16.37

Abgeordneter Mag. Christian Kern (SPÖ): Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Mei­ne sehr geehrten Damen und Herren auf der Regierungsbank! Sehr geehrte Abgeord­nete zum Nationalrat! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Fernsehschirmen und auf der Zuschauergalerie! Ich möchte zunächst den Regierungsmitgliedern zur Angelo­bung gratulieren. Sie haben eine wichtige Verantwortung übernommen. In ihrer Hand liegt in den nächsten fünf Jahren das Geschick Österreichs, und ich stehe nicht an, ih­nen eine glückliche Hand für ihre Entscheidungen zu wünschen.

Ich denke, es ist so: Wenn man einmal diesen ganzen türkisen Weihrauch und den blauen Dunst auf die Seite schiebt und sich mit den Fakten beschäftigt, dann sieht man, dass die Ausgangsvoraussetzungen für eine Bundesregierung wahrscheinlich sel­ten so gut gewesen sind, wie es heute der Fall ist. Wir sind beim Wirtschaftswachstum auf einem absoluten Rekordkurs. Und weil heute der Vergleich mit Deutschland gezo­gen worden ist: Wir haben im Jahr 2005 – Herr Bundeskanzler Kurz hat es gesagt – nach Deutschland geschaut und gesagt, das bessere Deutschland sei Österreich. Und die Deutschen haben uns damals beneidet.

Wir hatten damals in Österreich ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent. Heute sind wir, wie Sie wissen, einen ganzen Prozentpunkt darüber. Das heißt, die Ausgangsvo­raussetzungen sind so, dass wir heute tatsächlich das bessere Deutschland sind, und ich würde mir wünschen, dass durch die Maßnahmen und die Aktivitäten dieser Bun­desregierung dieser Vorsprung, den wir uns mühsam durch den Beitrag von vielen er­arbeitet haben, nicht verspielt wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe ja heute einiges gelernt, auch was Ihre persönlichen Vorlieben betrifft, und ich meine jetzt nicht die letzten Sätze des Herrn Vizekanzlers, sondern sein Bekenntnis und seine Liebe zu Goethe. Und wenn ich mir vergegenwärtige, was auf dieser politi­schen Bühne in Österreich in den letzten Monaten in Österreich aufgeführt worden ist, dann habe ich ein bisschen das Gefühl, dass wir beim Faust im Vorspiel hängenge­blieben sind (Abg. Hauser: Die SPÖ!), und jetzt warten wir alle darauf, dass endlich im Prolog der Mephisto auftritt. (Abg. Hauser: Das haben wir im Wahlkampf miterlebt!) Die Geschichte scheint nur jene zu sein – und so habe ich das Konzept verstanden, das hier vorliegt (Abg. Gudenus: Des Pudels Kern!) –, dass wir hier noch länger war­ten dürfen, weil wir offensichtlich, bis die Landtagswahlen im Frühjahr alle abgeschlos­sen sein werden, wesentliche Teile Ihrer Wahrheit nicht erleben werden.

Ich finde das bemerkenswert und finde das auch nicht in Ordnung. Und ich sage Ihnen, warum das so ist: weil wir genau diese Vorgangsweise in Oberösterreich gesehen ha­ben. Da hat man sich bis zur Nationalratswahl Zeit gelassen, bis man mit der ganzen Wahrheit hinter dem Vorhang hervorgekommen ist, und diese ganze Wahrheit hat dann in Streichungen für die Kinder, in Streichungen für die Familie, in Kürzungen für Behin­derte und in Kürzungen für Kunst- und Kulturschaffende geendet. (Abg. Haider: Das ist überhaupt nicht wahr! Das stimmt ja gar nicht! Wo sei das gewesen?) Das ist genau das, was man, wenn man Ihr Programm präzise liest, auch hier wiederum erwarten darf. (Beifall bei der SPÖ.)

Mein Vorschlag ist: Schauen wir einmal hinter die Worthülsen, schauen wir einmal, was die Substanz dessen ist, was da vorgelegt worden ist, und fragen wir uns, was man von diesem Programm halten soll!

Ich gebe Herrn Kurz recht: In der Tat hat dieses Programm keine Überraschungen ge­boten. Es hat keine Überraschungen geboten, weil es, zumindest aus meiner Sicht – und das wird Sie nicht wundern –, eine Reihe von Rückschritten in gesellschaftspoliti­scher, in wirtschaftspolitischer, in sozialpolitischer und auch in umweltpolitischer Hin­sicht beinhaltet.

Ich kann auch sagen, ich gebe Herrn Vizekanzler Strache gerne recht, wenn er meint: Ja, wir haben nicht 100 Prozent erreicht!, aber ich möchte hinzufügen – ich will das jetzt nicht als Wort des Jahres bezeichnen –: Das ist echt die Untertreibung des Jahres! Denn wenn ich mir genau anschaue, was in diesem Programm drinnen steht, dann muss ich sagen: Von dem, was Sie vor der Wahl versprochen, angekündigt haben, finde ich da­rin bestenfalls homöopathische Dosen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe den Eindruck gewonnen – und, mit Verlaub, das ist so –, dass wir eine Wahl­auseinandersetzung und im Anschluss daran eine Regierungsbildung erlebt haben, bei der im Rekordtempo Versprechungen und Ankündigungen über Bord geworfen worden sind. Ich habe verstanden, dass Sie sich in den letzten Jahren wirklich um Ihr Image bemüht haben, dass Sie der Vertreter der kleinen Leute sind, dass Sie die Kämpfer, die Aufrechten und Wackeren gegen das System und gegen den Filz aller Provenienz sind. Wenn ich mir heute anschaue, was davon übriggeblieben ist, dann kann ich nur sagen: Sie haben Ihre Wähler ganz schön verraten. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Hai­der: Das haben nur Sie! – Zwischenruf des Abg. Zanger.) Sie haben sich zum Steig­bügelhalter einer Politik machen lassen (Abg. Lausch: ... SPÖ-Parteitag passen! So ei­nen Blödsinn reden!), die im Wesentlichen den Großspendern der Wahlkampagne der ÖVP nützt.

Ich muss Ihnen sagen, es ist auf der einen Seite in der Opposition leicht, Dinge zu kri­tisieren, aber es ist auf der anderen Seite so, dass Sie heute als Vizekanzler, als Freiheitliche Partei in einer Position sind, in der es nicht mehr wurscht ist, was passiert, sondern jetzt haben Sie die Verantwortung für das, was die Lebensverhältnisse der Menschen betrifft, wirklich in Händen. Deshalb lohnt es sich, sich genau anzuschauen, was Sie da vorschlagen und was das bedeuten wird. Es tut mir leid, wenn ich diese Feierstunde mit Fakten ankränkle (Ruf bei der FPÖ: „Fakten“!), aber wir haben uns ganz genau mit Ihrem Programm auseinandergesetzt.

Schauen wir uns zum Beispiel an, was aus meiner Sicht eine der größten Herausforde­rungen ist: der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit ist ein gesellschafts­politischer Skandal, wir dürfen ihn nicht zur Kenntnis nehmen. Doch in diesem Pro­gramm gibt es einen Vorschlag von Ihrer Seite, der darauf hinausläuft, die Beschäfti­gungsprogramme für die über 50-Jährigen massiv zusammenzustreichen. (Abg. Dei­mek: Die Beschäftigung ...!) Überlegt man jetzt, was das bedeutet, wer da betroffen ist, so stellt man fest: Es sind zum Beispiel 53-Jährige, die Hunderte Bewerbungsschrei­ben abgegeben haben, die in der Lage sind, etwas zu leisten, die kompetent sind, die etwas können und die in vielen Fällen nicht einmal eine Antwort bekommen. – Das sind die Menschen, denen Sie jetzt die Türe vor der Nase zuwerfen!

Nicht genug damit: Sie streichen nicht nur die Programme, die diesen Menschen wie­der Hoffnung und eine Zukunftsperspektive geben, sondern Sie gehen noch einen Schritt weiter, denn in Ihrem Programm ist ganz klar festgehalten, dass Sie eine Kür­zung des Arbeitslosengeldes bei längerer Arbeitslosigkeit vorschlagen – degressives Ar­beitslosengeld nennen Sie das –, und dass hat zur Folge, dass Menschen tatsächlich in die Armut gestoßen werden und dass ihnen jegliche Hoffnung genommen wird.

Damit nicht genug, denn wenn man Ihr Programm weiter genau liest – und ich kann Ih­nen sagen, es ist eine lohnenswerte Übung; Sie sollten das vielleicht auch noch einmal in epischer Breite tun –, dann sieht man, dass Sie mit der Streichung der Notstandshil­fe Menschen nach längerer Arbeitslosigkeit in die Mindestsicherung stoßen. Wissen Sie, was das bedeutet? – Sie geben diesen Menschen nicht nur keine Hoffnung, Sie nehmen ihnen nicht nur ihren Job, sondern am Ende eines Berufslebens nehmen Sie ihnen alles weg, was sie sich ein Leben lang aufgebaut, erspart und mit ihrer Hände Arbeit geschaffen haben. Das ist Ihre Politik! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Kol­ba. – Zwischenruf des Abg. Deimek.)

Ich halte es auch für bemerkenswert, dass Sie – wenn man weiterliest, sieht man das, ein paar Paragrafen später – diese Menschen, die Mindestsicherung beziehen, dann noch zum Arbeitsdienst verdonnern wollen. Ich frage Sie jetzt ehrlich: Wie können Sie dieses Programm, diese Politik verlangen und diesen Menschen in die Augen schauen, sie am Ende auch noch für ihr Schicksal demütigen? Ihre Politik ist eine Politik, die sich gegen die Armen richtet und nicht gegen die Armut! (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn Sie sich darüber beschweren, dass jemand sagt, das sei ein Hartz-IV-Modell für Österreich, wenn Sie sagen, das sei nicht so, dann gebe ich Ihnen recht, denn das ist nämlich schlimmer, das geht noch in vielen Punkten weiter. Das Bild, das Gesell­schaftsbild, das Sie dahinter ausbreiten, ist eines, wo Sie sagen (Zwischenruf bei der ÖVP): Arbeitslosigkeit, das ist ein selbst gewähltes Schicksal!, und dabei lassen Sie außer Acht, dass sich heute in Österreich sechs Arbeitslose um einen Job raufen. – Das ist das Problem (Abg. Haider: Das ihr geschaffen habt!), und das sind die Fragen, für die wir Lösungen brauchen! (Zwischenruf des Abg. Zanger. – Abg. Höbart: Da hat die Sozialdemokratie viel geleistet!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns im Vorfeld dieser Wahlausein­andersetzung auch intensiv mit der Frage der Gestaltung der Arbeitswelt auseinander­gesetzt. Eine der Schlüsselfragen war die Frage, ob es in Österreich die Möglichkeit zum 12-Stunden-Arbeitstag geben soll, eine gegenüber dem heutigen Stand ausge­baute Möglichkeit. (Rufe bei der ÖVP: Plan A!) Ich habe es noch gut im Ohr, wie Sie gesagt haben, das dürfe unter keinen Umständen passieren, das sei leistungsfeindlich und ich weiß nicht was. Sie haben dagegen gewettert, Sie haben gesagt, Sie wollen das nicht. (Ruf bei der FPÖ: Das gibt es doch schon längst!)

Was sagen Sie jetzt den Menschen, denen Sie genau diese Politik aufs Auge drücken? Was sagen Sie den Menschen, die um 4 Uhr in der Früh aufstehen, nach Wien pen­deln, zwei Stunden lang, dort arbeiten gehen (Abg. Haubner: Herr Kern, bitte!), die jetzt zwölf Stunden arbeiten dürfen, 60 Stunden pro Woche, und denen Sie nicht den ge­ringsten Ausgleich für diese Verschlechterung zu bieten bereit sind? (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der FPÖ: Unfassbar!)

Ich habe Ihre Worte im Ohr, und ich kenne Ihre Ausrede – und es ist Ihnen gelungen, das dem einen oder anderen einzureden –; Sie sagen dann: Das ist ja alles nur freiwil­lig! – Jeder, der einmal in seinem Leben in einem Betrieb gewesen ist, weiß, wie weit es mit dieser Freiwilligkeit her ist. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Sie behaupten auch, dass das natürlich keine Überstundenzuschläge kosten wird. Ganz ehrlich: Schauen Sie sich doch einmal die Modelle an, wie das wirklich funktioniert!

Das Entscheidende für die Überstundenfrage sind die Durchrechnungszeiträume, und es ist gute, bewährte Praxis in Österreich, dass die Gewerkschaften Kollektiverträge aushandeln, in denen Durchrechnungszeiträume festgelegt werden; das schützt die Ar­beitnehmer. Wenn Sie das auf die betriebliche Ebene verlagern, dann verändern Sie das Gleichgewicht; dann verändern Sie das Gleichgewicht zugunsten der Arbeitgeber, und die Arbeitnehmer bleiben übrig. Ich sage Ihnen: Ihr Modell wird unter Garantie und mit Gewissheit zur Streichung von Überstundenzuschlägen für die Menschen in Öster­reich führen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Deimek.)

Das lässt sich fortsetzen. Ich kann Ihnen sagen, wenn Sie glauben, dass die Wähler das nicht merken, dann ist das, denke ich, eine kapitale Täuschung.

Sie fordern ein faires Mietrecht, Fairness wird hier eingefordert. Die spannende Frage ist: Fairness für wen? Es sollte uns zu denken geben, dass der Verband der Zinshaus­besitzer und Großgrundbesitzer in Jubel ausgebrochen ist; die tun das nicht von unge­fähr, denn die wissen, was da kommt. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Deimek. – Abg. Höbart: Sagt der ...besitzer Kern!) Und die wissen auch, was das auf der Gegen­seite bedeutet, was da durchgesetzt worden ist, nämlich Verschlechterungen bei Miet­verträgen in Gründerzeithäusern.

Ich frage mich, was Sie den Jungfamilien erklären, die heute schon 50 Prozent ihres Einkommens für die Mieten ausgeben. Werden Sie denen ehrlich sagen: Ja, das wird alles noch teurer werden (Abg. Rosenkranz: Wieso sollen wir sie anlügen?), weil wir natürlich auf die Fairness für die Hausbesitzer und Zinshausbesitzer achten werden!? – Natürlich werden Sie das nicht tun. (Beifall bei der SPÖ.)

Wie werden Sie den kleinen Leuten erklären, dass ihre Kinder in Zukunft Studienge­bühren zu zahlen haben, dass soziale Barrieren geschaffen werden? Ich verstehe schon, dass sich Burschenschafter in elitären Klubs wohlfühlen (Heiterkeit der Abgeordneten Haider und Höbart sowie Zwischenruf des Abg. Deimek), aber das ist eine Bildungs­politik, bei der man sagt: Eliten müssen unter sich bleiben! Und das ist eine Politik, die einen Rückschritt in eine ferne Vergangenheit darstellt. (Beifall bei der SPÖ.)

Geschätzte Damen und Herren von der FPÖ, ich verstehe Ihre Emotionen, aber wis­sen Sie, was die Wahrheit ist? – Sie sind im Tigerkostüm losgesprungen (Abg. Neu­bauer – ein Schriftstück in die Höhe haltend –: Das ist Ihre Wahrheit! Das ist Ihre Wahr­heit! Sie lassen sich vom Steuerzahler ein zweites Gehalt zahlen!) und sind als Bettvor­leger geendet. Das ist die Realität! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Zanger.)

Wissen Sie, ich hätte ja noch Verständnis dafür, wenn man sagt, da gibt es große be­deutende Reformen, die unser Land zum Guten verändern werden. Wenn Sie sich aber diese Reformen anschauen, was bleibt da übrig? – Heute in der Früh war im „Mor­genjournal“ zu hören, dass Sie gefeiert haben, die größte Reform, die Sie anzubieten haben, ist die Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalten auf fünf. – Bravo! Aber was machen Sie da in Wirklichkeit? – Sie ändern die Türschilder, mehr ist es nicht (Zwischenruf bei der FPÖ), denn wenn Sie sagen, die Länder sollen weiter die Budgethoheit behalten (Beifall der Abgeordneten Loacker und Strolz), die Länder sol­len weiter die Personalhoheit behalten, dann passiert exakt gar nichts. Sie werden nicht einen Cent mit dieser Politik einsparen, das kann ich Ihnen jetzt schon prophe­zeien. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Deimek: 129 ...!)

Was Sie damit aber erreichen, und das ist das Perfide daran, ist Folgendes: Sie ver­ändern wieder die Verhältnisse in unserem Land (Abg. Haider: Zum Glück! Zum Glück werden die Verhältnisse geändert! – weitere Zwischenrufe bei der FPÖ), denn die Selbstverwaltung war ein wichtiges Prinzip des Ausgleichs zwischen den Arbeitneh­mern und den Arbeitgebern. Was Sie jetzt tun, ist, die Machtverhältnisse zu ändern, zulasten der Arbeitnehmer, die in diesem System diejenigen sein werden, die auf der Strecke bleiben.

Wenn Sie dann sagen: Na ja, wir sparen ja im System und nicht bei den Menschen!, dann darf ich Sie nur auf einen kleinen Punkt hinweisen, auf einen Denkfehler, der sich wie ein roter Faden durch dieses Programm zieht; bleiben wir bei der Allgemeinen Un­fallversicherungsanstalt: Sie sagen, wir sollen 500 Millionen Euro einsparen. Aber was machen denn die? – Die unterhalten die Unfallkrankenhäuser, die unterhalten die Re­hazentren. Diese 500 Millionen Euro, die da gespart werden sollen, sind Finanzierungs­beiträge der Arbeitgeber in Österreich. Wenn Sie die jetzt streichen, haben Sie zwei Möglichkeiten: Die eine ist, Sie kürzen die Leistungen für die Menschen im Land, die andere ist, Sie zwingen die Arbeitnehmer, höhere Beiträge zu zahlen. Da sage ich Ihnen eines: Dann kommen Sie bitte nicht her und sagen, Sie sparen im System und nicht bei den Menschen, denn es ist umgekehrt! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Bißmann.)

Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, den ich bemerkenswert finde, weil er heute auch zitiert worden ist. Sie haben voller Stolz erzählt, Sie entlasten die kleinen Einkom­men. Ich möchte hinzufügen: Ich halte das für richtig. Über die Maßnahme, die Sie ge­setzt haben, kann man sicher auch diskutieren. (Ruf bei der FPÖ: Nicht diskutieren, machen! Wir machen es!) Eines stimmt aber nicht, und ich würde vorschlagen, dass wir uns da an einem unserer Vorgänger als Bundeskanzler orientieren, der einmal ge­sagt hat, man solle den eigenen Lavendel nicht glauben. Der springende Punkt ist aber: Was Sie mit diesem Vorschlag der Kürzung der Arbeitslosenversicherungsbeiträ­ge tun, ist gut, aber 3,4 Millionen Österreicher und Österreicherinnen schauen durch die Finger – die Pensionisten kriegen nichts, und alle, die weniger als 1 380 Euro ver­dienen, profitieren nicht davon.

Wenn Sie dann stolz sind und sagen: Auch mit dem Familienbonus entlasten wir die kleinen Einkommen!, dann muss ich Ihnen sagen: Das ist nicht so, denn eine Alleiner­zieherin, die zwei Kinder hat, die weniger als 1 250 Euro verdient (Abg. Schimanek: Die haben Sie in der Sozialdemokratie schon lange vergessen!), kriegt mit dem Vor­schlag 0 Cent Entlastung. Auch die schauen wieder durch die Finger, denn diese Ent­lastung kriegt man erst im vollen Umfang, wenn man mehr als 2 500 Euro – bei zwei Kindern – verdient.

Wissen Sie, was das Schlimme daran ist?  Dass Sie am Ende dabei nicht nur einen finanzmathematischen Denkfehler haben, sondern dass Sie mit einem Prinzip Schluss machen – mit einem Prinzip, auf das wir zu Recht stolz waren! –, und dieses Prinzip hat gelautet, dass jedes Kind in unserem Land gleich viel wert sein muss. Was Sie hier demonstrieren, ist, dass das nicht mehr so ist und dass Kinder aus armen Familien weniger wert sind als Kinder aus reichen Familien. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich finde es auch bemerkenswert, was noch alles in dem Programm drinnen steht, et­wa zum Thema soziale Gerechtigkeit, ein gerechtes Steuersystem. Sie kündigen Kör­perschaftsteuersenkungen an, das wird mit dem Argument in Bezug auf Klein- und Mittelunternehmen verkauft. Wir wissen, dass das ein Unsinn ist, weil der Großteil da­von ja gar keine Körperschaftsteuer zahlt.

Das Bemerkenswerte ist aber, was da nicht drinnen ist. Sie haben sich im Wahlkampf dazu bekannt, dass wir konsequent gegen die Steuervermeidungspraktiken der inter­nationalen Konzerne vorgehen, dass wir uns nicht mehr länger von Starbucks, Amazon und Co rollen lassen, die in unserem Land die volle Infrastruktur in Anspruch nehmen, aber keine Steuern zahlen. Wir haben das geglaubt, wir waren zufrieden, dass Sie end­lich auf unseren Kurs einschwenken. Wenn man jetzt in dieses Programm schaut, sieht man plötzlich, dass die Transparenzverpflichtungen dieser Konzerne nur im Einklang mit der EU passieren sollen, dass Modelle wie die digitale Betriebsstätte, dass die endlich in Österreich Steuern zahlen, nur im Einklang mit der EU passieren sollen. Mit anderen Worten: Das wird nicht kommen. (Abg. Rosenkranz: Ihre Anti-EU-Haltung ist groß!)

Und wenn man sich fragt, warum das so ist, dann muss man sagen: Da schützen Sie wieder die Falschen. Ich weiß gut genug, dass da auch genug österreichische Unter­nehmen profitieren, die sich natürlich lobbymäßig die Füße vor Ihrer Türe platt stehen. (Beifall bei der SPÖ.)

Leuchttürme, ein interessantes Stichwort: Wir haben erwartet – und Sie haben das ja immer wieder betont –, es geht um Veränderung, es geht um eine neue Zeit, es geht darum, dass wir die Chancen der Zukunft nützen. Wenn ich mir die Herausforderungen und Chancen anschaue, vor denen wir stehen, dann muss ich sagen, ich finde es wirklich bedauerlich, dass sich in Ihrem Programm dazu herzlich wenig findet.

Digitalisierung kommt als Stichwort vor, aber die entscheidenden Fragen werden nicht beantwortet: Wie geht es in diesem Zusammenhang mit unserem Sozialsystem weiter? Wie geht es mit der Arbeit weiter? Wie geht es mit dem Steuersystem weiter? Wie wird sich Österreich in einer globalen Welt schlagen? Wie gehen wir mit dem Klimawandel um? Seien Sie mir nicht böse: Das, was Sie als Fortschritt gefeiert haben, dass das Landwirtschaftsministerium jetzt für die Energie zuständig ist, ist meines Erachtens ei­ne Bedrohung, weil ich weiß, das wird in noch mehr Geld für die Agrargroßindustrie mün­den. (Beifall bei der SPÖ.)

Wie gehen wir mit Ungleichheit um? – Alles das wären geeignete Projekte für echte Leuchtturmpolitik gewesen (Zwischenrufe der Abgeordneten Gerstl und Rädler), aber Ihre Leuchttürme bestehen aus einem Berg leerer Zigarettenschachteln. Sie führen Ös­terreich wieder in ein Retrokonzept der Siebzigerjahre zurück. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Rosenkranz – Bezug nehmend auf die Mimik des Bundespräsidenten Van der Bellen –: Der Herr Bundespräsident fühlt sich angesprochen! – Abg. Höbart: Tief frustriert!)

Ich darf noch zum Thema Europäische Union kommen: Es ist in der Tat erfreulich, zu hören, dass es ein entsprechendes Bekenntnis gegeben hat, und ich halte das für das Mindeste und das Notwendigste. Ich möchte aber hinzufügen, dass allein der Um­stand, dass Sie sich darauf geeinigt haben, dass Österreich nicht aus der Europäi­schen Union austritt oder nicht aus dem Euro austritt, noch lange keine proeuropäische Politik ist. Und ich muss Ihnen sagen: Solange die Freiheitliche Partei gemeinsame Sache mit einer Le Pen, mit einem Wilders, mit einem Farage macht (Abg. Rosen­kranz – erheitert –: Jetzt wird es immer bunter!), so lange – das wissen Sie doch ge­nauso gut wie ich – werden wir auf europäischer Ebene nicht ernst genommen werden, was unsere Europapolitik betrifft. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Strolz. – Abg. Neubauer: ... heute noch nach Nordkorea!)

Die Herausforderung, um die es mir geht – und wir haben das bei der Steuerpolitik ja gesehen –, ist: Wir brauchen gesamteuropäische Lösungen, wir brauchen ein Bekennt­nis zur Vertiefung, wir brauchen ein Bekenntnis zur Integration (Abg. Rosenkranz: Was jetzt?) – und wir brauchen nicht eine Europapolitik, die auf weniger, auf langsamer, auf Subsidiarität, wie Sie sie verstehen, setzt. Macron hat seine Hand für eine progressive, offensive Europapolitik ausgestreckt. Mir wäre wohl, wenn wir das annehmen würden, da einschlagen würden, uns nicht auf die Seite von Orbán und Kaczyński stellen wür­den. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz.)

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf das Eingangsmotiv der Veränderung zurückkommen! Diese Veränderung ist vielfach proklamiert worden, es ist aus meiner Sicht eine Veränderung nach hinten; es ist nicht Zeit für Neues, es ist die Zeit für Altes. Eine Veränderung ist allerdings tatsächlich eingetreten, sie ist mit freiem Auge sichtbar, und ich kann dem Kollegen ja nur dazu gratulieren: Was Sie getan haben, Herr Bun­deskanzler Kurz, ist, Sie haben die FPÖ in die Regierungsverantwortung geholt. Das ist Ihr gutes Recht (Zwischenruf des Abg. Lausch), es ist in einer Demokratie so, dass das passieren kann, das ist die normale Abfolge von Mehrheiten.

Ich denke aber, es wäre nur fair, wenn Sie diese Verantwortung übernehmen würden, sich hinstellen und sagen würden: Ja, ich habe das von langer Hand geplant, das ist das Regierungsbündnis, das ich wollte! (Abg. Neubauer: So wie Sie den Faymann ...!), und keine Ausreden suchen würden – wenn Sie dann aber auch die Verantwortung da­für übernehmen würden, dass in Österreich Topjobs in der Bürokratie mit Leuten be­setzt werden, die am Rande des Rechtsextremismus schrammen (Oh-Rufe bei der FPÖ), wenn Sie die Verantwortung dafür übernehmen würden (Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen), dass Israel mit einem wesentlichen Teil der österreichischen Bun­desregierung nicht kooperieren will (Abg. Riemer: Ungeheuerlich!), und auch die Ver­antwortung dafür übernehmen würden, dass Sie dieser Freiheitlichen Partei den Zu­gang zum Sicherheitsapparat geöffnet haben (Abg. Schimanek: Die Prinzessin auf der Erbse!) und ihr die Geheimdienste ausliefern; das ist ein historisches Verdienst, das mit Sicherheit bleiben wird. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Das Bespitzeln hätten Sie lieber in Ihrer Hand, so wie bisher, ja, ja, ja!)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf Sie ersuchen, zum Schluss zu kommen; Ihre Redezeit ist zu Ende.

 

Abgeordneter Mag. Christian Kern| (fortsetzend): Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Ich denke, es sind viele verpasste Chancen, es sind viele enttäuschte Verspre­chungen. (Abg. Lausch: ... Jahre Zeit gehabt! – Ruf: Redezeit!) Ich bin davon über­zeugt, dass die Reformen, die es braucht, hier von dieser Bundesregierung nicht vor­gelegt worden sind. Ich sehe eine Vielzahl von Rückschritten in gesellschaftlicher Hin­sicht, in bildungspolitischer Hinsicht, in sozialpolitischer Hinsicht (Abg. Lausch: ... Jah­re nichts getan!), und ich kann Ihnen nur sagen: Ich würde mir wünschen, dass die Politik und die Zeit der Taktik jetzt vorbei ist und wir endlich zum Handeln für unser Ös­terreich kommen! – Danke. (Lang anhaltender Beifall bei der SPÖ. – Abg. Neubauer: Schlechter Verlierer!)

16.58

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter August Wöginger. Ich erteile ihm das Wort. (Abg. Rosenkranz: Schöner Auftrittsapplaus!)