkehr – unter unserer Kontrolle bleiben und durch die Kommunen selbst finanziert werden können, dass die Gleichberechtigung der Mitgliedstaaten im Verfassungsvertrag garantiert ist, dass Minderheitenschutz und Tierschutz im europäischen Verfassungsvertrag fest verankert werden, dass in heiklen Fragen die Einstimmigkeit bleibt, wie etwa in der Finanzvorschau oder bei der Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft oder in der Frage der Preisstabilität, die neu in den Zielkatalog aufgenommen wurde.
Die Kommission wird gestärkt beim Defizitverfahren gegenüber dem Status quo. Die gemeinsame Erklärung von Deutschland und Österreich, der sich übrigens am ersten Tag bereits die irische Ratspräsidentschaft angeschlossen hat, eine EuratoM-Revisionskonferenz durchzuführen, trägt unsere Handschrift und ist ein großer Erfolg unserer Außenministerin. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
Meine Damen und Herren! Da ist ein maßvoller Kompromiss gefunden worden. Natürlich gibt es einige, die sagen, es wäre wichtiger, überhaupt keine einstimmigen Entscheidungen mehr zu haben, man kann immer mit Mehrheit rascher entscheiden. Das stimmt. Aber es gibt zwei Prinzipien: Es muss auch Rücksicht genommen werden auf die Nationalstaaten und deren Besonderheiten. Außerdem werden die Entscheidungen leichter, denn wir haben nun mehr Mehrheitsabstimmungen, 25 Themen etwa benötigen bei der Abstimmung nicht mehr das Einstimmigkeitsprinzip, sondern die Mehrstimmigkeit. Aber zugleich können kleinere Staaten, wenn sie zusammenarbeiten, nicht so leicht übergangen werden.