Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll93. Sitzung / Seite 86

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Was ist nun der Geist der Verfassungsnovelle, der Novelle, die die Regierung ins Haus geschickt hat und die heute vermutlich auch beschlossen werden wird? – Es ist ein Kleingeist. Es ist das Ziel, es möge sich nichts ändern. Man nimmt das heraus, was man umzusetzen bereit ist, auf den Rest pfeift man, und man übernimmt nichts von diesem großen Vorhaben, in irgendeiner Form etwas Dynamisches, eine Weiterent­wicklung in die Situation der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Österreich zu bringen.

Durch dieses Blatt Papier, das Sie heute hier beschließen wollen, wird sich an der Situation von Kindern und Jugendlichen in Österreich nichts ändern – original nichts. Der ehemalige Nationalratspräsident Khol hat für solche Verfassungsbestimmungen einen sehr kritischen Ausdruck gefunden. Er hat so etwas „Verfassungsschotter“ genannt. Dass das auf den heute zu beschließenden Gesetzentwurf zutrifft, ist sehr schade, weil Sie damit eine riesige Chance verpassen, tatsächlich etwas zu verbes­sern.

Wenn Sie das heute so beschließen, dann zeigt das, dass Sie der Meinung sind, die Situation von Kindern und Jugendlichen in Österreich sei in Ordnung und es gebe da nichts zu verbessern. – Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Es gibt sehr wohl offene Fragen wie die Kindergesundheit, die Armutsgefährdung von Kindern und Jugend­lichen, die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen, die Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen, die keinen österreichischen Reisepass haben. Auch der Schutz vor Gewalt ist in Österreich nach wie vor von der Postleitzahl beziehungsweise von regionalen Ressourcen im Jugendamt abhängig. – Das ist nicht der Geist der UN-Kinderrechtskonvention!

Sie wollen in diesen Bereichen nichts verbessern, und genau die Bereiche, die große Probleme enthalten, wie die genannten Themen – Kindergesundheit, Armutsgefähr­dung, Recht auf Bildung –, haben Sie jetzt bei der Umsetzung ausgespart.

Ich möchte noch einmal im Einzelnen belegen, wo der Verbesserungsbedarf besteht.

Bei den Gesundheitsdaten von Kindern und Jugendlichen – das ist mittlerweile inter­national belegt, und zwar im UNICEF-Bericht aus dem Jahr 2010 – liegt Österreich an letzter Stelle aller EU-Länder – an letzter Stelle! Bei uns zahlt man einen Spitals­kostenbeitrag, wenn man als Familie das Unglück hat, dass ein Kind für längere Zeit ins Spital muss, bei uns warten chronisch kranke Kinder, vor allem psychisch kranke Kinder mit psychosozialen Problemen, mit chronischen und Lebensstil-Erkrankungen, sehr lange auf eine angemessene Behandlung.

In Österreich sind 260 000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren armutsgefährdet; viele leben auch in manifester Armut. Das heißt, beim Kindergartenausflug oder beim Skiausflug sind dann die Kinder krank, oder sie können Freundinnen und Freunde nicht nach Hause einladen, weil man sich das nicht leisten kann.

Bei uns werden Minderjährige in Gefängnisse gesteckt, das bedeutet Schubhaft; das ist in Österreich bis zu zehn Monate lang möglich. Bei uns können 16-Jährige, auch wenn sie schon sehr lange hier in Österreich leben, abgeschoben werden und von ihren Eltern und ihrer Familie getrennt werden. Bei uns haben jugendliche Asylwerber keine Möglichkeit, eine Lehre zu machen. Höhere Schulen sind ihnen verschlossen, höhere Schulen müssen asylsuchende Jugendliche nicht aufnehmen.

Und wir haben nach wie vor die Situation in der Jugendwohlfahrt, dass es in einem Bundesland ein Krisenzentrum gibt, in einem anderen Bundesland keines. Der Schutz vor Gewalt ist ausschließlich davon abhängig, ob beim Jugendamt personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, um zu intervenieren und um Menschen in Krisen zu helfen. Das ist eine höchst unbefriedigende Situation.

 


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