Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll26. Sitzung, 16. Juni 2009 / Seite 195

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Reden wir auch darüber, welche Strömungen und welche Politiker in den Jahren vor 1938 und vor 1933 den geistigen Boden hier aufbereitet haben. Da hat auch die ÖVP ihren Anteil mitzutragen. Sie vergibt nämlich noch immer einen Preis, der nach Leopold Kunschak benannt ist. Wenn wir schon Tandler kritisiert haben – zu Recht, Kollege Kickl –, möchte ich auch Folgendes erwähnen: Leopold Kunschak hat in diesem Haus, ein paar Räume weiter, Reden gehalten, die von Antisemitismus nur so trieften. Das alles war eine Aufbereitung eines Bodens, der dann dazu geführt hat, dass man Men­schen nicht mehr als Menschen betrachtet hat, sondern noch schlechter als Tiere.

Daher sage ich – und das ist jetzt sozusagen mein Appell –: Wenn wir aus dieser De­batte einen Gewinn ziehen wollen … – Denn bisher war sie fruchtlos, und zwar deswe­gen, weil sie an den Problemen der Menschen draußen überhaupt vorbeigeht! Die poli­tische Klasse zeigt hier wieder einmal, dass sie völlig abgehoben über Dinge debattiert, die draußen kein Mensch mehr versteht. In einer Zeit, wo die Leute keinen Arbeitsplatz mehr haben, sich fürchten müssen, dass sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können, diskutieren wir darüber, ob nun die Grünen oder die Freiheitlichen die radikaleren sind. (Ruf bei der ÖVP: Genau!)

Ich habe mir diese zwei Bücher angeschaut. Ich mache sie nicht herunter, aber es ist ein bisschen alibimäßig; auch das ist alibimäßig, in etwa so wie der Antrag von der ÖVP. Es ist anerkennenswert, aber es reicht nicht. Lassen Sie uns die Dinge seriös aufarbeiten, denn um die Zeit nach 1945 und um die Verantwortung vor 1933 und vor 1938, um die ideologische Aufbereitung des Nährbodens haben wir uns nie wirklich ge­kümmert!

Wenn wir das machen wollen, sage ich Ihnen: Wir sind gerne dazu bereit! Alle Fraktio­nen dieses Hauses – das wäre ein Grundkonsens. Ich glaube, da können wir uns alle treffen – wenn man nämlich vorbehaltlos herangeht und aus der Sicht der Opfer, vieler Tausender und Zigtausender Österreicherinnen und Österreicher die Verbrechen, die im 20. Jahrhundert in unserem Land passiert sind, alle einmal aufarbeitet und auch die Kausalität in die richtige Reihenfolge stellt! Ich habe überhaupt nichts dagegen.

Ich habe es übrigens auch nie geleugnet – auch nicht in der Rede – und bestehe dar­auf. Ich sage nur, dass es nicht nur eine Opferkategorie geben kann, sondern: Aus der Sicht der Opfer ist es immer dramatisch – egal, von wem man misshandelt, miss­braucht oder getötet wird; es ist immer die gleiche Dramatik aus der Sicht der Opfer! Daher möchte ich, dass man das 20. Jahrhundert in Österreich einmal aus der Sicht der Opfer aufarbeitet!

Ein letzter Satz: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ, was Kollege Scheibner gesagt hat, hat schon seine Berechtigung.

Mein Appell ist schlicht und einfach: Selbst wenn man noch eine nationale Grundge­sinnung hat wie Kollege Weinzinger, dann muss man erkennen, dass nichts, aber auch gar nichts, im 20. Jahrhundert die großen kulturellen Leistungen unseres Volkes dermaßen nachhaltig in den Dreck gezogen hat wie der Nationalsozialismus. (Abg. Dr. Graf: Das sagen wir eh!) – Nein, dass sagt ihr eben nicht in der Deutlichkeit! Ihr duldet mittlerweile einen Randbereich, der immer breiter wird, der euch zum Problem wird (Abg. Strache: Wir sind ja Sie als Randbereich losgeworden!), und es wird zuneh­mend ein Problem dieses Landes. (Neuerliche Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Mein Appell ist, mit diesem Rand härter und klarer umzugehen. Wenn ihr das schafft, dann könnt ihr auch mit entsprechendem moralischem Anspruch hier heraustreten und sagen: Bitte, wir sind hier tatsächlich Opfer! – Aber das tut ihr derzeit leider nicht, und ich bedauere das wirklich sehr. (Beifall beim BZÖ.)

19.01

 


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