10.24

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident (Zwischenruf des Abg. Kopf), nur um zu verdeutlichen, wie ernst die Debatte ist: Was Sie gestern Abend kurz vor Mitternacht gemacht haben, was Sie abseits der Politik treiben, welche erotischen Vorlieben Sie haben, was Ihre Hobbys sind, welche Reisen Sie gerne unternehmen, all das ist Ihre Privatsache. Das geht mich nichts an, wir kennen uns nicht so gut. Ob Sie mir das erzählen möchten oder nicht, ist Ihre persönliche Ent­scheidung.

Damit möchte ich verdeutlichen, dass das kein aus der Luft gegriffenes Beispiel, sondern eine Debatte ist, die der Deutsche Bundestag auch geführt hat: Der NDR hat Daten gekauft und konnte übers Internetverhalten sehr genau nachvollziehen, was Abgeordnete recherchieren und für welche Bereiche sie sich stark machen. Deswegen ist Datenschutz eben nicht etwas Abstraktes, bei dem es um Daten geht, sondern dabei geht es um den Schutz der Privatsphäre von Menschen und Personen, der Bevölkerung, der Politik, der Wissenschaft, aller Menschen, die hier in Österreich leben. Es ist dies ein hochsensibler Bereich, über den wir heute diskutieren. (Beifall bei der SPÖ.)

In diesem Zusammenhang stehen wir heute in einem Spannungsfeld, und wir müssen zwischen dem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit und dieser Privatsphäre abwägen. Wir alle werden uns dazu bekennen und uns die Frage stellen: Wie können wir im Hinblick auf die ganz großen, zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen, vom Klima­wandel bis zum Umgang mit einer älter werdenden Gesellschaft, wirklich die bestmögliche Gesundheitsversorgung auch in Zukunft garantieren? Wie können wir besser werden, etwa im Hinblick auf neue Medikamente und auch in der Krebs­for­schung?

Selbstverständlich muss die Wissenschaft auf Basis von Daten forschen können, und deswegen gibt es auch Ausnahmen im Datenschutzgesetz für die Wissenschaft. Es ist also grundsätzlich unser Zugang, dass wir hier nichts verbauen wollen, aber wir brauchen eine saubere, klare, rechtssichere Lösung, und das ist jetzt leider in diesem Bereich nicht der Fall.

Nicht nur Expertinnen und Experten der Datenschutzbehörde warnen alle und sagen, dass das teilweise nicht grundrechtskonform ist, sogar die Mitglieder der eigenen Bun­desregierung streiten untereinander und sind sich nicht sicher; die Gesundheitsminis­terin sagt, dass das Ganze in dieser Form nicht passt, der Herr Wissenschaftsminister hingegen sagt, dass es sehr wohl passt. Es gibt also einen Zickzackkurs, bei dem quasi jeder gegen jeden agiert, auch unter den Expertinnen und Experten. Jedenfalls aber warnen alle, und diese Debatte wurde auch im Ausschuss geführt. Daher muss man sich für diesen sensiblen Bereich wirklich Zeit nehmen. Man muss sich Zeit nehmen, um Probleme zu beheben, und darf nicht, wie uns mitgeteilt wurde, sagen: Wir werden schon irgendwann in der Praxis draufkommen, wo die Probleme sind, und dann muss man nachjustieren. – Das kann man in einem so sensiblen Bereich einfach nicht machen! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte, um auch zu unterstreichen, wie ernst und wichtig uns dieses Thema ist, sowohl gegenüber Kollegin Cox als auch gegenüber Kollegin Gamon herausstreichen: Wir alle haben uns diese Entscheidung, glaube ich, nicht leicht gemacht. Es hat im Ausschuss wirklich das Angebot gegeben, die Budgetwoche noch zu nutzen, uns gemeinsam mit Expertinnen und Experten zusammenzusetzen und zu versuchen, gemeinsam die ärgsten Schnitzer, die es noch gibt, zu reparieren und gemeinsam an der Lösung zu arbeiten. – Dieses Angebot ist dann leider nicht aufgegriffen worden. Seitens ÖVP und FPÖ hat man uns gesagt, dass alles super ist, und heute kommt dann fünf vor zwölf ein kleiner Abänderungsantrag oder ein Entschließungsantrag auf den Tisch, mit dem man versucht, im Husch-Pfusch-Verfahren Dinge zu reparieren. So kann man nicht arbeiten! Unser Angebot war da, wir hätten wirklich gemeinsam ver­sucht, dieses wichtige Gesetz zu verbessern. (Abg. Höbart: Das war ein kurzfristiger Antrag!)

Ich nenne noch den aus meiner Sicht grundsätzlich heftigsten Kritikpunkt: Herr Bun­desminister, ich weiß gar nicht, ob Ihnen bewusst ist, dass das Grundproblem in Zukunft abseits der diversen Bereiche in der Frage bestehen wird, welche Register für wen aufgemacht werden. Laut Gesetz gibt es natürlich einerseits wissenschaftliche Institutionen, die sozusagen in Zukunft den Zentralschlüssel und Zugang zu wissen­schaftlichen Daten beziehungsweise Registerdaten haben werden und damit forschen können. Das Gefährliche in Zukunft wird aber sein, dass dieser Zentralschlüssel ja nicht nur an die wissenschaftlichen Einrichtungen, die aufgezählt worden sind, geht, sondern theoretisch an jedes Unternehmen in Österreich oder außerhalb Österreichs, denn jedes Unternehmen kann nach der Definition, die im Gesetz steht, sagen: Wir sind eine Forschungseinrichtung.

Herr Bundesminister, bitte unterscheiden wir sehr wohl zwischen Facebook oder Amazon und der Medizinischen Universität Wien! Diesbezüglich muss man eine Unterscheidung treffen und entsprechende Graubereiche schließen. Dieses Gesetz gestattet genau das aber nicht.

Das heißt, es muss definiert werden, was eine wissenschaftliche Einrichtung ist. Wem obliegt diese Definition in Zukunft? Dem Wissenschaftsminister? – Nein! Dem Wissen­schaftsfonds? – Nein! Einem Expertenkomitee? – Nein! Wer wird denn in Zukunft entscheiden, was eine wissenschaftliche Einrichtung ist? – Das macht Norbert Hofer, der Verkehrsminister! Ich wünsche ihm viel Vergnügen, denn das ist ein sehr ernstes Thema! Norbert Hofer wird dann milliardenschweren Konzernen gegen­über­stehen, und ein zentraler Passus ist gar nicht im Gesetz enthalten, nämlich betreffend öffentliches Interesse, denn es macht schon einen Unterschied, ob es um Krebsforschung geht oder um Unternehmen, die sagen: Wir brauchen Daten von Menschen in Österreich für Marktforschungszwecke. In dieser Hinsicht muss eine Unterscheidung getroffen wer­den.

Deswegen ist es für uns so wichtig, das auseinanderzuhalten. Ja, wir bekennen uns klar zur Forschung, zu unserem Forschungsstandort und zur Wissenschaft, aber wir können in Österreich jetzt mit diesem Gesetz nicht kommerzielle Interessen durch die Hintertüre durchwinken.

Herr Bundesminister, Sie werden das in Zukunft nicht mehr in der Hand haben, son­dern das wird der Verkehrsminister entscheiden. Das ist ein ganz schlimmer Schnitzer in diesem Gesetz. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich darf daher, um die ärgsten Schnitzer auszubessern, folgenden unselbständigen Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Korrekturen des Datenschutz-Anpassungsgesetzes – Wissenschaft und Forschung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, das Datenschutz-Anpassungsgesetz – Wissenschaft und Forschung (WFDSAG 2018) nach folgenden Gesichtspunkten zu überarbeiten:

1. Sämtliche für die Forschung geöffneten Datenregister sind im Gesetz taxativ zu normieren. Die Register des elektronischen Gesundheitsaktes (ELGA) sind nicht zu öffnen, da diese in erster Linie den Patientinnen und Patienten dienen sollen.

2. Feststellungsbescheide gemäß § 2c Abs. 2 WFDSAG 2018 sind auch durch ein Gutachten der Datenschutzbehörde hinsichtlich des Überwiegens eines öffentlichen Interesses zu begründen.

3. Eine Pseudonymisierung von besonders sensiblen Daten ist nur in daten­schutz­rechtlich begründeten Ausnahmefällen und bei Glaubhaftmachung deren Notwendig­keit durch die wissenschaftliche Einrichtung zu gestatten. Im Zweifel ist eine Anonymi­sierung der Daten durchzuführen.

4. Ein Widerspruchsrecht der Betroffenen in Form einer Opt Out-Regelung ist (wieder) in die gesetzliche Regelung aufzunehmen.

5. Die Anwendung des WFDSAG 2018 ist im 2-Jahresabstand durch eine externe Stelle hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Konformität zu evaluieren, erstmalig bis 31.12.2019.“

*****

Das heißt, es gibt hier Graubereiche. Das ist nicht nur die Position der SPÖ, das ist die Position zahlreicher Expertinnen und Experten, und das bringen wir hier ein. Ich bitte alle Parteien, diese ärgsten Schnitzer in diesem sehr ernsten Gesetz auch zu korrigie­ren und diesen Entschließungsantrag zu unterstützen. (Beifall bei der SPÖ.)

10.31

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Unselbständiger Entschließungsantrag

§ 55 GOG-NR

der Abgeordneten Philip Kucher

Kolleginnen und Kollegen

betreffend Korrekturen des Datenschutz-Anpassungsgesetzes – Wissenschaft und Forschung

eingebracht im Zuge der Debatte über das Bundesgesetz, mit dem das Austria Wirt­schaftsservice-Gesetz, das Bundesgesetz über das Institute of Science and Tech­nology – Austria, das Bundesgesetz betreffend die Akademie der Wissenschaften in Wien, das DUK-Gesetz 2004, das Fachhochschul-Studiengesetz, das Forschungs- und Technologieförderungsgesetz, das Forschungsorganisationsgesetz, das FTE-National­stiftungsgesetz, das Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz 2014, das Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz, das Innovationsstiftung-Bildung-Gesetz, das OeAD-Gesetz, das Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH-Errich­tungs­gesetz, das Privatuniversitätengesetz, das Studienförderungsgesetz 1992, das Tierversuchsgesetz 2012 und das Universitätsgesetz 2002 geändert werden (Daten­schutz-Anpassungsgesetz 2018 – Wissenschaft und Forschung – WFDSAG 2018) (TOP 5)

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist am 25. Mai 2016 in Kraft getreten und tritt am 25. Mai 2018 in Geltung.

Eine im Art. 89 DSGVO geschaffene Öffnungsklausel wird dazu herangezogen (im For­schungsorganisationsgesetz), sämtliche Betroffenenrechte pauschal abzubedingen, eine gesetzliche Ermächtigung zur zeitlich unbegrenzten Speicherung von perso­nenbezogenen Daten vorzusehen und Forschungsaktivitäten unabhängig vom Nach­weis eines öffentlichen Interesses zu privilegieren.

Die Definition von „wissenschaftlichen Einrichtungen“ ist nicht genau determiniert. Da­durch kann auch eine Nutzung der Privilegierungen und Ausnahmen des Forschungs­organisations-gesetzes für rein kommerzielle Tätigkeiten verwendet werden.

Eine unmittelbare Weiterverarbeitung personenbezogener Daten über den Ursprungs­zweck hinaus für Forschungszwecke ist zwar möglich – Art. 5 DSGVO – verlangt aber ein öffentliches Interesse. Auch Art. 89 DSGVO lässt datenschutzrechtliche Begüns­tigungen des Forschungs- und Wissenschaftsbereiches nur zu, wenn die Verarbeitung öffentlichen Interessen dient. Diese wichtige Voraussetzung greift der Entwurf nicht auf, sodass Zweifel an der DSGVO-Konformität besteht.

Das unbeschränkte Zugriffsrecht auf behördliche Register (Implantat-Register, Ge­sundheitsberufe-Register, Studierenden-Verzeichnisse, ELGA, Bildungsstand-Register; erforderlichenfalls unter Einbeziehung von Namen) erscheint unverhältnismäßig. Es fehlen diesbezüglich entsprechende Rechtsschutzgarantien (z.B. eine Genehmigung durch die Datenschutzbehörde).

Die „Opt Out“-Möglichkeit wurde generell gestrichen. Damit entzieht man den Betrof­fenen die Kontrolle über ihre eigenen Daten.

Hinsichtlich der Einbeziehung des elektronischen Gesundheitsaktes in die Register gemäß § 38b Z 1 Datenschutz-Anpassungsgesetz – Wissenschaft und Forschung wurde bisher kein Einvernehmen zwischen dem Wissenschaftsminister und der Ge­sundheitsministerin herbei-geführt, obwohl es sich hierbei um die sensibelsten Daten der Österreicherinnen und Österreicher handelt.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachfolgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, das Datenschutz-Anpassungsgesetz - Wissenschaft und Forschung (WFDSAG 2018) nach folgenden Gesichtspunkten zu überarbeiten:

1. Sämtliche für die Forschung geöffneten Datenregister sind im Gesetz taxativ zu normieren. Die Register des elektronischen Gesundheitsaktes (ELGA) sind nicht zu öffnen, da diese in erster Linie den Patientinnen und Patienten dienen sollen.

2. Feststellungsbescheide gemäß § 2c Abs. 2 WFDSAG 2018 sind auch durch ein Gutachten der Datenschutzbehörde hinsichtlich des Überwiegens eines öffentlichen Interesses zu begründen.

3. Eine Pseudonymisierung von besonders sensiblen Daten ist nur in daten­schutz­rechtlich begründeten Ausnahmefällen und bei Glaubhaftmachung deren Notwendig­keit durch die wissenschaftliche Einrichtung zu gestatten. Im Zweifel ist eine Anony­misie­rung der Daten durchzuführen.

4. Ein Widerspruchsrecht der Betroffenen in Form einer Opt Out-Regelung ist (wieder) in die gesetzliche Regelung aufzunehmen.

5. Die Anwendung des WFDSAG 2018 ist im 2-Jahresabstand durch eine externe Stelle hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Konformität zu evaluieren, erstmalig bis 31.12.2019.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht damit auch in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Faßmann. – Bitte.