Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll67. Sitzung / Seite 82

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Damit ist es aber auch schon genug des Unterschiedes und des Lobes gegenüber der ÖVP. Sie sind zwar bei parlamentarischen Debatten wirklich oft präsenter – das ist schon seit Jahren so –, aber das ist nicht mein Punkt. Das schützt Sie nicht vor folgen­der Kritik: Die ÖVP stellt sich regelmäßig vor jedem Wahlkampf als Hort des politischen Sonnensystems in Österreich dar, als Zentrum, um das sich alle drehen müssen. Ein Wunder, dass das so lange gelingt; diesmal sollte es Ihnen aber nicht mehr gelingen! (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Gleichzeitig besteht aber der Befund – nicht nur meiner –, dass die ÖVP und nament­lich mittelbar oder unmittelbar Dr. Schüssel – er agiert ja noch immer – maßgeblich da­ran beteiligt sind, dass Regierungen, die Sie immer mit Neustart-Gejohle inszenieren – auch jetzt erleben wir wieder diese Zeltfeststimmung –, ständig von der ÖVP gesprengt werden. Das ist jedenfalls der Befund.

Was diese Strategie betrifft, sage ich Ihnen: Wer einen solchen Butterberg auf dem Kopf hat, sollte sich nicht immer als „Hort der Stabilität“ bezeichnen. Das wird sich nicht mehr ausgehen! (Beifall bei Grünen und FPÖ.)

Ich glaube, es ist aus gutem Grund in den letzten Tagen sehr oft davon die Rede, dass die nächste Wahl eine Richtungsentscheidung sein wird. Das hört man öfter, aber diesmal ist etwas dran. Es stellt sich nur die Frage, wozwischen. – Wird es eine Rich­tungsentscheidung zwischen den jetzigen Regierungsparteien?

Wir haben eine ÖVP, die ihre eigenen Wahlversprechen – das ist etwas, das sie immer wunderbar der SPÖ umhängt – in der Koalition nicht einmal annähernd umgesetzt hat. (Abg. Strache: Die SPÖ hat auch nichts für den Mittelstand getan, weder für die klei­nen noch für die mittleren Unternehmen!) Sie kann das nur dadurch kaschieren, dass eine Sozialdemokratie in der Regierung, bevor sie überhaupt versucht hat, etwas zu er­kämpfen, schon die Energie verpuffen ließ und – entschuldigen Sie den Ausdruck, es ist zwar kein schönes Bild, aber mir fällt kein treffenderes ein – flachliegend irgendet­was oberhalb der Tischkante erreichen wollte. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Sie konnten deshalb nie auf den Tisch hauen, weil Sie nie über die Kante geschaut ha­ben. Irgendwann spüren das die Leute. Das ist nicht die Kritik daran, dass man nicht wissen würde, dass Kompromisse zu verhandeln sind. – Selbstverständlich, das ist das Problem unserer Zeit – ich darf mir diesen halbminütigen Ausflug tatsächlich erlau­ben –, nämlich dass allen immer suggeriert wird, es müsse alles, was gefordert wird, hundertprozentig durchgesetzt werden.

Man soll deshalb von seinen Forderungen nicht wirklich Abstand nehmen. Man muss es so erklären, dass vor eineinhalb Jahren fast nur die große Koalition möglich war. So war es! Es braucht sich niemand dafür zu schämen in diesem Haus. Es ist allerdings in der Verantwortung derer, die diese Koalition eingehen, wenigstens den glaubwürdigen Versuch zu unternehmen, das umzusetzen, was sie sich vorgenommen haben. An die­ser Glaubwürdigkeit und Kompromissbereitschaft hat es jedoch gemangelt. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Die Richtungsentscheidung zwischen einer Partei, die im Wesentlichen ganz offenkun­dig nur mehr die oberen Zehntausend – oder nicht einmal die, sondern die oberen 3 000 Stiftungsbesitzer – vor Augen hat, und einer Partei, der es nicht einmal mehr auf­fällt, dass sie damit ebenfalls über den Tisch gezogen wird – das wird die Richtungs­entscheidung nicht sein!

Wir müssen auch sonst feststellen, dass die Sozialdemokraten in Fragen der sozialen Gerechtigkeit relativ deutlich den Löffel abgegeben haben. Es reicht eben nicht, an einer Mindestsicherung herumzudoktern, wobei in irgendwelchen Haushaltstöpfen he­rumgeschoben wird und am Schluss in Wahrheit nicht mehr herauskommt, als vorher da war. Man wird sich dazu bekennen müssen, dass soziale Gerechtigkeit einer Um-


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