15.07

Abgeordneter Mag. Christian Kern (SPÖ): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit eine intensive Debatte über das Abkommen Ceta erlebt, und heute im Ministerrat hat die Bundesregierung als eine der ersten innerhalb der Europäischen Union beschlossen, dieses Abkommen zu ratifi­zieren. (Ruf bei der FPÖ: Das Sie unterschrieben haben!)

Wenn Sie jetzt von mir an dieser Stelle eine Rede gegen den Freihandel erwarten, dann muss ich Sie enttäuschen. Die Situation ist relativ klar: Österreich ist eine Export­nation, fast ein Drittel unserer Arbeitsplätze hängen an diesen Exporten. Wir alle mit­einan­der haben Interesse daran, dass Österreich und die österreichische Wirtschaft im globalen Handel gestärkt werden. Dafür brauchen wir eine vernünftige Handelspolitik.

Was Sie hier vorgelegt haben und was Sie heute im Ministerrat beschlossen haben, ist allerdings das Gegenteil einer vernünftigen Handelspolitik. Wir haben uns in Brüssel vehement dafür eingesetzt und haben dafür gekämpft, dass es bei diesem Abkommen mit Kanada Verbesserungen gibt. Das war ein schwieriges Ringen in einem Kreis von 28 Nationen mit völlig unterschiedlichen Ausgangslagen und Interessenlagen. Wir haben dabei einiges erreicht, und das Wichtigste, das wir dabei erreicht haben, war die Trennung dieses Abkommens in einen nationalen Teil und in einen europäischen Teil. Ich stehe nicht an, festzuhalten, dass der europäische Teil, der handelspolitische Teil, der im Europäischen Rat beschlossen worden ist, meine Zustimmung bekommen hat und ich auch heute davon überzeugt bin, dass es richtig ist, die handelspolitischen Ver­einbarungen über die Kontinente hinweg zu verbessern und auf neue Beine zu stellen.

Ich muss allerdings dazusagen, dass der zweite Teil aus meiner Sicht noch wichtiger gewesen ist, da nämlich hier in Österreich die österreichische Bundesregierung und das österreichische Parlament – und niemand anderer – entscheiden können, ob wir Sonderrechte und Privilegien für Großinvestoren und internationale Konzerne haben wollen. Das war der entscheidende Fortschritt. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben erreicht, dass man in Österreich entscheiden kann, ob es eine Sonder­be­handlung für einige wenige Konzerne gibt. Wir haben erreicht, dass es ohne Beschluss des Nationalrates und der Bundesregierung keine Zustimmung zu Ceta geben kann. Und wir haben auch gesagt: Solange wir in Verantwortung stehen, wird dieses Abkom­men in der Form, wie es heute vorliegt, in Österreich nicht ratifiziert werden. (Neuer­licher Beifall bei der SPÖ.)

Dafür haben wir gekämpft, dafür haben wir uns die Spielräume und die Möglichkeiten eröffnet. Wir haben dafür gekämpft, Sie schenken diese Möglichkeiten, eine öster­reichi­sche Entscheidung zu treffen, heute leichtfertig wieder her. (Abg. Haubner: Wir haben schon vorher dafür gekämpft!)

Herr Vizekanzler, so, wie Sie gesagt haben, haben wir diesem Abkommen tatsächlich wichtige Giftzähne gezogen. Was Sie jetzt allerdings machen, ist, dass Sie dem Abkommen diese Giftzähne wieder implantieren. Sie ermöglichen damit, dass sich internationale Großinvestoren und internationale Konzerne an den österreichischen Gerichten und an den österreichischen Gesetzen vorbei Recht verschaffen können. Sie ermöglichen, dass sich Großkonzerne und internationale Investoren Privilegien und Sonderrechte verschaffen können, die nicht für unsere Klein- und Mittelbetriebe und nicht für unsere Bürgerinnen und Bürger gelten. Und Sie ermöglichen damit, dass unsere Gesetze und unsere Gerichte, die gut genug für alle Österreicherinnen und Österreicher und alle Wirtschaftstreibenden in unserem Land sind, nicht gut genug für internationale Großinvestoren sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben dafür gekämpft, dass wir über diesen entscheidenden Punkt in diesem Ab­kommen hier in Österreich entscheiden können. Sie schenken das leichtfertig wieder her. Die Frage ist, warum Sie das tun und wem das dient, und die Antwort, die auf der Hand liegt, ist ganz klar: Das tun Sie im Interesse der Großsponsoren Ihres Regie­rungs­partners ÖVP. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Winzig: Mein Gott!)

Es gibt keinen vernünftigen Grund, das jetzt durchzuziehen. Wenn Sie sich die Ent­wicklung anschauen, dann muss man sagen, dass das, was wir hier vorgeschlagen haben, nämlich eine Ratifizierung von Ceta zu vermeiden, eine übliche Vorgangsweise bei Handelsabkommen ist. Das Gatt-Abkommen ist seit 1948 wirksam, es ist niemals ratifiziert worden. Wir haben erlebt, dass beim Europäischen Gerichtshof eine Klage darüber anhängig ist, ob diese privaten Sondergerichte für internationale Investoren rechtlich Bestand haben oder nicht. Sie warten diese Entscheidung nicht ab, Sie fahren drüber, Sie ziehen das einfach durch – in wessen Interesse, wenn nicht im Interesse der Großsponsoren der ÖVP? (Zwischenruf der Abg. Winzig.)

Wenn Sie sich anschauen, was der Europäische Gerichtshof erst kürzlich im Rahmen des Achmea-Verfahrens entschieden hat, dann sehen Sie, dass der Gerichtshof gesagt hat, dass die privaten Schiedsgerichte innerhalb Europas nicht mehr gelten dürfen. Wenn Sie sich anschauen, was die Begründung war, dann werden Sie feststel­len, dass der Gerichtshof gesagt hat: Über europäisches Recht dürfen im Endausbau nicht private Schiedsgerichte entscheiden, sondern einzig und allein der Europäische Gerichtshof ist dazu verpflichtet. Auch das hätte man als Ansatzpunkt nehmen können, um eine Ratifizierung nicht durchzuführen und zu sagen: Wir schauen uns an, wie sich das entwickelt.

Die EU wird mittlerweile selber gescheiter, als Sie hier es sind. Schauen Sie sich das Abkommen mit Japan an, das in den nächsten Wochen über die Bühne gehen wird! Dort hat die Europäische Union bereits aus gutem Grund auf solche Sondergerichte und Sonderrechte für internationale Investoren verzichtet, denn sie weiß, dass sie damit weder juristisch noch politisch weiterkommen wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Umso mehr ist es unverständlich, dass Sie jetzt versuchen, im letzten Abdruck, auf den letzten Metern dieses Abkommen mit seinen Sondergerichten in Kraft zu setzen, es durchzuziehen. Ihnen kann es offensichtlich gar nicht schnell genug damit gehen, diese Lobbyinteressen zu bedienen.

Ich finde es bedauerlich, dass das Ganze dann auch noch unter neuem Stil firmiert, denn das Einzige, was ich hier sehen kann, ist ein Kuhhandel, den ja die Vertreter der FPÖ ganz offensichtlich zugegeben haben. Sie haben die Aufhebung des Rauch­ver­bots bekommen, die ÖVP bekommt dafür die Zustimmung für die Sonderrechte inter­nationaler Investoren. Ich kann nur sagen: Wenn Sie das nächste Mal einen Kuhhandel machen, wäre es mir recht, wenn Sie es wenigstens mit umgekehrten Vorzeichen tun. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben auch Ihre bemerkenswerten Rechtfertigungsversuche erlebt. Kollege Rosenkranz hat heute in der Früh gesagt: Na ja, wenn man draufkommt, dass das alles vielleicht doch unbrauchbar ist und die Befürchtungen eintreten, dann können wir es ja wieder abschaffen. – Ja, das können Sie abschaffen, aber das hat eine 20 Jahre lange Folgewirkung. (Abg. Winzig: Das ist gar nicht wahr!) Wenn Sie übermorgen draufkommen, dass das, was Sie beschlossen haben, ein Blödsinn war, dann dauert es 20 Jahre, bis die internationalen Großkonzerne und Großinvestoren ihre Rechte wieder verlieren werden, Herr Rosenkranz. Sie haben die Öffentlichkeit falsch infor­miert, Herr Rosenkranz. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Sie haben vom Völkerrecht keine Ahnung! Haben Sie schon die Strafprozessordnung gelesen?)

Auch bemerkenswert ist die Theorie: Wir haben die Giftzähne gezogen! – Der Vertei­digungsminister war heute ehrlich genug, zuzugeben, dass er zwar nicht weiß, welche, aber er glaubt, dass sie gezogen wurden. (Abg. Rosenkranz: Publizistik alleine ist zu wenig!) Die Wahrheit ist: Seit dieses Abkommen in Brüssel unterzeichnet worden ist, hat sich rein gar nichts geändert. Erzählen Sie diesen Lavendel also bitte nicht auch noch der Bevölkerung! (Abg. Gudenus: Holler und Lavendel!) Seien Sie wenigstens Manns genug, sich hinzustellen und zu sagen: Ja, wir wollen das, wir beschließen das, wir haben im Wahlkampf und jahrelang etwas anderes versprochen, aber wir machen es jetzt!, und erzählen Sie nicht permanent, dass Sie nicht anders können, weil irgendjemand anderer das für Sie entschieden hat! (Zwischenruf des Abg. Neubauer.) Wir entscheiden das hier in diesem Haus. (Beifall bei der SPÖ.)

Lassen Sie mich zu einem abschließenden Gedanken kommen: Ich bin davon über­zeugt, dass Europa eine aktive Handelspolitik braucht, dass es um die Durchsetzung unserer politischen Interessen geht. In einer Zeit nationaler Abschottung, in der wir eine Rückwärtsentwicklung sehen, in der es viele gibt, die nicht an die internationale Kooperation glauben, ist es umso wichtiger, eine aktive Handelspolitik zu betreiben. (Abg. Neubauer: Treten Sie zurück!) Da geht es nämlich um die Durchsetzung unserer europäischen und damit österreichischen Interessen.

Wenn wir aber von Interessen reden, dann kann es nicht nur um die Interessen der Profitmaximierung gehen, dann muss es in viel höherem Maße darum gehen, durch­zusetzen, dass sich die europäischen Standards im Bereich der Sozialpolitik auf der ganzen Welt behaupten, durchzusetzen, dass unsere Unternehmen nicht in Billigkon­kurrenz mit Unternehmen stehen, die Umweltdumping betreiben, die sich über die Gesundheitsinteressen unserer Menschen in Österreich leichtfertig hinwegsetzen. Des­halb ist es wichtig, Handelspolitik aktiv zu gestalten, sich hinzustellen und zu sagen, dass das unser Bild von der Zukunft ist, und nicht einfach bloß Lobbys zu bedienen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben gesagt, dass Sie hier in Österreich gar nichts mehr machen können; es ist anders, Sie können alles machen. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Bösch: War das alles?)

15.17

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesminister Schramböck. – Bitte.