9.16

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Eine EU-Ratspräsidentschaft bedeutet, Verantwortung für ganz Europa zu haben. Sie sieht vor, dass man das tut, was für möglichst alle Unionsbürgerinnen und ‑bürger richtig ist und nicht nur für einen selbst. Das ist auch das, was es bedeutet, proeuropäisch zu sein.

Wir haben die Aktuelle Stunde zu diesem Thema einberufen, weil wir in der Frage, wie der nächste EU-Finanzrahmen aussehen soll, dieses europäische Verantwor­tungs­gefühl bei der österreichischen Bundesregierung stark vermissen. Das fängt natürlich, wie bereits diskutiert, damit an, dass der Herr Bundeskanzler nicht anwesend ist. Gerade jetzt, da Österreich so kurz vor der Ratspräsidentschaft steht und auch das Thema des EU-Budgets so dringlich wird, würde man meinen, dass es sich auch lohnt, hier in eine öffentliche Debatte einzutreten und auch mit dem österreichischen Parlament zu diskutieren.

Es hat ja immer geheißen, man solle diese Bundesregierung an ihren Taten messen, aber das Einzige, was im letzten halben Jahr gemacht worden ist, war: ankündigen, ankündigen, ankündigen! Wir warten aber weiterhin brav, denn man muss sie ja an ihren Taten messen. Wir haben Versprechungen gehört, wir haben von einer effizien­teren EU gehört, von einer EU, die bei den großen Themen stärker werden und da auch mehr Kompetenzen haben soll. Was das konkret ist? – Hm?! Wir warten, denn man soll sie ja an ihren Taten messen.

Man hat sich, womit wir übrigens auch einverstanden sind, einen wirksameren Außen­grenzschutz gewünscht, war dann aber sehr zurückhaltend, als es konkret um die Frage gegangen ist: Soll man dafür auch mehr Geld – brutto für netto – in die Hand nehmen und ins EU-Budget geben? – Aber wir warten, denn: an den Taten messen und so weiter. Für diese Taten ist das Messgerät aber noch nicht erfunden worden, denn da ist einfach nichts. Wenn man das an den Worten misst, lässt sich auch kein proeuropäischer Wert feststellen.

Die Europäische Kommission hat jetzt einen sehr umfassenden Vorschlag für den nächsten Finanzrahmen der EU vorgelegt und durchaus auch einen klaren Fokus auf einerseits sehr zukunftsgerichtete Bereiche und anderseits auch auf jene Bereiche gelegt, bei denen auch der Großteil der europäischen Bevölkerung ganz klar die Aufgabenverteilung bei der Europäischen Union sieht. Das ist einerseits ein deutlich erhöhtes Budget für den EU-Außengrenzschutz, aber zum Beispiel auch mehr Geld für das Erasmusprogramm.

Gleichzeitig soll bei den großen Posten, bei denen die Mittelverteilung jetzt – sagen wir es einmal so – nicht optimal läuft, gekürzt werden, auch wenn das allen weh tut. Das mag jetzt nicht das Budget sein, das die Union und ihre Arbeit riesig revolutionieren wird, aber wir sind schon der Meinung, dass das ein mutiger Schritt in die richtige Rich­tung ist. Was machen die Mitgliedstaaten, wir inkludiert, also das offizielle Öster­reich? – Theaterdonner, sterbender Schwan und viele Kampfansagen.

Jetzt hat der Finanzminister gesagt – Zitat –: „Wir müssen überlegen, was sind die wirklich großen Themen und Probleme, die wir gemeinschaftlich angehen.“ Wir hören jetzt bereits ein ganzes halbes Jahr: Wir müssen einmal schauen und wir werden einmal reden! Die Ratspräsidentschaft steht aber direkt vor der Tür, und wir glauben, dass es Zeit wäre, auch einmal konkrete Vorschläge auf den Tisch zu legen. Wenn es schon darum geht, über die wirklich großen Themen und Probleme zu reden, die man gemeinschaftlich angehen kann, muss man fragen: Wäre das nicht der Außen­grenz­schutz? Wäre das nicht auch ein Thema wie Erasmus? Ist das nicht das Forschungs­programm?

Der Außengrenzschutz ist der Nummer-eins-Hit der Bundesregierung und grund­sätz­lich auch der ÖVP, schon in den letzten zwei Jahren. Man bekommt den Eindruck, dass es jetzt schon politisch schwierig geworden ist, selbst jene Vorschläge, die man selbst auch befürwortet, positiv zu kommentieren, wenn sie von jemand anderem kommen; dann wird das schon wieder ein bisschen schwieriger. Das ist eigentlich sehr zynisch und auch bitter für die europäische Debatte und für unsere Position in der europäischen Debatte.

Die Bundesregierung behauptet, sehr klar, völlig klar proeuropäisch zu sein. Was völlig klar ist, möchte ich aber einmal dahingestellt lassen, denn: Welche Messlatte wurde angesetzt, um etwas als völlig klar darzustellen?

Ein paar Beispiele, bei denen es nicht um Klarheit, sondern um Widerspruch geht: Im Bereich Außenpolitik konterkariert der Vizekanzler die österreichische Linie zum Thema Westbalkan.

Thema Agrarförderung: Man sagt, man will eine schlanke EU, beim größten Posten, dem Agrarbereich, soll dann aber bitte nicht gespart werden, und bitte nicht in Nieder­österreich.

Oder zum Budget ganz allgemein hieß es monatelang, man wolle nicht mehr ein­zahlen, und jetzt plötzlich ändert sich die Erzählung: Da war ja kein absoluter Betrag gemeint, sondern nur eine Prozentzahl, ganz klar, das haben wir immer schon so gemeint – zwinker, zwinker.

Das ist alles allerhöchstens so klar wie das Wasser im Donaukanal, und es gibt noch weitere Dinge, die unklar sind, zum Beispiel, wenn es um das Szenario 4 aus dem Weißbuch des Kommissionspräsidenten Juncker geht. Mit diesem „Szenario 4: Weni­ger, aber effizienter“ fühlt man sich im offiziellen Österreich scheinbar am wohlsten. – Fair enough, das kann man okay finden, wenn man dann auch konkret sagt, was man weniger will, was man effizienter will.

Sie scheinen das Szenario nicht zu Ende gelesen zu haben, denn da steht zum Bei­spiel: Das EU-Budget soll signifikant redesignt werden, um den neuen Prioritäten der EU-27 gerecht zu werden. – Da steht nicht, es soll den Prioritäten des Österreichi­schen Bauernbunds gerecht werden, und genau das macht den kleinen, aber wichtigen Unterschied aus. (Heiterkeit bei Abgeordneten der NEOS. – Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wir kennen auch die alte Erzählung schon lange, dass man bei der Verwaltung der Europäischen Union sparen müsse. Das ist ein Punkt, zu dem man bei den ExpertInnen höchstens Augenrollen erntet, denn die Verwaltung macht, wie wir wissen, nur 6 Prozent des Gesamtbudgets der Union aus. Die Zahl der BeamtInnen ist in den letzten fünf Jahren auch nicht gestiegen, die Aufgaben, die sie meistern müssen, sind aber schon mehr geworden. Es hört sich halt gut an, wenn man bei der Verwaltung, vor allem in Brüssel, sparen möchte. Sie wissen aber, dass diese Aussage unehrlich ist und nicht proeuropäisch.

Wir sind der Meinung, dass man für einen konstruktiven europäischen Dialog andere Ansagen braucht, aber vor allem Konkretes.

Sie tragen Verantwortung dafür, dass ein Budget herauskommt, das visionär ist und mit dem auch die zukünftigen Herausforderungen gemeistert werden können. Dazu zählt ganz viel: der Außengrenzschutz, aber genauso der Klimawandel, die Kosten, Folgen und Möglichkeiten der Digitalisierung, eine gemeinsame Sicherheits- und Ver­teidigungspolitik. Dazu braucht es nicht nur ein bisschen Mut, sondern es braucht vor allem auch den Mut, Ja zu sagen. Es braucht den Mut, sich dazu zu bekennen, wenn man etwas gut findet, es braucht den Mut, darüber hinwegzusehen, wenn man aus einem Punkt gerade kein innenpolitisches Kleingeld schlagen kann.

Die Union ist heute noch nicht zu der Chancengemeinschaft herangewachsen, die wir uns zum Beispiel wünschen würden, die sie sein könnte. Das EU-Budget ist noch nicht effizient genug. Viele Förderungen, die einen großen Teil des Budgets ausmachen, erzielen nicht die gewollte Wirkung. Genau deshalb wäre es umso wichtiger, sich mitten in diese Debatte hineinzuwerfen, und zwar konstruktiv, nicht mit Theaterdonner. Das ist etwas, das wir uns von dieser Bundesregierung erwarten. Ich bin gespannt auf die Vorschläge, die jetzt in der Debatte kommen werden, wenn es einmal konkret darum geht, was geändert werden soll. Wir werden jetzt schon im Auge behalten, in wie vielen Redebeiträgen wir heute noch hören werden: weniger, effizienter, man muss schauen, wir werden schauen, wir werden darüber reden.

Wir wollen konkrete Antworten, und gerade jetzt, da die Ratspräsidentschaft direkt vor der Tür steht, ist es wirklich an der Zeit, diese auch zu liefern. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Liste Pilz.)

9.24

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu einer einleitenden Stellungnahme hat sich der Bundesminister für Europäische Union, Kunst, Kultur und Medien zu Wort gemeldet. Ich darf ihm das Wort erteilen.