11.09

Abgeordneter Mag. Dr. Matthias Strolz (NEOS): Frau Präsidentin! Herr Minister! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen aus dem Eu­ropäischen Parlament! Liebe Damen und Herren! Wir diskutieren hier die EU-Ratsprä­sidentschaft, die Österreich übernehmen wird; eine Aufgabe, die an uns circa einmal oder eineinhalb Mal pro Generation gestellt wird. Eine große Aufgabe steht uns damit bevor, und zwar eine Aufgabe, die uns natürlich auch die Chance bietet, auf diesem Kontinent die Richtung vorzugeben und mehr als unterjährig, sage ich einmal, mehr als sonst die eigenen Themen einzubringen.

Ja, es gibt viel zu tun in diesem Europa, es gibt so viel, was zu machen wäre, für un­sere Generation, für die Generation unserer Kinder, für die Europa eine Schicksals­frage sein wird, davon bin ich zutiefst überzeugt. Die Frage, ob unsere Kinder in Frieden, in Wohlstand, in hoher Lebensqualität leben werden oder nicht, wird sich ent­lang der Frage entscheiden, ob wir das europäische Miteinander kultiviert haben oder nicht.

Wenn wir das europäische Miteinander nicht kultivieren, dann werden wir den Frieden verlieren, den Wohlstand verlieren und die Lebensqualität, davon bin ich zutiefst über­zeugt. Deswegen braucht es einerseits einen visionären Blick in die Weite, aber auch einen entschlossenen Griff auf die Herausforderungen des Hier und Jetzt. Ich nenne nur einige Punkte, bei denen gewaltige Unterlassungssünden zutage treten.

Eine gemeinsame entschlossene Außenpolitik der Europäischen Union fehlt seit Jah­ren, ja Jahrzehnten. Natürlich sind einige Schritte gemacht worden, aber nicht genü­gend. Wir haben bei Syrien ausgelassen, und wir haben bei der Ukraine ausgelassen. Wir hechten jeder Krise hinterher und können gerade noch Schadensbegrenzung ma­chen. De facto befinden wir uns in einem Ring aus Feuer, von Nordafrika angefangen über den Nahen Osten bis zur Ukraine – und das ist unserer Untätigkeit zuzuschrei­ben, dem Umstand, dass 28 Außenminister in der Früh beim Zähneputzen sagen: Wir haben hier ein Problem!, und dann, wenn sie mit dem Zähneputzen fertig sind, sagen: Zum Glück bin nicht ich zuständig! Wenn 28 Außenminister so denken, dann ist nie­mand zuständig, und dann gehen die Krisen ihren Weg. (Beifall bei den NEOS.)

Wir bräuchten eine hoch aktive Afrikastrategie, wirtschaftliche Zusammenarbeit und In­novation. Das allein kann Chancen aufbauen, die den Migrationsdruck senken. Wir können die Mauern noch so hoch machen, oben drüber einen Stacheldrahtzaun an­bringen, sie werden kommen, wenn sie nichts mehr zu verlieren haben, unten durch, oben drüber, sie werden tot in unsere Vorgärten fallen. Es wird so sein, das wissen wir alle. Wir können das verdrängen, aber wir können es nicht verhindern.

Zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion: Natürlich, es wäre so wichtig, dass wir diesen Binnenmarkt endlich vollenden. Er ist nicht vollendet. Es sind Chan­cen, die wir da verschenken.

Wichtig wäre auch der Kampf gegen Steuerhinterziehung, der Kampf gegen aggres­sive Steuerplanung, die auch in der Europäischen Union nicht nur weiterhin möglich ist, sondern immer noch von nationalen Regierungen gestützt wird. Das ist eine Schande! Außerdem werden wir dieses Geld für unsere Sozialsysteme brauchen, sonst werden wir sie nicht halten können, auch in Österreich nicht, weil sie seit 55 Jahren auf Schul­den aufgebaut sind, und das werden wir die nächsten 55 Jahre nicht so machen kön­nen.

Zur Digitalisierung: Europa ist im Begriff, seine Datensouveränität zu verlieren – na­türlich im großen Stil –, das ist die Freihandelsthematik der Zukunft. Wir verlieren un­sere Datensouveränität, und es gibt keine Gegenstrategien auf europäischer Ebene, die kraftvoll wären.

All das wäre zu tun. Doch wo steht die österreichische Bundesregierung? – Wir wissen es nicht. Es gibt einen EU-Minister und eine Europaministerin, die beide unterschiedli­cher Meinung über ihre Zuständigkeiten sind. Fragst du den Sprecher der Bundesre­gierung, dann bekommst du noch eine dritte Meinung dazu. Schaust du ins Fernsehen, dann siehst du den Vizekanzler irgendwo in Bosnien und Herzegowina sitzen, der Abspaltung des serbischen Teils des Landes das Wort redend. Das heißt, er legt die Lunte an das Pulverfass. Das ist nahe an der Kriegstreiberei, sage ich ganz klar. Das ist nahe an der Kriegstreiberei! (Beifall bei NEOS, SPÖ und Liste Pilz.)

Wenn wir, Österreich, uns nicht zur Integrität dieses Staates bekennen, dann heißt das, dass es in dieser Bundesregierung keinen Konsens in dieser Frage gibt.

Hinzu kommt noch, dass Herr Orbán der prominenteste Staatsgast in der Anfangspha­se dieser Regierung ist. Es ist natürlich klar, auch mit schwierigen Nachbarn wird man im Gespräch bleiben müssen, das steht völlig außer Streit, aber das eine ist, im Ge­spräch zu sein, und das andere, sich ihn zum Vorbild zu nehmen, liebe FPÖ! (Beifall bei den NEOS.) Das ist etwas anderes! Ihr Vorbild ist der gefährlichste Politiker Mit­teleuropas. Das hat gestern Paul Lendvai gesagt (Abg. Gudenus: Das ist genau der Richtige!), und er spricht von einer Scheindemokratie. (Abg. Gudenus: Ein Superex­perte!)

Natürlich muss man fragen: Was macht Orbán? (Abg. Gudenus: Sie unterstützen!) – Er bekämpft die Zivilgesellschaft. Er setzt die freie Presse unter Druck. Er maßt sich an, Universitäten zu schließen, auch wenn es im ersten Anlauf nicht funktioniert. Das ist Ihr Vorbild Ungarn! Und es gibt zum Glück auch ein - -

Präsidentin Doris Bures: Herr Klubobmann, Sie müssen zum Schlusssatz kommen.

Abgeordneter Mag. Dr. Matthias Strolz (fortsetzend): Also: Suchen Sie sich Ihre Freunde besser aus – zum Wohle unseres Landes! Das, was Sie hier zum Vorbild ha­ben, macht große Sorge. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Gudenus: Haben Sie Freunde? – Abg. Neubauer: ... Strolz ausgesucht! – Ruf bei der FPÖ: Ich habe geglaubt, der dreht durch! – Abg. Neubauer: Das ist ja un­glaublich! – Ruf bei der ÖVP: Der hat ja keine Freunde, der Strolz!)

11.15

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr.in Al­ma Zadić. – Bitte.