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Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (PILZ): Herr Präsident! Geschätz­te Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und -bürger! Der Arbeitsmarkt und die Sozialpolitik sind zwei Zentralsäulen eines Staatswesens und als solche untrennbar miteinander verbunden. Wie wir heute aber leider erleben mussten, sind sie nicht nur ideologisch, sondern meiner Einschätzung nach auch polemisch aufgeladen. Auch aus Ihrer Rede, Frau Ministerin, habe ich die Oppositionspolitik herausgehört, und ich wür­de empfehlen, viele Ihrer Vorwürfe dem aktuellen Nationalrat gegenüber dem eigenen Regierungspartner auszurichten, der Teil der letzten Regierung gewesen ist und Ihnen dieses Erbe, das Sie, wie Sie gesagt haben, hinterlassen bekommen haben, auch hin­terlassen hat. (Abg. Rädler: Sie auch, oder?!)

Wenn wir also über Wege und Möglichkeiten reden und diskutieren, um Arbeitslosigkeit und ihre verheerenden Folgen zu bekämpfen, ist es vielfach entscheidend, mit wel­chem Menschenbild wir das tun. Gehen wir beispielsweise davon aus, dass jeder Mensch frei und gleich an Würde und Rechten geboren ist und noch dazu mit Vernunft begabt – man könnte das der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 ent­nehmen –, dann könnte man daraus auch ableiten, dass es der Wunsch eines jeden Menschen ist, zu lernen, für einen gerechten Lohn zu arbeiten und sich um seine Familie, seine Angehörigen und allgemein sein soziales Umfeld zu kümmern.

Persönlich habe ich große Sympathien für diesen Zugang, und ich wünsche mir daher eine Politik, die darauf ausgerichtet ist, dass Menschen auf ihrem Lebensweg gefördert werden, dass sie unterstützt, positiv bestärkt werden und gerade in schwierigen Zeiten auch jene Sicherheit erhalten, die sie in dieser Situation brauchen, die für die Betrof­fenen notwendig ist, um ihnen neuen Mut zu geben, um nach vorne blicken zu können. Und ich will eine Politik, die gerade dann einen gerechten Beitrag der Einzelnen ver­langt, wenn sie stark genug sind, um diesen auch zu leisten. Ich spreche da von jenen oberen 5 Prozent der Bevölkerung, die mehr als die Hälfte des Nettovermögens in Ös­terreich besitzen.

Die Vorhaben der aktuellen schwarz-blauen Regierung sprechen aber überwiegend ei­ne andere Sprache. Anstatt für jene Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, durch aktive Arbeitsmarktpolitik und Perspektivenbringer wie die Aktion 20 000, die damals auch von der ÖVP unterstützt wurde, oder den Beschäftigungsbonus Chancen für den Wiedereinstieg zu generieren, diese Initiativen weiter voranzutreiben, werden diese Programme schon vor Ende der Evaluierungsfrist, vor Ende einer Erprobungs­phase völlig eingestampft. Türkis-Blau setzt nun langzeitarbeitslose Menschen, die ge­rade erst wieder einen Job gefunden haben, damit bewusst wieder vor die Tür und überlässt sie der Freiheit des Marktes, obwohl wir wissen, dass gerade dieser freie Markt bei älteren Menschen, die langzeitarbeitslos sind, völlig versagt.

Als wären diese Einschnitte nicht genug – wir wissen natürlich, worin das begründet ist: Ausscheiden der SPÖ aus der Regierung, ein kleines Nachtreten der ÖVP ihrerseits –, als wäre das nicht genug, wird im Windschatten des Wirtschaftsaufschwungs auch noch an der Einführung eines Austro-Hartz-IV-Modells gearbeitet; wenn wir es so be­zeichnen wollen. Frau Ministerin, Sie haben sich dagegen ausgesprochen, und ich möchte Sie darin bestärken, diesen Weg weiterzugehen.

Sollte sich dieses Hohe Haus dazu mitreißen lassen, mehrheitlich den anderen Weg zu gehen, dann ist laut Bundeskanzler Kurz ja noch immer der Weg in die Mindestsiche­rung offen – die Mindestsicherung würde jedem noch offenstehen. Was bedeutet das? – Zwangsverwertung der letzten Ersparnisse inklusive, Eintrag ins Grundbuch inklusive und quasi Besachwaltung inklusive. Das ist eine tolle Option, die Bundeskanzler Kurz in diesem Zusammenhang aufzeigt, und da muss ich mich schon fragen: Was ist der Plan dieser Regierung? Was hat sich diese Regierung vorgenommen und wohin will sie Österreich führen?

Einer im Auftrag des Finanzministeriums erstellten Studie aus dem Jahr 2017 bei­spielsweise ist zu entnehmen, dass die Einführung von Hartz IV – und dieses Modell, das Bundeskanzler Kurz vorschlägt, würde die Einführung von Hartz IV in Österreich bedeuten – in Österreich 160 000 Menschen mehr in die Armut treiben würde, zu mehr Armutsgefährdung und zu einer höheren Ungleichheit in der Einkommensverteilung führen und diese verschärfen würde.

Meine Frage an Sie, Frau Ministerin – mehr Mitglieder der Bundesregierung haben sich heute für dieses wichtige Thema leider nicht Zeit genommen –: Sind Sie angetreten, um in Österreich in Zeiten des Aufschwungs durch diese Politik die Situation zu ver­schlechtern? (Abg. Rosenkranz: Sicher nicht!) – Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist.

Ich darf insbesondere Ihnen, Frau Ministerin, unsere Unterstützung im Kampf gegen Sozialabbau und Enteignungspläne der ÖVP anbieten. Lassen Sie sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen! Stehen Sie zu Ihrem Wort, Hartz IV in Öster­reich nicht einzuführen und eine Stigmatisierung von von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen endlich zu beenden. In einem der reichsten Länder dieser Welt geboren zu sein, politisch tätig sein zu dürfen ist ein Privileg und auch mit hoher Verantwortung verbunden. Zeigen wir, dass wir dieser Verantwortung gewachsen sind – unsere Un­terstützung haben Sie. – Danke. (Beifall bei der Liste Pilz sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

10.03

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Nationalrätin Tanja Graf. – Bitte.