Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 127. Sitzung / Seite 20

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09.04.40Aktuelle Stunde

 


Präsident Dr. Andreas Khol: Wir gelangen nunmehr – um 9.04 Uhr – zur Aktuellen Stunde mit dem Thema:

„Frankreich zeigt: Jugend braucht Bildung, Beschäftigung und Chancen“

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Gusenbauer. Ich erteile es ihm und mache darauf aufmerksam, dass seine gesetzliche Redezeit 10 Minuten beträgt. – Bitte, Herr Kollege.

 


9.04.49

Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit mehreren Wochen brennen nun Teile der Pariser Vorstädte, nicht nur der Pariser Vorstädte, sondern auch Teile von anderen Städten in Frankreich und von Städten in anderen Staaten Europas. Es stellt sich die Frage: Was bewegt diese Menschen dort, vor allem Jugendliche, dass es zu derartigen Gewaltausschreitungen kommt?

Man kann dazu unterschiedliche Interpretationen lesen, ich glaube aber, dass man im Wesentlichen diese Ausschreitungen auf drei Ursachen zurückführen kann.

Erstens: Glaubt irgendjemand von Ihnen, dass es diese gewaltsamen Ausschreitungen gäbe, wenn die jungen Menschen dort eine Arbeit hätten?

Zweitens: Glaubt irgendjemand, dass es diese Ausschreitungen gäbe, wenn die jungen Menschen dort über eine geeignete Bildung und damit eine Perspektive im Leben ver­fügen würden?

Drittens: Glauben Sie, dass es diese Ausschreitungen gäbe, wenn es sich dabei nicht um Ghettos handeln würde, wo Menschen unterschiedlicher sozialer Problemlagen zu­sammenleben?

Ich glaube, dass jenseits jeglicher Debatte über die Konfrontation von Kulturen der we­sentliche Grund für Ausschreitungen und Auseinandersetzungen eine tiefe soziale Krise ist, die vielen jungen Menschen keine Chance und keine Perspektive mehr bietet. Die geeignete Antwort der Politik muss daher sein, diese soziale Krise zu erfassen und eine Politik zu machen, welche die Wirtschafts- und Sozialpolitik in Europa ändert, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Sie haben gemeint, das sei auf Frankreich beschränkt. Ich würde sagen, zum Glück – zum Glück! – für Europa ist dies erst an einzelnen Stellen Europas aufgebrochen, zu glauben aber, dass andere Teile Europas immun dagegen wären, hielte ich für einen schweren Irrtum. Ich bin der Meinung, wenn dieselben Ursachen auch in anderen Teilen Europas in dem Ausmaß schlagend werden, dann kann das leider überall pas­sieren. Daher ist es unsere Aufgabe als österreichische Politikerinnen und Politiker, zu verhindern, dass es in Österreich zu einer solchen sozialen Krise kommt, die zu den­selben Ausschreitungen führt, wie sie derzeit in Paris stattfinden, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Es stellt sich daher folgende Frage: Gibt es nicht auch bei uns einzelne Gefahrenmo­mente, die wir ernst nehmen müssen, einzelne Gefahrenmomente, die man heute viel­leicht noch bewältigen kann, die aber, wenn nichts geschieht, dasselbe Bedrohungs­potenzial in sich tragen?

Wenn wir heute feststellen, dass es 62 000 junge Menschen in Österreich gibt – 62 000 junge Menschen! –, die keine Arbeit haben, die Arbeit suchen, und wenn dies


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