11.23

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (PILZ): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe das EU-Ratsvorsitz-Programm sehr genau gelesen: Auf 67 Seiten findet sich dort wenig Konkretes, leider! Heute hingegen, Herr Bundeskanz­ler, sind Sie sehr konkret gewesen. Heute haben Sie nämlich gesagt – und viel mehr habe ich auch aus Ihren Ausführungen nicht mitnehmen können –: Es geht um ein Eu­ropa, das schützt, es geht um Sicherheit.

Ja, es geht um Sicherheit, da stimme ich Ihnen zu, aber es geht nicht nur um die Si­cherheit und den Schutz der Außengrenzen, sondern es gibt eine Reihe von Heraus­forderungen, die Sicherheit weiter interpretieren lassen und die eine weitere Interpre­tation erfordern. Das aber vermisse ich beispielsweise in diesem EU-Ratsvorsitz-Pro­gramm: die soziale Sicherheit, die Schaffung einer Sozialunion, um Spaltungen in der Europäischen Union entgegenzuwirken.

Ein weiterer Punkt, den ich vermisse, ist etwa die Frage eines Steuerpaktes, der dazu angetan ist, mehr Steuergerechtigkeit auf europäischer Ebene zu schaffen: durch die Besteuerung von Vermögen auf europäischer Ebene, aber auch durch die Schließung von Steuerfluchtrouten, die dazu führt, dass in diesem Europa endlich auch die großen Konzerne ihre Steuern zahlen und nicht nur die Kleinen. Es geht darum, in diesem Europa auch den Steuerbetrug zu beenden. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abge­ordneten der SPÖ.)

Eine weitere große Herausforderung, Herr Bundeskanzler – und auch das wird in die­sem Programm sehr kurz abgehandelt –, ist der Klimaschutz. In diesem Zusammen­hang ist es von enormer Bedeutung, ein klares Bekenntnis zu CO2-Steuern abzulegen, zu einer ökologischen Steuerreform, die in Österreich beginnen kann, aber auf euro­päischer Ebene fortgesetzt werden muss. Von alledem findet sich in Ihrem Vorsitzpro­gramm leider, leider sehr wenig.

Nun komme ich aber zum Punkt: Wenn wir ein gemeinsames, ein starkes Europa ha­ben wollen, dann brauchen wir auch eine Bundesregierung mit einer klaren proeuro­päischen Haltung. Und diese proeuropäische Haltung, Herr Bundeskanzler, vermisse ich bei dieser Regierung. Bereits angesprochen wurde das Beispiel der Annäherung an Ungarn: Sie betreiben die gleiche Flüchtlingspolitik wie Orbán, Sie sind aber auch sehr still und schweigsam, wenn es darum geht, zur Demontage der Demokratie in Ungarn Stellung zu nehmen.

Ein anderes Beispiel: Vizekanzler Strache hat jüngst die Personenfreizügigkeit infrage gestellt, eine der vier Grundfreiheiten in Europa. Das nennen Sie einen proeuropäi­schen Kurs?

Ein weiteres Beispiel: die Indexierung der Familienbeihilfen für Kinder von EU-Aus­ländern. Das ist nach Ansicht vieler Rechtsexperten klar EU-rechtswidrig.

Ein weiteres Beispiel, Herr Bundeskanzler: Sie erfinden Migrationsrouten. Das jüngste Beispiel: Albanien, wo dann der dortige Ministerpräsident Edi Rama erklärt hat, es gibt kein Problem mit Migranten, es gibt gar keine Migrationsrouten, es gibt keine Migra­tionswelle in Albanien.

Ein weiteres Beispiel – und da werden Sie im Rahmen der Präsidentschaft eine be­sonders wichtige Rolle spielen – ist die Frage des mehrjährigen Finanzrahmens. Da nehmen Sie eine sehr unrühmliche Rolle ein, indem Sie mit einigen skandinavischen Ländern eine Minderheitenposition vertreten. (Abg. Rosenkranz: Die Liste Pilz, würde ich sagen, ist auch ein Minderheitenprogramm!) Sie wollen einen mehrjährigen Finanz­rahmen haben, in den Sie weniger einzahlen, aber aus dem Sie mehr herausbekom­men. Einzig der Finanzminister hat Sie jüngst korrigiert und gemeint, das geht gar nicht, aber Sie und Ihr Herr Minister Blümel beharren ja weiterhin darauf, weniger ein­zuzahlen und mehr herauszubekommen, insbesondere für die Landwirtschaft. (Abg. Martin Graf: Das ist aber ein sehr guter Ansatz!)

Das ist nicht proeuropäisch, Herr Kanzler (Abg. Belakowitsch: Das ist einmal ganz europäisch!), das ist eine erbärmliche Haltung (Abg. Martin Graf: Immer nur die Mehr­heitsmeinung vertreten ist auch nicht ...!) in einer sehr zentralen Frage, bei der es um die großen Herausforderungen in der Europäischen Union geht. (Beifall bei der Liste Pilz.)

Wenn es um die großen Fragen in der Europäischen Union geht, dann ziehen Sie sich zurück auf die Floskel: weniger Europa, aber effizienter. – Sie sprechen von der Subsi­diarität, sprechen aber nie klar aus, was Sie eigentlich darunter verstehen wollen. Orientieren Sie sich lieber an den großen Linien, die Präsident Emmanuel Macron vor einigen Monaten gezeichnet hat! Ich kenne noch keine Stellungnahme der Bundesre­gierung zu diesen Fragen, beispielsweise dazu: Wie halten Sie es mit einem EU-Fi­nanzminister? Wie halten Sie es mit einem Eurozonenbudget? (Ruf bei der FPÖ: Gar nicht!) Diskutieren wir doch darüber! Aber daran haben Sie offenbar kein Interesse. (Abg. Rosenkranz: Mit dem Herrn Strache haben Sie nicht diskutiert! Das ist unfass­bar!)

Stattdessen hagelt es von Ihrer Seite immer wieder populistische Töne für das heimi­sche Publikum. Ohne diese Sündenbockpolitik können Sie Ihre Politik in Österreich nämlich nicht betreiben. Und dann wundern wir uns in Österreich alle, dass die Öster­reicherinnen und Österreicher eine kritische Haltung gegenüber der EU haben. (Abg. Belakowitsch: Es ist aber umgekehrt: Zuerst war die kritische Haltung!)

Sie, Herr Bundeskanzler, spielen auf der Klaviatur des Nationalismus ein sehr gefährli­ches Spiel, und das haben Sie gestern auch in Berlin gezeigt: Sie sprachen sich ges­tern in Berlin für eine Achse der Willigen aus. (Abg. Rosenkranz: Bravo!) – Ja, bra­vo. – Sie wissen aber schon, Herr Bundeskanzler – und Sie, Herr Abgeordneter Ro­senkranz, wissen das hoffentlich auch –, dass dieser Begriff der Achse der Willigen historisch schwer belastet ist (Abg. Martin Graf: Das hat der Kern auch gesagt!) und dass diese Metapher in fataler Weise an den Pakt zwischen Mussolini und Hitler erin­nert. (Abg. Rosenkranz: Das ist unfassbar!) Herr Bundeskanzler, unpassender geht es nicht mehr. (Abg. Rosenkranz: Das ist unfassbar! Aber bei dieser Vorsitzführung wun­dert mich nie etwas! Jetzt langt es bald! Jetzt langt es aber!) Unterlassen Sie derartige Provokationen und Vorstöße, und sorgen Sie für gesamteuropäische Lösungen in al­len Fragen. – Danke sehr. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Jetzt langt es aber! – Ruf bei der FPÖ: Das ist eine Frechheit! – Abg. Neubauer: Ist das kein Ordnungsruf, Frau Vorsitzende?)

11.30

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster hat sich Herr Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Wort gemeldet. – Herr Bundeskanzler, Ihre Redezeit darf 10 Minuten nicht über­schreiten. Bitte.