9.18

Abgeordneter Mag. Christian Kern (SPÖ): Meine sehr geehrten Damen und Herren vor den Fernsehschirmen, auf der Galerie! Geschätzte Kollegen und Kolleginnen! Wir haben gestern die Budgetrede des Finanzministers gehört; und ich muss sagen: Der Umstand, dass ein Nulldefizit erreicht wird, ist etwas, was ich positiv finde, was ich aus­drücklich schätze. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Sie hätten gestern auch die Chance gehabt, uns ausführlich zu erklären (Abg. Hafenecker: Oh, der Kern ist da!), dass es natürlich nicht leicht ist, innerhalb von drei Monaten alle Probleme durchzudenken, Lösungen vorzuschlagen. Sie hätten da ein Budget vorlegen können, und wir hätten über die einzelnen Maßnahmen diskutieren können.

Sie haben gestern einen anderen Weg gewählt. Sie haben sich gestern hierhergestellt und haben nicht an Selbstlob gespart, nicht an entsprechenden Marketingsprüchen, die wir alle schon während der Wahlkampagne gehört haben, gespart. (Abg. Belakowitsch: Nur kein Neid! – Zwischenruf der Abg. Steinacker.) Und Sie haben sich gestern nicht nur mit Selbstlob überschüttet, sondern Sie haben auch ordentlich ausgeteilt. Sie haben ordentlich und umfangreich Kritik an Ihren Amtsvorgängern geübt, die unverantwortliche Politik betrieben haben, wie Sie es genannt haben.

Ich bin gestern da gesessen, habe Ihnen zugehört und habe gedacht: Was werden Sie als Nächstes machen? Werden Sie jetzt den Herrn Molterer, die Frau Fekter, den Sepp Pröll, den Herrn Spindelegger und den Herrn Schelling aus der neuen ÖVP aus­schließen? Die haben Ihnen das nämlich eingebrockt – 18 Jahre lang! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Strolz.)

Aber es kam ja nicht überraschend, dass Sie das so darstellen, denn wir haben ja hier eine wirklich umfangreiche Inszenierung erlebt, die zu einem Zeitpunkt begonnen hat, als sich die Regierung getroffen hat. Sie haben Ihre Regierungszusammenarbeit mit der Inszenierung einer Budgetlücke begonnen, zu einem Zeitpunkt, als das Wifo schon längst prognostiziert hatte, dass es 2019 einen Budgetüberschuss geben wird und die Staatsverschuldung bis 2022 auf 63 Prozent unseres BIP sinken wird. Das war das Spektakel, das Sie versucht haben hier mit drastischen Sprüchen, mit bunten Farben aufzuführen, entgegen aller Faktenlage. Ich kann Ihnen ehrlich sagen, dafür gebührt Ihnen der Karl-Heinz-Grasser-Anerkennungspreis. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie Beifall bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz. – Zwischenruf bei der FPÖ.) – Von dem Herrn waren Sie auch schon einmal mehr begeistert, merke ich im rechten Flügel des Hohen Hauses. (Heiterkeit bei der SPÖ.)

Der Karl-Heinz Grasser hat sich aber damals in das Hohe Haus gestellt und hat ge­sagt, wir haben ein Nulldefizit erreicht. Im Nachhinein hat sich dann herausgestellt, das Nulldefizit hat es nie gegeben. Es war eine Reihe von Einmaleffekten, die da eine Rolle gespielt haben. Das Spannende ist, dass sich aufgrund solcher Vorgänge – es ist nicht nur in Österreich passiert – die EU-Kommission dazu entschieden hat, den Stabilitäts­pakt – wenn man so will, das Allerheiligste der Finanzpolitik der EU – auf das struktu­relle Defizit abzustellen, also keine einfache Einnahmen- und Ausgabenrechnung, sondern etwas zu machen, was die Gestionierung eines Staatshaushaltes besser abbildet, was Einmaleffekte berücksichtigt, was Konjunktureffekte berücksichtigt, denn nur so – so die Meinung der EU – kann man die Solidität der Finanzpolitik nachhaltig überwachen.

Das, so finde ich, ist ein bemerkenswerter Punkt, denn ich habe Ihre Zahlen auf­merk­sam gelesen. Wenn man diese Zahlen aufmerksam liest, dann erkennt man, dass das Finanzministerium sagt, dass dieses strukturelle Defizit im Jahr 2017 bei 0,1 Prozent im Minus gelegen ist. Wenn ich mir das anschaue, was Sie gestern vorgelegt haben, dann ist es bemerkenswerterweise – siehe da, Überraschung! – so, dass dieses struk­turelle Defizit auf minus 0,5 Prozent steigt, das heißt, sich mit all Ihren Maßnahmen verschlechtert. (Oh-Rufe bei der SPÖ.)

Das ist bemerkenswert, denn es blattelt Sie an einem wirklich wunden Punkt auf, und zwar an der Stelle, dass das, was Sie hier vorgelegt haben, was Sie gestern groß ab­ge­feiert haben, in Wahrheit nichts anderes ist als ein Konjunktureffekt, der Ihnen in den Schoß gefallen ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben das nachgerechnet. Allein im heurigen Jahr werden das 4 Milliarden Euro an warmem Regen sein, der aus der Konjunktur kommt, der durch Einsparungen bei der Arbeitslosenversicherung, Einsparungen bei der Pensionsversicherung kommt; und dann natürlich gibt es noch höhere Steuerleistungen, die damit verbunden sind, oben drauf.

Sie haben sich hingestellt, haben das gestern wegignoriert und erklärt, Sie sparen im System. Herr Klubobmann Wöginger hat uns das gerade wieder vorgeführt. Wir haben versucht, ein bisschen Licht in das reichlich intransparente Zahlenwerk hineinzubrin­gen, und festgestellt, Ihr Sparen im System schaut so aus, dass Sie zunächst einmal die Bürokratie mit den Generalsekretären, die Sie geschaffen haben, aufgebläht haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben Kabinette im Rekordumfang, politische Kabinette und Politkommissare auf die Beine gestellt, die die Steuerzahler finanzieren dürfen, und es war Ihnen vor­behalten, in der Budgetierungsphase großzügig Spielgeld an den Kanzler, an den Vize­kanzler zu verteilen. Das Ganze wurde dann auch noch zynisch Feel-free-Budget genannt.

Ich darf Sie nur auf einen Punkt hinweisen, diesen werden wir auch noch hier im Hohen Haus diskutieren: Dieses Spielgeld für den Bundeskanzler und seinen Vize­kanzler bedeutet wesentlich mehr Geld in deren Taschen, als die gesamte Parteien­förderung für ÖVP und FPÖ zusammen ausmacht. So schaut die Wahrheit aus, Herr Finanzminister. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der SPÖ: Schande!) 

Wir haben uns bemüht, Ihre Einsparungen nachzuvollziehen, ich habe Ihre Minis­terratsvorträge dazu gelesen. In den Ministerratsvorträgen argumentieren Sie folgen­dermaßen und sagen: Geld, das in der Vergangenheit budgetiert wurde und nicht ausgegeben worden ist, streichen wir weg. Mit einer intensiven Kostenanalyse holen wir uns 1 Milliarde Euro an Einsparungen. Das haben Sie gestern auch immer wieder intensiv erklärt.

Lassen Sie sich diesen Vorgang noch einmal auf der Zunge zergehen! Sie behaupten, Geld, das wir in der Vergangenheit nicht ausgegeben haben, geben wir in der Zukunft nicht aus, und deshalb haben wir 1 Milliarde eingespart. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPÖ.) – Bravo! Das ist so, als ob eine Familie 20 Jahre lang keine Weltreise macht, heuer wieder sagt, wir machen wieder keine Weltreise, und dann stellt sie sich hin und sagt: Super, wir haben uns 20 000 Euro gespart. Ich meine, da brauchen Sie ja gar kein Brieflos mehr, um reich zu werden. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Ich darf auf noch einen Zusammenhang aufmerksam machen, das findet sich auch in Ihren Ministerratsvorträgen. Sie sparen bei den Mieten. – Großartig, immer eine gute Idee! Blöderweise sind die Vermieter leider auch Sie. Das heißt, bei dem, was Sie einsparen wollen – man muss sich das ökonomisch so vorstellen, wenn ich das über­setzen darf –, ist es so: Sie haben 10 Euro in der linken Tasche und stecken die 10 Euro dann in die rechte Tasche. Herr Finanzminister, nachher haben Sie aber immer noch nur 10 Euro. Es wird keine Einsparung eintreten. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie Beifall bei der Liste Pilz.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben uns auch angeschaut, was Sie als Sparen im System bezeichnen, und festgestellt, es ist kein Sparen im System, sondern Sie kürzen bei den Menschen in unserem Land. Sie kürzen beim Arbeitsmarkt, bei den Studenten, bei den Lehrlingen, bei den Facharbeitern, bei der Infrastruktur und bei der Bildung. (Abg. Neubauer: Aber nicht bei Ihnen! Sie verdienen ...!) Ich muss sagen, mich hat diese Formulierung auch nicht sehr gefreut, weil ich darin doch einen gewissen Zynismus sehe, in Ihrem Sparen im System.

Ich kann Ihnen Folgendes vorschlagen: Wenn Sie den Menschen, die länger arbeitslos sind, über 50 sind, ihre Zukunftsperspektive rauben, indem Sie die Aktion 20 000 verräumen, dann schlage ich Ihnen vor, kommen Sie einmal mit, treffen wir einmal gemeinsam solche Leute! Schauen Sie denen in die Augen, und dann erklären Sie denen, dass Sie leider im System sparen müssen. (Beifall bei der SPÖ.) Sie sparen nicht im System, sondern an den Schicksalen der Menschen in unserem Land.

Dasselbe geschieht in der Bildungspolitik. Wenn Sie betreffend Neue Mittelschule meinen, dass man die Zahl der Pädagogen reduzieren kann, dass man all das nicht mehr braucht, dann sparen Sie nicht im System, sondern dann sparen Sie bei den Kindern und bei der Zukunft Österreichs. (Beifall bei der SPÖ.)

Dasselbe gilt für die Integrationspolitik. Ich weiß schon, das machen Sie nicht aus finanzpolitischen, sondern aus ideologischen Überlegungen, aber es ist so widersinnig. Sie stellen sich immer wieder hin – der Herr Wöginger hat es auch getan – und erklä­ren uns, wir haben ein Integrationsproblem. In der Tat haben wir das, und natürlich ist die Migration eine große Herausforderung, aber sie ist eine bewältigbare Heraus­forderung, aber nur dann, wenn wir uns anstrengen, wenn wir uns bemühen, die Probleme zu lösen. (Zwischenrufe bei der FPÖ. – Abg. Wöginger: Das ist der falsche Weg!) Stattdessen gehen Sie her und sagen: Das brauchen wir alles nicht mehr, das streichen wir zusammen, das können wir locker halbieren. (Abg. Kassegger: „Wir schaffen das“!)

Und ich sage Ihnen: Kommen Sie nachher nicht wieder her und beklagen dann die Integrationsprobleme, denn Sie sind die Verursacher dieser Probleme! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz. – Heiterkeit bei der FPÖ.)

Reihenweise haben Ihnen alle Ökonomen dieses Landes vorgerechnet, dass Sie die Menschen damit vom Arbeitsmarkt in die Mindestsicherung wegdrängen. (Abg. Belakowitsch: Sie haben alle reingeschleppt! Hunderttausend Österreicher ...!) Wir alle wissen, das ist das Teuerste, was man tun kann. Finanzpolitisch solide schaut anders aus. (Ruf bei der FPÖ: Hätten Sie nur bei den ÖBB so gespart!)

Sehr geehrter Herr Finanzminister! Eines ist mir auch wichtig: Ein Budget ist immer auch eine Frage der Prioritätensetzung. Da werden wir beide uns nicht einig sein, das ist mir klar, weil Sie aus einer anderen politischen Denkschule kommen als ich, aber ich hätte Vorschläge, wie Sie Ihre Prioritäten richtig setzen können; zum Beispiel, indem wir uns konsequent darum kümmern, dass wir endlich die Steuerschummler er­wischen, die unser Land um die faire Steuerleistung betrügen, die die Menschen betrügen, die die KMUs betrügen, jeden Einzelnen von uns betrügen. Das Erste, was Sie getan haben, als Sie nach Brüssel gereist sind, war, Sie haben Panama von der Liste der Steuersünder streichen lassen. Panama – nach nur drei Monaten! (Beifall bei der SPÖ.)

Nach nur drei Monaten auf dieser Liste wurde Panama mit der Begründung, es wolle sich ohnehin bessern, wieder gestrichen. Sehr geehrter Herr Finanzminister, ich frage Sie jetzt etwas: Eine einzige Anwaltskanzlei hat dort 200 000 Briefkastenfirmen ge­gründet. Ab wann ist bei Ihnen eine Steueroase eine Steueroase? – Ab 500 000 Brief­kastenfirmen, ab 700 000 Briefkastenfirmen? Wie viele Belege brauchen wir denn noch? (Beifall bei der SPÖ.)

Das fügt sich auch in das Nächste: Sie wehren sich auch gegen Steuertransparenz bei diesen Steuersündern. Ich weiß schon, die Industriellenvereinigung will das nicht, Ihre Großsponsoren wollen das nicht, aber das wäre so einfach. Und kommen Sie nicht mit Ausreden, dass das nicht geht! (Abg. Kitzmüller: Warum haben Sie es nicht gemacht? Sie waren ja auch Bundeskanzler!)

Leider ist Herr Moser heute nicht da. Das Bemerkenswerte ist: In Ihren Budgets steht auch, dass Sie 200 Großbetriebsprüfer streichen wollen. Als Rechnungshofpräsident hat uns Herr Moser vorgerechnet, dass ein solcher Steuerprüfer sein Gehalt 14 bis 30 Mal hereinspielt. Das heißt, Sie schließen nicht nur keine Steuerschlupflöcher, sondern Sie gehen auch gegen die Steuersünder nicht vor. Das sind 150 Millio­nen Euro, die Sie dort bei den Großsponsoren der ÖVP liegen lassen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich hätte einen Vorschlag: Nehmen Sie das Geld, holen Sie es sich, und investieren Sie es in ein zweites Gratiskindergartenjahr, investieren Sie es in Start-ups, investieren Sie es in die Digitalisierung der Schulen, von mir aus in die Forschungsbudgets! Es gäbe so viele bessere Möglichkeiten, mit dem Geld hauszuhalten, als Sie das in einer recht fantasielosen Art und Weise gestern vorgeschlagen haben. (Abg. Kitzmüller: Sie waren ja auch einmal Bundeskanzler!)

Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen, weil Sie hier gestern auch ausführlich zum Thema Leistungsträger gesprochen haben! Ich möchte Ihnen anhand des Familienbonus meine Position erklären. Der Familienbonus ist etwas, bei dem wir grundsätzlich sagen: Okay, kann man machen! Sie haben sich aber gestern hier­hergestellt und erklärt, die Regierung habe sich das selbst erarbeitet. Gestern haben Ihnen Innsbrucker Forscher vorgerechnet, dass Sie die kalte Progression ausgeben. Also die Regierung hat sich da gar nichts selbst erarbeitet, sondern die Menschen, die jedes Jahr ihre Steuern zahlen und durch höhere Einkommen mehr abliefern dürfen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Es ist gut, dass die Mittelschicht entlastet wird. Aber wenn wir über Leistungsträger reden, dann lohnt es sich auch, zu sagen, wer für Sie keine Leistungsträger sind. Dann sind zum Beispiel Frauen keine Leistungsträger. Diese kriegen nämlich nur ein Viertel des Familienbonus, drei Viertel gehen an Männer. Dann sind zum Beispiel EPUs, Einzelpersonenunternehmer keine Leistungsträger, denn die schauen durch die Finger. Dann sind Landwirte keine Leistungsträger, denn die kriegen auch fast nichts. Dann sind Kellner, Friseure und die 24-Stunden-PflegerInnen, die eines Tages auf uns auf­passen werden, nach Ihrer Diktion keine LeistungsträgerInnen. Und sehen Sie: Das unterscheidet uns beide. Ich weiß nämlich, dass diese Menschen jeden Tag wirklich etwas leisten. (Beifall bei SPÖ und Liste Pilz.)

Sehr geehrter Herr Finanzminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben gestern gesagt, dieses Budget leite eine Zeitenwende ein. (Abg. Heinisch-Hosek: Eine schlechte!) – Diese Zeitenwende kann ich leider beim besten Willen nicht sehen. Was wir erleben, ist: Sie sparen nicht im System, Sie kürzen bei den Men­schen – zulasten unser aller Zukunft. – Danke. (Beifall bei SPÖ und Liste Pilz.)

9.32

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Johann Gudenus. – Bitte.