Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll9. Sitzung / Seite 107

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Ich gebe auch ohne weiteres zu – und geniere mich nicht zu sagen –, dass es in der Welt und in Österreich größere Katastrophen geben mag als die Studiengebühren, dass an der Universität und in der Forschung viele Baustellen sind, die ebenso wichtig sind. Trotzdem haben Studiengebühren doch ein bildungspolitisch infernales Signal, ich glaube auch, ein kontraproduktives Signal. Warum? – Verglichen mit anderen Län­dern braucht Österreich mehr Studierende, nicht weniger! Wir sehen, dass einzelne ... (Zwischenruf der Abg. Dr. Brinek.)

Frau Brinek! Lassen Sie mich reden! Ich kenne mich mindestens so gut aus wie Sie, das können Sie mir glauben. (Beifall bei den Grünen.)

Es gibt eine Reihe von Berufsgruppen in Österreich, die bei uns nicht EU-kompatibel und international vergleichbar ausgebildet sind. Ich zähle dazu Berufe mit einem riesengroßen Frauenanteil: die ganzen Diplompflegeberufe, Krankenschwestern, Kran­kenpfleger, Medizinisch-Technische Dienste und nicht zuletzt die PflichtschullehrerIn­nen, die nicht auf EU-Niveau ausgebildet werden. Es ist ja überhaupt witzig, dass die Pädagogischen Hochschulen jetzt zum Bildungsministerium gehören – an und für sich richtig, weil sie keine Hochschulen sind, sondern reiner Etikettenschwindel. Ich bin aber trotzdem nicht unfroh, weil ich sie da vielleicht besser aufgehoben finde als im Wissenschaftsressort. (Abg. Dr. Fekter: Sie haben keine Ahnung, Herr Professor!)

Aber: Wie ist man mit Studiengebühren umgegangen, wenn wir hunderttausend Studie­rende mehr brauchen, wenn man Studierenden signalisiert, die Universitäten haben Angst vor euch, sie zerbrechen an euch, sie haben keinen Platz für euch, sie werden überlastet, sie müssen Zugangsregelungen schaffen, die ihnen dann selbst teilweise peinlich sind? Man schafft Prüfungen, deren Treffsicherheit mehr als fragwürdig ist, beschränkt Studienplätze und lässt die Leute vor der Tür stehen.

Was für Hoffnung gibt das der Jugend? Was für Vertrauen gibt das der Jugend? Wie denken die Eltern dieser jungen Leute? – Das ist nicht zuletzt Ihr Verdienst, sondern Ihre Schuld!

Wenn man meint, man kann mit Studiengebühren Anreize bilden, damit mehr Stu­dierende kommen, so muss ich anmerken, das wird wohl keiner, der halbwegs alle Nervenzellen im Kopf beisammen hat, nachvollziehen können. Wenn Familien Kinder haben – drei an der Zahl, zwei an der Zahl –, die studieren, macht das eine Summe pro Jahr aus, die wirklich auch dem Mittelstand an die Substanz geht, weil Studieren ja nicht gratis ist. Das ist alles Unfug, was hier behauptet wird. Studieren heißt auch, jahrelang auf Einkommen zu verzichten, abhängig zu sein von den Eltern, abhängig zu sein, dass man sich nebenbei den Lebensunterhalt verdient und damit auf Beitrags­jahre der Sozialversicherung verzichtet. Keine AkademikerIn kommt auf diese 45 Beitrags­jahre. Was ist denn da so toll daran?

Oder: Wissen Sie, Herr Bundeskanzler – Sie wissen es schon –, dass letztlich fast 80 Prozent der Studierenden arbeiten? Wenn man in der Regelstudienzeit fertig sein will, dann ist das mindestens eine 40-Stunden-Woche an Vorlesungen, an Seminaren und so weiter.

Und wenn Sie dann noch sagen – und das halte ich, wohlwollend betrachtet, für höchst unglücklich –, dass die Studierenden auch, nicht nur, Hospizarbeit leisten müssen, dann ist das eine schwere Kränkung und Missachtung schwer kranker und lebens­bedrohlich kranker Menschen. Jeder, vermute ich einmal, auf der Regierungsbank wird sich, wenn er krank ist, unter einem Klinikvorstand, einem Ordinarius am AKH nicht zufrieden geben. Sterbende, alte kranke Leute sollen dann StudentInnen zu Besuch geschickt bekommen – das desavouiert auch die Sozialberufe. (Beifall bei den Grünen.)

 


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