Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll23. Sitzung / Seite 141

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wieder vorkommen, Frau Innenministerin, diese Verharmlosung ist wohl nicht mehr zu überbieten. (Beifall bei den Grünen.)

Ich möchte Ihnen die Beschreibung der Betroffenen, was dort tatsächlich passiert ist, noch einmal vor Augen führen. Es waren im Besuchertunnel Franzosen anwesend, es waren auch KZ-Überlebende anwesend, unter anderem Henry Ledroy, ein 89-jähriger Überlebender von Ebensee. Unter ihnen war auch der Zeuge, der das Ganze dann auch sehr ausführlich im ORF beschrieben hat: Daniel Simon, Präsident des fran­zösischen Mauthausen-Komitees. Er wurde Augenzeuge und Opfer dieser Vorfälle. Er beschreibt das so: Es war halb zehn Uhr vormittags, wir waren mit anderen Besuchern, unter anderen auch Henry Ledroy, in dem Besuchertunnel unterwegs.

Ich weiß nicht, ob Sie den Ort kennen, ob Sie schon dort waren – ich nehme an, sicher. Es gibt dort eine Backsteinmauer mit einem vergitterten Fenster und einen Tunnelteil, der seit 1945 völlig unverändert ist.

Hier standen die Besucher und ließen den Ort auf sich wirken und haben dabei ihre Erinnerungen, ihre Gedanken, auch ihre Verletztheit wahrscheinlich gespürt – und in diesem Moment kam dann, so wie sie es beschreiben, durch zwei Querstollen plötzlich ein Mann mit schwarzem Blouson, Militärhose und Springerstiefeln, einer schwarzen Kapuze über dem Gesicht und einer Maschinenpistole in der Hand. Er ging von links nach rechts im Stechschritt und machte den Hitlergruß. Eine Minute später kam ein Zweiter und vollführte dasselbe, und dann kam noch ein Dritter, immer die Richtung wechselnd. Daniel Simon bekam dann eine der abgeschossenen Plastikkugeln an der Schläfe zu spüren, ein anderer Reisegefährte eine an der Backe.

Jetzt möchte ich Sie schon sehr eindringlich fragen: Wo sehen Sie hier eine „gegen­seitige Provokation“? Wo ist hier das gegenseitige Hochschaukeln? (Beifall bei den Grünen.)

Ich glaube, es ist auch notwendig, noch einmal zu erzählen oder zu beschreiben, was sich tatsächlich in diesem Lager in Ebensee zugetragen hat. Das war ein Nebenlager von Mauthausen. Im November 1943 werden die ersten Häftlinge von Mauthausen dorthin verlegt, sie müssen mit bloßen Händen aus dem Bergwerk, aus diesem Stollen Gestein heraustragen. Innerhalb dieser 18 Monate, in denen dort Menschen gefoltert und getötet wurden, sterben 8 000 Menschen an diesem Ort. Erst am 6. Mai 1945 erreichen amerikanische Truppen Ebensee und befreien das Lager.

Nach 1945, nach dem Krieg gab es nur ganz wenige, die verurteilt worden sind; bei Prozessen allerdings ausschließlich in Deutschland. In Österreich gab es keine einzige Verurteilung. Das nur zum Hintergrund. Ich finde es wichtig, dass wir uns noch einmal vor Augen führen, was dort tatsächlich passiert ist.

Es gab andere Besucher dort, die von diesem Vorfall nichts mitbekommen haben, die sehr positive Lebensgeschichten erzählen können, die sich auch in der Aufklärungs­arbeit sehr engagieren, die an Jugendliche herantreten, die das selber auch als Be­freiung empfinden, darüber sprechen zu können. Etwa Ladislaus Zuk, sehr schön im „Kurier“ nacherzählt, ein polnischer Jude, der mit einem Gewicht von 36 Kilogramm aus Ebensee befreit worden ist und der eine unglaublich positive Lebensgeschichte hinter sich hat, der gerade einmal sechs Worte kannte und dann eine Ebenseeerin geheiratet und dort eine zweite Heimat gefunden hat. Er spricht sich explizit für einen intensiven Dialog mit diesen Jugendlichen aus und ist davon überzeugt, dass U-Haft und Gefängnis nicht das Richtige für sie sind. Er meint, dass man um die Betroffenheit, die solche Geschichten, solche Lebensschicksale hervorrufen, nicht herumkommt. (Beifall bei den Grünen.)

 


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