Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll61. Sitzung / Seite 234

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im Monat entspricht, und wir wollen eine automatische Valorisierung, um die Anpas­sungen nicht von der jeweiligen politischen Situation abhängig zu machen.

Meine Damen und Herren, ich frage mich wirklich: Wie können Sie gegen diese Forderung sein? Wie rechtfertigen Sie, dass jemand in Österreich nach wie vor jeden Tag von früh bis spät arbeitet – nicht jeden Tag, aber fünf bis sechs Tage in der Woche – und so wenig verdient, dass er arm ist?

Ich weiß, dass die Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in der SPÖ über gesetz­liche Lohnregelungen nicht reden wollen. Sie haben Angst, dass ein gesetzlicher Mindestlohn, dass gesetzliche Armutsbekämpfung sie ihren Einfluss verlieren lässt. (Abg. Riepl: Ein Gewerkschafter hat nie Angst!) Ich kann mich da nur den Ausführun­gen des Abgeordneten Dolinschek im Ausschuss anschließen, der gesagt hat ... (Abg. Riepl: Das gibt es auf der ganzen Welt nicht, dass ein Gewerkschafter Angst hat!) – Genau, wenn es einmal so weit ist, dass die Gewerkschaft vor solch einer Regelung Angst hat, dann weiß ich nicht, wie es um die Gewerkschaft insgesamt bestellt ist. (Beifall bei den Grünen.) Mir wird angst und bang, wenn Sie bei unserer Forderung nicht dabei sind.

Worum geht es Ihnen? Geht es Ihnen um Einfluss, um Macht oder geht es Ihnen um die Menschen, die unsere gemeinsame Unterstützung dringend brauchen würden? (Abg. Riepl: Genau so ist es!) – Aber, Herr Kollege Riepl, gerade von Ihnen und Ihrer Argumentation im Ausschuss bin ich so enttäuscht, weil Sie es nicht für notwendig halten, diesen wichtigen Schritt mitzugehen. (Abg. Riepl: Ich glaube, da reden wir noch einmal drüber unter uns zwei!) – Ja, gerne, aber wir reden jetzt schon ein halbes Jahr oder noch länger darüber – Kollege Öllinger, glaube ich, schon seit Jahren –, und Sie sind nicht dabei. Es geht Ihnen nur um Ihr sozialpartnerschaftliches Verhandlungs­zeremoniell, und das kann nicht um eine klitzekleine Nuance verändert werden. Es muss so bleiben, wie alles ist. – Ich bin enttäuscht!

Doch wirklich empörend, meine Damen und Herren, war die Argumentation von Minister Bartenstein, der leider nicht mehr da ist, und von Kollegem Mitterlehner, der jetzt auch nicht mehr im Saal ist, im Ausschuss. Beide haben ohne einen Funken von Scham – nicht „Charme“ im Sinne von „Esprit“, sondern „Scham“ –, ohne sich auch nur annähernd ein Spürchen zu schämen, ganz klar und deutlich gesagt, dass sie nicht der Meinung sind, dass eine Vollzeitbeschäftigung in Österreich „armutsfest“ sein muss, wie Mitterlehner das ausdrückte.

Was heißt das, meine Damen und Herren? Die ÖVP ist der Meinung, dass Vollzeit­arbeit, tagtägliche Arbeit von früh bis spät, natürlich entsprechend der Arbeits­zeitregelung, nicht so entlohnt werden muss, dass man ein Einkommen hat, das einen vor Armut schützt. Und was heißt Armut? Keine Sorge, ich komme Ihnen nicht mit Statistiken, sondern: Armut heißt, dass man sich das Nötige zum Leben nicht leisten kann. Die ÖVP ist also der Meinung, dass es gerechtfertigt ist, dass man jeden Tag arbeitet, sich aber von diesem Einkommen das Nötigste zum Leben nicht leisten kann – und das von einer ehemals christlich-sozialen Partei! (Beifall bei den Grünen.)

Sie negieren einen Anspruch, der bereits in der Bibel definiert ist: dass Vollzeitarbeit existenzsichernd sein muss. Sie negieren damit etwa auch einen der Väter des Liberalismus, Adam Smith, der genau dasselbe fordert. Als Europapartei negieren Sie entsprechende Forderungen der ILO, der International Labour Organization, oder des Europäischen Parlaments.

Wir Grüne fordern dezidiert: Vollzeitarbeit muss genug Lohn ergeben, um vor Armut zu schützen! Dazu braucht es einen gesetzlichen Mindestlohn, 1 000 € netto bei Vollzeit. Das würde etwas bringen – vielleicht nicht Ihnen hier im Saal, wir kennen unsere


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