12.54

Präsidentin Doris Bures: Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrte Abge­ordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So wie Sie, Frau Präsidentin, es in Kürze tun werden, habe ich vor drei Jahren meine Antrittsrede gehalten. Damals habe ich gesagt, „jeder Mensch prägt ein Amt auf seine ganz persönliche Art und Weise, und das Amt prägt unweigerlich den Menschen, der es innehat“.

Heute bin ich im Rückblick selbst ein bisschen überrascht, wie sehr diese Worte auch auf mich zugetroffen haben, wie sehr mich dieses Amt geprägt und verändert hat. Heu­te möchte ich Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, sagen, dass ich dankbar bin, dass mir dieses Amt drei Jahre lang anvertraut war.

Ich durfte in meiner politischen Laufbahn ganz unterschiedliche Funktionen mit unter­schiedlichen Aufgaben ausüben. Als Nationalratsabgeordnete und Ministerin habe ich Interessen vertreten, Konflikte ausgetragen, habe um Mehrheiten gerungen und kon­krete Projekte realisiert. Ja, ich habe mitunter auch hart gekämpft, wenn es etwa da­rum gegangen ist, Gewaltschutzzentren finanziell abzusichern oder Investitionen in die Infrastruktur auf Schiene zu bringen. In einem Porträt hat man damals über mich ge­schrieben, ich habe nicht zwei Ellbogen, sondern vier.

Als Nationalratspräsidentin zählte es hingegen zu meinen Aufgaben, die Rechte des Nationalrates zu wahren und dafür zu sorgen, dass die ihm übertragenen Aufgaben erfüllt werden. Viele unterschiedliche Interessen und Meinungen werden hier in diesem Haus formuliert. Mein Ziel war und ist es, im Einvernehmen und im breiten Konsens zu einem möglichst guten Ergebnis zu kommen.

Der Grundstein für die Freude am politischen Gestalten, am Gemeinsamen, am Ver­antwortung-Übernehmen wurde vielleicht schon in meiner Kindheit gelegt. Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter mit fünf Geschwistern war es selbstverständlich, dass ich mit 15 Jahren die Schule verlassen habe und arbeiten gegangen bin, um zum Fa­milieneinkommen beizutragen. Es war auch selbstverständlich, dass die Großen für die Kleinen eintreten und dass wir füreinander da sind, dass wir füreinander Verantwortung übernehmen. Und es war mir schon sehr früh klar, dass es das Gemeinsame braucht, weil man gemeinsam stärker ist als allein. Dieser Gedanke lässt sich auch auf das große Ganze übertragen, wie der Schriftsteller Heinrich Mann gesagt hat: „Demokratie ist im Grunde die Anerkennung, dass wir [...] alle füreinander verantwortlich sind.“

Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, haben mit der heutigen Angelobung große Verantwortung für unser Land übernommen – für alle Menschen, auch für jene, die oft zu wenig im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit stehen.

Mir war es immer wichtig, die Tore des Hohen Hauses für möglichst viele zu öffnen. So haben wir mit der österreichischen Armutskonferenz zum Parlament der Ausgegrenz­ten eingeladen. Dort haben Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen und Wohnungslose mit Abgeordneten auf Augenhöhe diskutiert, weil Armut allzu oft kein selbst verschuldetes Schicksal ist, sondern eben ein gesellschaftliches Problem.

Wir haben einstimmig beschlossen, ehemaligen Heimkindern, die Gewalt und Miss­brauch erlebt haben, eine Opferrente zuzuerkennen. Beim Staatsakt Geste der Verant­wortung haben das offizielle Österreich und die Kirche die Betroffenen nach Jahrzehn­ten des Ignorierens und Wegschauens um Entschuldigung gebeten. Diese Menschen kennen das Parlament nun als den Ort, an dem ihr Leiden endlich offiziell anerkannt wurde. (Allgemeiner Beifall.)

Wir haben in unserer Mitte auch jene gehört, die als letzte Zeugen über die Gräueltaten des Nationalsozialismus berichtet haben. Ihnen Gehör zu verschaffen ist unsere Pflicht, denn – der frühere deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat das so aus­gedrückt –: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Ge­genwart.“ Und gerade am heutigen Tag, an dem Tag, an dem sich die Novemberpog­rome von 1938 jähren, ist es mir besonders wichtig, den Überlebenden zu danken: da­für, dass sie uns und unseren Kindern noch heute darüber berichten. Sie ermahnen uns, eine starke, eine mutige Demokratie zu sein, entschlossen gegen Rassismus, An­tisemitismus und Faschismus aufzutreten. (Allgemeiner Beifall.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Niemand wird als Demokrat geboren. Junge Menschen müssen Demokratie und Parlamentarismus erlernen und erleben können. Deshalb ist unser Bildungsangebot für Schülerinnen und Schüler so wichtig, und ich habe es für Lehrlinge geöffnet. Ich bin überzeugt davon, dass auch Kunst ein geeigne­tes Mittel ist, um mehr Bewusstsein für demokratische Prozesse zu schaffen. Deshalb haben wir am letzten Tag der offenen Tür in unserem alten Parlamentsgebäude ein außergewöhnliches Kunstprojekt initiiert: Österreichische AutorInnen, MusikerInnen, SchauspielerInnen wurden eingeladen, sich in aller Freiheit Gedanken über den Zu­stand unserer Demokratie zu machen. Das geschah mitunter kritisch und schonungs­los, aber in jedem Fall unübersehbar. 15 000 Besucherinnen und Besucher, so viele wie niemals zuvor, haben an diesem künstlerischen Diskurs teilgenommen.

Wir leben heute in einer Zeit des rasanten technologischen und wissenschaftlichen Wandels, und es ist oft schwierig, mit diesen Veränderungen Schritt zu halten und ihre Auswirkungen auch richtig abzuschätzen. Gemeinsam mit der Akademie der Wissen­schaften und dem Austrian Institute of Technology haben wir daher das Projekt Tech­nikfolgenabschätzung ins Leben gerufen. Sie als Abgeordnete erhalten damit erstmals einen systematischen Überblick über wissenschaftliche Entwicklungen und können bei Bedarf ganz konkrete Studien zu einzelnen Themen anfordern. Die Wissenschaft kann uns nicht die politische Entscheidungsfindung abnehmen, sie kann uns aber Orientie­rungshilfe für unser Handeln geben, damit wir schon heute auf die Herausforderungen von morgen auch richtig reagieren können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in den vergangenen Jahren auch Aufgaben erfüllt, mit denen unser Parlament noch nie konfrontiert war. Das Präsidium des Nationalrates hat erstmals den Vorsitz in zwei sehr arbeitsintensiven Untersuchungs­ausschüssen geführt, und es hat für 202 Tage die Amtsgeschäfte des Bundespräsiden­ten übernommen und geführt.

Daher möchte ich mich an dieser Stelle sehr herzlich beim Zweiten Präsidenten des Nationalrates Karlheinz Kopf und beim Dritten Präsidenten des Nationalrates Ing. Nor­bert Hofer für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken. Herzlichen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

Ja, und wie Sie sehen, hat erstmals in der Geschichte der Republik das Parlament seinen historischen Platz am Ring verlassen. Wir haben eine herausfordernde Über­siedlung in das Ausweichquartier erfolgreich abgeschlossen – und das alles zusätzlich zum parlamentarischen Tagesgeschäft.

Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode 468 Gesetze beschlossen, die mit viel Vorarbeit in den parlamentarischen Ausschüssen verbunden waren, und 30 Prozent aller Beschlüsse wurden sogar einstimmig gefällt. Das alles wäre nicht ohne die pro­fessionelle Arbeit und den tagtäglichen Einsatz so vieler Menschen möglich gewesen. Ich möchte Ihnen persönlich für all diese großen Leistungen, aber auch für die vielen kleinen, oft übersehenen Beiträge danken. Ich bedanke mich sehr herzlich bei den Klubobleuten der im Parlament vertretenen Fraktionen. Ich bedanke mich bei allen Ab­geordneten dieses Hauses. Ich bedanke mich beim Herrn Parlamentsdirektor und sei­nen beiden StellvertreterInnen. Und ich bedanke mich bei der Parlamentsdirektion ins­gesamt und bei allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Herzlichen Dank. (Allge­meiner Beifall.)

Ich glaube, wir können wirklich gemeinsam sagen: Ja, wir haben vieles und wir haben gemeinsam vieles auf den Weg gebracht! Ja, das Parlament kann auch ein Haus der Gemeinsamkeit sein! Deshalb bin ich auch sehr optimistisch, was die Zukunft dieses Hauses betrifft. Ich habe es als diskussionsfreudig und dialogfähig kennengelernt, fähig zur Auseinandersetzung und fähig zur Lösung. An der Spitze dieses Hauses stehen nun Sie, Frau Präsidentin, und ich gehe davon aus, auch Sie werden Ihre Akzente set­zen und auch Sie wird dieses Amt prägen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain hat vor über 100 Jahren am Ende des 19. Jahrhunderts unseren Kontinent bereist. Er hat dabei auch Reportagen aus dem Reichsrat in Wien geschrieben. Da heißt es über den damaligen Parlamentsbetrieb: „Während andere gesetzgebende Körperschaften vor allem mit dem Kopf arbeiten, tut es die österreichische vor allem mit dem Herzen.“

Ich denke, es braucht unbedingt beides: Ein starker Parlamentarismus braucht einen scharfen Verstand, aber auch Herz im Sinne von Leidenschaft und Engagement für die Menschen in unserem Land.

Ich wünsche Ihnen allen und diesem Haus alles erdenklich Gute, viel Erfolg. Es lebe die Republik Österreich! (Anhaltender allgemeiner, stehend dargebrachter Beifall. – Die aus ihrer Funktion scheidende Präsidentin Bures verlässt das Präsidium und reicht den Abgeordneten Kern, Schieder, Strache, Hofer, Strasser, Kurz, Wöginger und Kopf die Hand.)

13.07

(Präsidentin Köstinger übernimmt den Vorsitz. – Allgemeiner Beifall.)