Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „12-Stun­den-Tag und 60-Stunden-Woche – in wessen Auftrag, Herr Bundeskanzler?“ (1152/J)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen zur dringlichen Behandlung der schriftlichen Anfrage 1152/J.

Da diese inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Februar 2017: Großunternehmer Stefan Pierer (KTM): „Zwölf Stunden sollten möglich sein“

Sommer 2017: Stefan Pierer spendet mehr als 400.000 Euro für den ÖVP-Wahlkampf

Juni 2018: ÖVP und FPÖ bringen Antrag für 12-Stunden Tag und 60-Stunden Woche ein

Vor fast genau hundert Jahren wurde der 12-Stunden-Tag abgeschafft. Diese Errun­genschaft wird jetzt, hundert Jahre später, von dieser Regierung unter Bundeskanzler Kurz rückgängig gemacht. Die bedingungslose Verlängerung der Arbeitszeit heißt: Während bis dato maximal zehn Stunden am Tag gearbeitet werden darf, dürfen künftig auch eine 11. und 12. Stunde angeordnet werden. Anstatt 50 Stunden in der Woche, darf der Arbeitgeber 60 Stunden Arbeit verlangen. Der 12-Stunden-Tag ist so­mit ab dem In-Kraft-Treten dieser Neuregelung mit 1.1.2019 die allgemeine Höchst­grenze und nicht mehr die Ausnahme.

Der 12-Stunden-Tag macht krank und vernichtet Arbeitsplätze. Er erschwert die Ver­einbarkeit von Beruf und Privatleben, insbesondere dem Familienleben und verfestigt an sich bereits überholte Geschlechterrollen. Ihre generelle Einführung ist daher nicht nur für die betroffenen ArbeitnehmerInnen, sondern auch gesamtgesellschaftlich ein Rückschritt in frühindustrielle Zeiten.

Die Einführung 12-Stunden-Tag/60-Stunden-Woche bedeutet:

•           Lohnraub: Für die gleiche oder vielleicht sogar mehr Arbeit wird es vielfach ins­gesamt weniger Lohn geben.

o          In Zukunft kann bei Gleitzeit an fünf Tagen in der Woche bis zu 12 Stunden zu­schlagsfrei gearbeitet werden. Das betrifft derzeit bereits rund 1 Mio. ArbeitnehmerIn­nen. Je länger der Durchrechnungszeitraum ist, umso wahrscheinlicher wird es, dass die tägliche Arbeitszeit, die über acht Stunden hinausgeht, nicht als Überstunde be­zahlt werden muss.

o          Somit ist künftig eine zuschlagsfreie 60-Stunden-Woche möglich.

o          In Hinkunft wird auch die Anzahl der betroffenen AN deutlich steigen, weil Gleit­zeit mit den einzelnen AN persönlich und nicht mehr über BV vereinbart werden kann.

o          Alle Menschen mit All-Inklusive-Verträgen, das sind laut Statistik Austria rund 15 % aller ArbeitnehmerInnen, müssen fürs selbe Geld mehr arbeiten. Bisher 50 Wo­chenstunden, künftig 60 Wochenstunden.

•           Freizeitraub: Keine Zeit mehr für die Familie

o          Die Arbeitszeit wird nicht flexibel, nur länger. Im Vorschlag steht kein Wort zu Freizeit, Wahlmöglichkeit oder langen Wochenenden.

o          Bisher musste der Chef begründen, warum 12 Stunden notwendig sind, jetzt muss der/die Arbeitnehmer/in die angeordneten Überstunden ablehnen!

o          Auch Arbeit am Wochenende kann leichter angeordnet werden. Künftig müssen sich die ArbeitnehmerInnen rechtfertigen, wenn sie am Wochenende nicht arbeiten wollen und die privaten Interessen werden mit den betrieblichen abgewogen.

o          Dazu kommt, dass der/die Arbeitnehmer/in, die nicht in echter Gleitzeit arbeitet, nicht über ihre/seine Arbeitszeit entscheiden kann, vielmehr geht der Unternehmer nach dem betrieblichen Bedarf vor. Da wird die Aussage der Regierung, dass die Men­schen Arbeit und Familie besser abstimmen können, zur Farce.

o          Die von Schwarz/Blau behauptete Freiwilligkeit der Mehrarbeit ist in der realen Arbeitswelt nur schwer umsetzbar. Dafür fehlen nämlich die entsprechenden Regelun­gen im Gesetz. So findet sich kein einziger Rechtsanspruch auf Zeiteinteilung oder Zeitausgleichverbrauch!

•           Gesundheitsraub: Lang arbeiten macht krank und führt zu Unfällen.

o          Ab der 10. Arbeitsstunde geschehen die meisten Arbeitsunfälle.

o          Nach 12 Stunden Arbeit wird auch der Heimweg zur Gefahr. Rund eine Million Pendler, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, sind länger als eine Stunde täglich un­terwegs. Für sie gilt also nicht der 12-Stunden-Tag, sondern mindestens 13 Stunden Belastung täglich.

o          Je länger die Wochenarbeitszeit, desto mehr Herz-Kreislauf-Beschwerden.

o          Burn-out-Risiko steigt, wenn man regelmäßig länger als 40 Stunden arbeitet.

o          Über 55 Wochenstunden: Schlaganfallrisiko steigt um 33 Prozent.

o          Über 55 Wochenstunden: Herzinfarktrisiko steigt um 13 Prozent.

Was bedeutet diese Regelung ganz konkret:

Herr Kloiber ist Zimmerer. Er schrieb allen Fraktionen des Hohen Hauses folgendes:

„Wissen Sie eigentlich welchen Belastungen dieser Arbeitnehmer in seiner Arbeit aus­gesetzt ist (Temperaturen um die 30 °C, Arbeitshöhe, schwere körperliche Arbeit, …)?

4:30     Aufstehen (Toilette, Frühstück)

5:00 – 6:00      Fahrt zur Arbeitsstelle

6:00 – 18:45    Arbeitszeit (1/4 Stunde Jausenzeit, 1/2 Stunde Pause)

18:45 – 19:45  Fahrt nach Hause

19:45 – 20:45  (Toilette, Abendessen)

20:45 – 21:30  (3/4 Stunde: Familie, Kinder)

21:30 – 4:30    (7 Stunden Schlaf)

4:30     Aufstehen (…).

Wenn man den Arbeitnehmern eine 60 Stundenwoche zumutet und ein Lehrer 20 Stun­den Lehrverpflichtung hat, frage ich mich schon, wo der „Hausverstand“ bleibt!

Wir sind ein Österreich und wir sollten uns schon fragen, ob wir einigen Berufsgruppen das Leben zur „Qual“ machen wollen.“

In Österreich besteht wirklich nicht das Problem, dass die Menschen zu wenige Über­stunden machen oder gar zu kurz arbeiten würden. Gerade der Vergleich mit den Län­dern, die vor allem die Industriellenvereinigung immer anführt, wie Finnland, Dänemark oder Schweden, ist äußerst aufschlussreich. Dort sind sowohl die vereinbarten als auch die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten weitaus kürzer als in Österreich.

In Österreich ist die effektive Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten weitaus höher als die vereinbarte Normalarbeitszeit. Grund sind eine Vielzahl von Überstunden und Mehrar­beit. Wir haben die drittlängsten Arbeitszeiten in der EU und liegen mit 41,4 Stunden um 3,6 Stunden pro Woche weit über Dänemark!

Es ist vollkommen absurd: Die Industriellenvereinigung argumentiert längere zulässige Arbeitszeiten genau mit dem Hinweis auf jene Länder, die real zu der Ländergruppe mit den kürzesten Arbeitszeiten in Europa zählen und in denen ArbeitnehmerInnen die Arbeitszeit selbst bestimmen können und viele Wahlmöglichkeiten haben. Im Regie­rungsantrag zu den Arbeitszeitänderungen sind hingegen keinerlei Wahl- und Gestal­tungsrechte für ArbeitnehmerInnen vorgesehen.

Uns wird verkauft: Nix geht im Staate Österreich. Verkrustete starre Regelungen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wie wir wissen, gibt es schon bisher zahlreiche Ausnahme­bestimmungen und es kann unter verpflichtender Mitbestimmung des Betriebsrats ein vorübergehender 12-Stunden-Tag und eine 60-Stunden-Woche zugelassen werden. 24 Wochen im Kalenderjahr – das ist die Hälfte des Jahres!

Genau diese betriebliche Mitbestimmung, genau diese Einschränkung auf Notsitua­tionen und die Vorteile für ArbeitnehmerInnen (wie z.B. 100-prozentige Überstundenzu­schläge), die als Gegengeschäft legitimer Weise verlangt werden, sind der Wirtschaft ein Dorn im Auge.

Betriebliche Mitbestimmung wird bereits seit geraumer Zeit als lästig, bürokratisch, eben einfach nicht mehr modern, abgetan. Die Konsequenz der Regierungsparteien: Sie wird einfach ersatzlos abgeschafft.

Das Arbeitszeitgesetz ist ein Schutzgesetz, das verhindern soll, dass ArbeitnehmerIn­nen durch überlange Arbeitszeiten krank werden und sie sich für die Profitmaximierung ihres Arbeitgebers kaputt arbeiten müssen. Ein Schutzgesetz, das verhindern soll, dass ihr Privatleben leidet, dass sie ihre Kinder nur zum Schlafengehen sehen und mangelnde Planbarkeit und Vorhersehbarkeit eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung verunmöglichen.

Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und Bundesregierung propagieren laut­hals – sogar in ganzseitigen Zeitungsinseraten – wie vorteilhaft die neu vorgeschlage­ne Arbeitszeitverlängerung für die Beschäftigten sei. Von mehr Freizeit, mehr Freiheit, sogar von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist die Rede.

Die Bundesregierung inserierte großflächig zur Bewerbung des 12-Stunden-Tag-Ge­setzes in den Österreichischen Tageszeitungen (17.6.2018). Dies zusätzlich zum pein­lichen Werbevideo der WKO, das bereits vom Netz genommen wurde. Tragendes Ar­gument bei den Inseraten ist, dass durch den Initiativantrag in Zukunft die 4-Tage-Woche umgesetzt würde, dies ist allerdings eine evidente Falschinformation: Die 4-Ta­ge-Woche gibt es seit über 20 Jahren im Arbeitszeitgesetz und sie ist bereits heute gel­tendes Recht.

Ein Blick in den Initiativantrag offenbart schnell: Der Entwurf enthält keinen Rechtsan­spruch auf Wahlfreiheit, auf Freizeit, keine Selbstbestimmtheit. Keine Verkürzung, kei­ne langen Wochenenden, keine zusätzlichen Ausgleichsmaßnahmen. Kein Wort da­von.

Wenn Frauen- und Familienministerin Bogner-Strauß den 12-Stunden-Tag eine „große Chance“ für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nennt und Frauen rät, die Digita­lisierung nutzen und "im Home-Office weiterzuarbeiten" (APA0139 II 14.06.2018), geht das erneut völlig an der Lebensrealität vorbei.

Die Erhöhung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden und der wöchentlichen Arbeits­zeit auf 60 Stunden bedeutet nämlich auch, dass Eltern auf Abruf arbeiten müssen und planbare Familien- und Freizeit auf der Strecke bleiben. Berufstätige Eltern werden in Zukunft noch häufiger mit den täglichen Herausforderungen zwischen Beruf und Be­treuungspflichten an ihre Belastungsgrenzen kommen.

Tatsächlich sind in den meisten Regionen Österreichs die Kinderbetreuungs- und Bil­dungseinrichtungen gar nicht auf 12-Stunden-Tage der Eltern ausgerichtet. Die aktuel­le Kindertagesheimstatistik zeigt, dass nur 2 % aller Einrichtungen außerhalb von Wien 12 Stunden oder länger geöffnet haben. Selbst, wenn die Kinder in die Volksschule gehen, gibt es defacto gar keine 12 Stunden Betreuung, denn auch Ganztagesschulen bieten in der Regel nur 8 Stunden Betreuung. Was auf der Strecke bleibt sind Fami­lienzeit und gemeinsame Freizeit von Eltern und Kindern – vom Kindeswohl ganz zu schweigen.

Für Alleinerziehende ist der 12-Stunden-Tag überhaupt unzumutbar. Der Druck auf Al­leinerzieherInnen wird nochmals erhöht, wenn sie ohne Unterstützung von Betriebs­räten und Betriebsvereinbarungen ihre Interessen durchsetzen sollen und der Job überlebensnotwendig ist.

Als Schutz gegen eine übermäßige Überstundenanordnung soll nun ein Ablehnungs­recht eingeführt werden. Es gab aber bisher schon ein Ablehnungsrecht. Künftig gelten aber zwei unterschiedliche Regime. Während die 9. und 10 Stunde nicht ausdrücklich abgelehnt werden muss, sondern eine Anordnung bei berücksichtigungswürdigen Gründen schlicht nicht zulässig ist, muss bei den weiteren zwei Überstunden eine klare Ablehnung erfolgen. In der Realität kaum durchsetzbar, denn ArbeitnehmerInnen, die auf ihren Job angewiesen sind, werden eine Ablehnung nicht sehr oft in Anspruch neh­men können.

Das ist keine Flexibilisierung der Arbeitszeit, das ist keine Modernisierung. Im Gegen­teil. Aus einem ArbeitnehmerInnen-Schutzgesetz wird ein Gesetz zur Ermöglichung na­hezu grenzenloser Ausbeutung.

Es zeigt sich immer mehr, dass diese Gesetzesvorlage ein Pfusch ist und überhaupt nicht durchdacht. Dahinter steht eine mächtige Unternehmerlobby, die den 12-Stun­den-Tag unbedingt und mit aller Macht durchdrücken will.

Mit dem Initiativantrag wird aber auch noch eine weitere Forderung von WKÖ und IV umgesetzt, nämlich ein ähnliches Tool wie das Risiko-Analyse-Tool-Dienstgeber auch für Sozialmissbrauch durch DienstnehmerInnen einzuführen. Diese Datenbanken las­sen allerdings unmittelbare Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Versicher­ten zu. Aus guten Gründen sind diese Datenbanken nur bei den Sozialversicherungs­trägern angesiedelt, aber nicht vernetzt und schon gar nicht zentralisiert.

Dass die Vermeidung von weniger als 100.000 Euro an Missbrauch, bei einem Ge­samtvolumen von Sozialversicherungsausgaben von rund 60 Milliarden Euro, das sind 0,0002 Prozent, ein wichtiges öffentliches Interesse darstellt, welches die Verwendung dieser Daten rechtfertigen würde, ist zu bezweifeln.

Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass es bereits ein Kontrollsystem durch den chef­ärztlichen Dienst gibt, wo z.B. für jede Krankheit unterschiedliche Kontrollintervalle vor­gesehen sind, lässt sich der Mehrwert nicht finden.

Im Gendergesundheitsbericht des BMASGK steht zu lesen: "Zu arbeitsplatzbezogenen Stressfaktoren gehören zunehmend steigende Anforderungen in Bezug auf Flexibilität, Erreichbarkeit und steigenden Zeitdruck." Die steigende Arbeitsbelastung führe näm­lich zu einer Erhöhung des Depressions- und gar Suizidrisikos. Und bereits jetzt sei mehr als jeder dritte Arbeitnehmer von Arbeitsüberlastung betroffen.“

Diese Aussage steht in diametralem Widerspruch zum Gesetzesvorhaben zum 12-Stun­den-Tag. Einseitige Anordnung von Überstunden ohne Vorankündigungsfrist durch Ar­beitgeber erzeugt Stress und macht krank. Nach den Rauchergesetzen ein weiterer Anschlag auf die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen.

Aus Statistiken der AUVA für die Jahre 1995 bis 2011 ergibt sich, dass die Kosten für die österreichischen Betriebe durch den Rückgang an Arbeitsunfällen um ca. 2,2 Mil­liarden Euro reduziert wurden, womit auch eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit verbunden ist. Der volkswirtschaftliche Schaden konnte in dem Zeitraum um rund 8,6 Milliarden Euro reduziert werden.

Das wurde auf Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen des ArbeitnehmerInnen­schutzes, die im Wesentlichen auf Sozialpartnereinigungen beruhen erreicht werden. Nun wird der Arbeitnehmerschutz systematisch abgebaut. Das Arbeitszeitrecht als ei­nes der tragenden Säulen wird massiv aufgeweicht. In zahlreichen Studien ist belegt, dass ab der 9. Arbeitsstunde die Unfallhäufigkeit signifikant steigt. Heute entsteht un­serer Volkswirtschaft durch Arbeitsunfälle noch immer ein jährlicher Schaden in der Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro. Dazu kommen Auswirkungen für die Betroffenen, die in Geld nicht bewertbar sind, wie Angst, Schmerz, Schock, Verlust an Lebensqua­lität und Verlust an Sozialprestige.

Diese Auswirkungen können doch weder im Interesse der Wirtschaft noch im Interesse der Bundesregierung sein.

Es zeigt sich daher immer mehr, mit diesem verpfuschten Initiativantrag werden die Rechte der ArbeitnehmerInnen ausschließlich verschlechtert, es gibt keine einzige Ver­besserung für die Beschäftigten, sondern lediglich mehr Pflichten, aber es werden die Rechte der Arbeitgeber enorm ausgebaut.

Klar und deutlich ist erkennbar, dass mit dieser Verlängerung der Arbeitszeit eine zen­trale Forderung eines Großspenders der ÖVP und Bundeskanzler Kurz umgesetzt wird.

Ein wesentliches Indiz dafür ist auch die Vorgangsweise, wie diese Änderungen durch­gepeitscht werden sollen: Schwarz/Blau vereinbaren im Regierungsprogramm den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche, die Regierung ist aber dann nicht in der Lage (oder will sich auch einfach nicht selber anpatzen), die Umsetzung in Form einer Regierungsvorlage zu präsentieren und in einem normalen Begutachtungsverfahren auch die Zivilgesellschaft einzubinden.

Der von den Regierungsparteien eingebrachte Initiativantrag wird dann nicht, wie üb­lich, dem fachlich zuständigen Ausschuss – dem Ausschuss für Arbeit und Soziales – zugewiesen, sondern dem Wirtschaftsausschuss, in dem die ÖVP den Vorsitz hat, da­mit ja nichts schiefgehen kann. Schließlich wird der Behandlung des Antrages auch noch eine Frist gesetzt, damit nicht einmal eine Ausschusssitzung abgehalten werden muss und die Beschlussfassung im Nationalrat noch vor der Sommerpause erfolgen muss, obwohl die Regelungen erst mit 1.1.2019 in Kraft treten werden.

Auch die immer wieder von der ÖVP bevorzugte Taktik, zuerst etwas ganz Schlimmes vorzuschlagen und dann das Üble durch ein paar kleine Verbesserungen abzumildern um schließlich sagen zu können: ist ja eh alles halb so schlimm, wird auch in diesem Fall wieder angewendet und die FPÖ geht der ÖVP dabei voll auf den Leim.

Die bisherigen Kommentare des Bundeskanzlers haben noch keinerlei Aufschluss da­rüber ergeben, wie der Regierungschef gedenkt mit den arbeitnehmerInnenfeindlichen Vorhaben umzugehen. Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundes­kanzler folgende

Anfrage

1) Warum haben Sie als Regierungschef nicht veranlasst, dass ihre Maßnahmen zur Verlängerung der Arbeitszeit ordentlich über ein Begutachtungsverfahren und einer Regierungsvorlage eingebracht werden?

2) Zitat Strache im Kurier 17.9.13 zu 12-Stunden-Tag: „Das ist eine asoziale, leis­tungsfeindliche Idee, da dies für alle Arbeitnehmer Nettolohnverluste bedeuten würde. ODER: Während des NR-Wahlkampfes 2013 wettert Strache: „ÖVP will Zwölf-Stun­den-Arbeitstag, um Großkonzernen dienstbar zu sein.“ Was haben sie Vizekanzler Strache versprochen, damit er der Arbeitszeitverlängerung zustimmt?

3) Welche Forderungen der Industriellenvereinigung oder anderer Großspender der ÖVP werden Sie noch umsetzen?

4) Wie man einem Foto aus den sozialen Netzwerken entnehmen kann, widmen sie sich intensiv den Unterlagen der Industriellenvereinigung. Wie oft haben sie sich seit ihrem Amtsantritt mit VertreterInnen der Industriellenvereinigung getroffen?

5) Wie oft haben sie sich seit ihrem Amtsantritt mit VertreterInnen des ÖGB oder der Bundesarbeitskammer getroffen?

6) Mit welchen GroßunternehmerInnen haben sie sich seit ihrem Amtsantritt getroffen?

7) Warum gefährden sie den sozialen Frieden in unserem Land mit Ihren Maßnahmen und mit ihrer Vorgangsweise, indem Sie einen Teil der Sozialpartner völlig aus den Ge­sprächen zu so schwerwiegenden Gesetzesänderungen ausschließen?

8) Die Österreichische Bischofskonferenz schreibt in ihrer Stellungnahme, dass die be­absichtigten Gesetzesänderungen völkerrechtliche Verpflichtungen der Republik Öster­reich auf Grundlage des Konkordats verletzen und verfassungsrechtlich bedenklich sei­en. Um den völkerrechtlichen Verpflichtungen zu entsprechen, sei die Kontaktaufnah­me der Republik Österreich mit dem Heiligen Stuhl notwendig, um das im Konkordat völkerrechtlich geforderte Einvernehmen in Bezug auf die geplante Einschränkung der Wochenend- und Feiertagsruhe herbeizuführen. Werden Sie dieser völkerrechtlichen Verpflichtung nachkommen?

9) Die Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher DienstnehmerInnenvertretungen Österreichs schreibt in ihrer Stellungnahme: Die Änderung des AZG widerspricht insbesondere den Prinzipien der Soziallehre der katholischen Kirche, da sie die Freiheit der Beschäftigten einschränkt (199, 200), damit auch in die Würde der Arbeit eingreift (271, 272), das Fa­milienleben nachteilig beeinflusst (294), die Bedeutung der ArbeitnehmerInnenvertre­tung massiv beschneidet (305, 306, 307, 308), Wettbewerbsinteressen über den Schutz der ArbeitnehmerInnen stellt (314) und damit das Ungleichgewicht in der Ar­beitswelt (319, 321) verstärkt und das Gewinnstreben und die Unternehmensziele über die Würde/Bedürfnisse der Beschäftigten (340, 344) stellt. Wie bewerten Sie diese Ar­gumente und können Sie sich diesen anschließen?

10) Die AK-Tirol schreibt in ihrer Stellungnahme: Entgegen der öffentlichen Darstellung ist eine 4-Tage-Woche bereits seit dem Jahr 2007 rechtlich zulässig und zwar mit einer 10-stündiger täglicher Normalarbeitszeit und einer Höchstarbeitszeit von 12 Stunden pro Tag mit Überstunden. Die geplante Neufassung bewirkt daher im Vergleich zur gel­tenden Rechtslage eine massive Schlechterstellung der Arbeitnehmerschaft und wird daher abgelehnt. Im Gegensatz dazu hat das BMASGK ganzseitige Inserate in Tages­zeitungen geschaltet, in denen die 4-Tage-Woche als neue Möglichkeit der Arbeitszeit­gestaltung angepriesen wird. Wieviel hat dem Steuerzahler/der Steuerzahlerin die Kam­pagne des BMASGK in diversen Printmedien zur 4-Tage-Woche gekostet?

11) Wie kommen Sie auf die Idee, geltendes Recht, welches noch dazu verschlechtert wird, als Neuerung unter Einsatz von Steuergeld zu bewerben?

12) Planen Sie – um Ihrer eigenen Kampagne gerecht zu werden – einen Rechtsan­spruch auf eine 4-Tage-Woche bei 12-Stunden-Arbeit in Ihren Entwurf aufzunehmen?

13) Die Länge der Arbeitszeit verhält sich umgekehrt proportional zur durchschnittli­chen Produktivität pro Arbeitsstunde. Halten Sie es für betriebs- und volkswirtschaftlich vernünftig, wenn längere tägliche Arbeitszeiten zu einer Reduktion der durchschnittli­chen Produktivität führt?

14) Welche Auswirkungen auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und der Beschäfti­gung werden mit der Ausdehnung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeit erwartet?

15) Wie wollen Sie verhindern, dass durch den massiven Abbau des Arbeitnehmer­schutzes durch Aufweichen des Arbeitszeitrechtes vor allem die negativen Auswirkun­gen auf die einzelnen Beschäftigten und ihre Familien nicht weiter zunehmen?

16) Auch wenn Sie in dem angekündigten Abänderungsantrag beabsichtigen Kündi­gungen auf Grund der Ablehnung der 11. und 12. Überstunde auszuschließen, können Arbeitgeber auch in Hinkunft ohne Angabe von Gründen ArbeitnehmerInnen kündigen. Wenn dann auch noch zwischen Ablehnung und Kündigung ein gewisser Zeitraum liegt, wird es für ArbeitnehmerInnen schwierig, den Zusammenhang herzustellen. Wie stellen Sie sicher, dass zum Beispiel Personen mit Betreuungspflichten einen ausrei­chenden Schutz vor Beendigung des Dienstverhältnisses haben?

17) Die AK-Vorarlberg schreibt in ihrer Stellungnahme: Grundsätzlich wirkt sich – dies ist empirisch belegt – jede Ausweitung der Arbeitszeit negativ für die Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt aus, weil auf Grund der nach wie vor sehr traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsstellung davon auszugehen ist, dass län­gere Arbeitszeiten (der Männer) durch (noch) kürzere Arbeitszeiten der Frauen ausge­glichen werden. Unterstützen Sie diese gesellschaftspolitische Auswirkung, dass Frau­en aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden und sich zu Hause um die Kinder kümmern, während die Männer 12 Stunden täglich arbeiten und keine Zeit für ihre Kinder haben?

18) Fast 500.000 ArbeitnehmerInnen in Österreich, jene mit All-In-Verträgen, müssen nach Ihren Plänen damit rechnen, für das selbe Entgelt bis zu 2 Stunden täglich und 10 Stunden wöchentlich mehr zu arbeiten. Werden Sie für diese betroffenen Arbeitneh­merInnen initiativ werden und den Gesetzesantrag verbessern?

19) Beabsichtigen Sie, so wie medial immer wieder von den Regierungsparteien ver­breitet wurde, den Gesetzestext so zu verbessern, dass doch auch bei Gleitzeit IM­MER Überstundenzuschläge für die 11. und 12. Arbeitsstunde gebühren?

20) Laut Arbeitsrechtsexperten wird die Mitwirkung der betrieblichen ArbeitnehmerIn­nenvertretung mit dem Initiativantrag im Bereich der Arbeitszeitregelungen enorm ein­geschränkt und damit das Schutzniveau der ArbeitnehmerInnen weiter reduziert, ob­wohl Sie im Wahlkampf 2017 immer wieder betont haben, dass die betriebliche Mitbe­stimmung bei der Arbeitszeitflexibilisierung nicht eingeschränkt werden wird. Warum stehen Sie nicht zu Ihren Wahlversprechen?

21) Mit dem Initiativantrag der Regierungsparteien erhöht sich die Jahresarbeitszeit bei Ausschöpfung der täglichen und wöchentlichen Höchstgrenzen um 96 Stunden, von 320 auf 416 Stunden, dies obwohl immer wieder beteuert wurde, dass es zu keiner Aus­weitung der Arbeitsstunden kommen wird. Wird diese Ausdehnung um fast 100 Stun­den im Jahr von Ihnen gebilligt?

22) Die Regierungsparteien und die Regierungsmitglieder beteuern stets, dass der 8-Stunden-Tag und die 40-Stunden-Woche erhalten bleiben. Was nützen diese Be­teuerungen, wenn die Arbeitgeber künftig 12 bzw. 60 Stunden anordnen können?

23) Haben Sie die gesundheitlichen Folgen ihres Initiativantrages auf Basis gesicherter arbeitswissenschaftlicher und arbeitsmedizinischer Erkenntnisse eingehend geprüft?

a. Wenn ja, zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

b. Auf welche gesicherte Forschungsergebnisse stützen Sie ihre Ergebnisse?

c. Wenn nein, warum bringen die Regierungsparteien einen Initiativantrag ein, ohne die negativen gesundheitlichen Folgen für die ArbeitnehmerInnen sowie die Belastungen für das Gesundheits- und Pensionssystem vorher eingehend zu prüfen?

24) Wie stehen Sie zu der Tatsache, dass bereits jetzt mehr als jeder dritte Arbeitneh­mer von Arbeitsüberlastung betroffen ist?

25) Wie ist das Gesetzesvorhaben zum 12-Stunden-Tag mit diesen Tatsachen und da­mit dem Gesundheitsschutz der ArbeitnehmerInnen vereinbar?

26) In der Stellungnahme der AK-Vorarlberg ist zum Thema Verkürzung der Ruhezei­ten für die ArbeitnehmerInnen im Tourismus- und Gastgewerbe zu lesen: … verschlech­tert die Arbeitsbedingungen in einer Branche, die unter massivem Fachkräftemangel leidet, nochmals massiv. Nicht nur Vollzeit- sondern auch Teilzeitkräfte sind umfasst, nicht nur Saisonbetriebe, sondern alle Betriebe des Schank-, Gast- und Beherber­gungsgewerbes, die alle bei sogenannten „geteilten Diensten“ die Ruhezeit extrem ver­kürzen können. Für ArbeitnehmerInnen bedeute dies bei längeren Anfahrtszeiten, dass der Schlaf weit unter 8 Stunden liegt und an Freizeit gar nicht zu denken ist. Wie be­gründen Sie diese Verschlechterung für die ArbeitnehmerInnen in einer Branche, die bereits unter einem Fachkräftemangel leidet?

27) Wird es aus Ihrer Sicht dadurch nicht noch zu einem höheren Arbeitskräftemangel in dieser Branche kommen, wenn die Arbeitsbedingungen derart schlecht sind?

28) Mit dem ÖVP-FPÖ-Initiativantrag wird die Sicherheit am Arbeitsplatz reduziert, denn es gilt als gesichert, dass ab der 9. Stunde das Unfallrisiko mit jeder Stunde stär­ker zunimmt und in der 12. Stunde um 70% höher ist. Sind ihnen die dramatischen Folgen von mehr zu erwartenden Arbeitsunfällen, mehr menschlichem Leid und höhe­ren betriebs- und volkswirtschaftlichen Kosten bekannt?

a. Wenn ja, wieso wollen Sie in Kenntnis der negativen Folgen an Mensch und Wirt­schaft auf dieser Verlängerung der Arbeitszeit beharren?

b. Wenn nein, warum lassen Sie die Regierungsparteien einen Initiativantrag einbrin­gen, ohne eine umfassende Folgenabschätzung zu verlangen?

29) Wollen Sie Pendlern wirklich zumuten in der 14. Stunde mit dem PKW heimzufah­ren, wenn Sie wissen, dass das Verkehrsunfallrisiko dann bei fast dem Fünffachem liegt? Das ist so, als ob man mit einem Alkoholspiegel von 0,8 Promille fährt!

30) Die Bundesregierung plant eine Ausdehnung der zumutbaren täglichen Wegzeit von derzeit 2 Stunden im Arbeitslosenversicherungsrecht. Wird an diesem Vorhaben auch bei einer 12-stündigen täglichen Höchstarbeitszeit festgehalten, obwohl inklusive Wegzeiten 14 Stunden pro Tag für das Arbeitsverhältnis aufgewendet werden müs­sen?

31) Lehrlinge über 18 Jahre müssen nun auch bis zu 12 Stunden arbeiten. Es werden nach Schätzung von ExpertInnen ca. 35.000-40.000 betroffen sein, weil sie als Lehrlin­ge über 18 Jahre alt sind und daher in die Regelungen des AZG fallen. Es sind im Prinzip dieselben Probleme wie bei allen anderen ArbeitnehmerInnen. Ein Lehrvertrag ist aber ein Ausbildungsverhältnis – welchen Lernertrag erzielt man in der 11. und 12. Stunde?

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf bekannt geben, dass der Bundeskanzler voraussichtlich um 16 Uhr in Wien landen und dann unverzüglich in den Saal kommen wird. (Abgeordnete von SPÖ und Liste Pilz tragen einen Sticker, auf dem die rot durch­gestrichene Zahl 12 innerhalb eines roten Kreises dargestellt ist, auf ihrer Kleidung.)

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Es gibt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung: Herr Abgeordneter Rosenkranz. – Bitte.