11.34

Abgeordnete Dr. Irmgard Griss (NEOS): Herr Bundespräsident! Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Émile Durkheim beschreibt die Demokratie als „jene politische Form, durch die die Gesellschaft zum reinsten Bewusstsein ihrer selbst gelangt“. „Ein Volk ist umso demokratischer“, schreibt Durkheim, „je größer die Rolle ist, die Beratung, Reflexion und kritisches Denken bei der Behandlung der öffent­lichen Angelegenheiten spielen“. Dadurch wird eine Politik möglich, die von Vernunft und Verständnis geprägt ist, die ihrer Verantwortung gerecht wird und die Vertrauen schafft.

Das Vertrauen in die Demokratie ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten kontinuier­lich gesunken – in den klassischen westlichen liberalen Demokratien, aber auch in Ös­terreich. Im Frühjahr dieses Jahres wurde eine Sora-Umfrage veröffentlicht, wonach sich 43 Prozent der Befragten einen starken Mann an der Spitze des Staates wün­schen. 23 Prozent stimmten der Aussage zu, man „sollte einen starken Führer haben, der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss“.

Das ist eine besorgniserregende Entwicklung, die sich ja auch im Aufblühen des Popu­lismus widerspiegelt. Die Frage ist daher: Was können wir, die Abgeordneten dieses neu gewählten Parlaments, dazu beitragen, dass das Vertrauen in die Demokratie wie­der größer wird? Ich glaube, ein erster Schritt könnten Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Anstand sein. Dadurch würde das Ansehen des Parlaments steigen und damit auch das Vertrauen in die Demokratie gestärkt. Was meine ich damit?

Aufmerksamkeit bedeutet, zuzuhören, nicht nur körperlich anwesend zu sein, sondern auch geistig offen für das zu sein, was in Reden und Debattenbeiträgen gesagt wird.

Achtsamkeit ist mehr als Aufmerksamkeit. Wer achtsam ist, der begegnet dem, was gesagt wird, mit Verständnis und Respekt. Er lehnt Anträge und Anregungen nicht re­flexartig ab, nur weil sie von der falschen Partei kommen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Ganz selbstverständlich sollte sein, dass wir einander mit Anstand begegnen. Das gilt nicht nur für den Umgang zwischen Männern und Frauen, sondern für den Umgang miteinander ganz allgemein. Das mag nun etwas gouvernantenhaft klingen – als äl­teste Abgeordnete steht mir das aber wohl zu. (Heiterkeit bei den NEOS.) Der richtige Umgang miteinander war immer ein Thema, und gerade nach diesem Wahlkampf und auch den Ereignissen der letzten Zeit ist das aktueller denn je.

Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Anstand werden nicht nur das Ansehen des Par­laments erhöhen und das Vertrauen in die Demokratie stärken. Dieses, so könnte man es nennen, Triple A des Parlaments wird auch ganz entscheidend zum Erfolg der parlamentarischen Arbeit im Sinne einer Politik beitragen, die von Verständnis und Vernunft geprägt ist, die ihrer Verantwortung gerecht wird und die Vertrauen schafft. Ich glaube, wir sollten uns überlegen, ob wir uns nicht Regeln geben, die wir in einem Verhaltenskodex, einem Good Governance Code, festhalten. Ich glaube, dass damit das Ansehen des Parlaments und auch unsere Arbeit gestärkt würden.

In diesem Sinne darf ich uns allen mit einem steirischen Glückauf alles Gute für die gemeinsame Arbeit wünschen. – Danke. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordne­ten von ÖVP, SPÖ, FPÖ und Liste Pilz.)

11.40

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Ste­phanie Cox. – Bitte.