15.57

Abgeordneter Mag. Christian Kern (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister hat seine Ausführungen damit begonnen, dass er gesagt hat: Manche tun ja so, als ob sich die Welt verändern wür­de. – Ja, das Problem scheint mir zu sein: Ihre Welt wird sich durch dieses Gesetz mit Sicherheit nicht verändern. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Jawohl!)

Es wird aber mehr als drei Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und de facto jede Familie in unserem Land betreffen. Ich muss dazusagen: Ich finde diese Diskus­sion bemerkenswert. Es tut mir heute nur einer wahnsinnig leid, und das ist Beppo Mu­chitsch. – Mein Freund, dein wirklich inspirierter Aufklärungs- und Erziehungsversuch ist sichtlich völlig am Herrn Bundesminister abgeprallt. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Bißmann.)

Es ist wirklich faszinierend und ein Ausdruck von seltener Inkompetenz (Zwischenruf bei der FPÖ) – Sie erlauben mir diese Zuspitzung –, wenn man sich die Beispiele an­hört, die Sie da gerade angeführt haben. Sie erwähnen eine leitende Angestellte, die ja sowieso vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen ist. (Beifall bei der SPÖ sowie der Ab­geordneten Hoyos-Trauttmansdorff, Loacker und Krisper. – Abg. Heinisch-Hosek: Genau!)

Sie erwähnen Ärzte und deren Arbeitszeiten, die in diesem Hohen Haus vor gar nicht allzu langer Zeit auf 48 Stunden reduziert worden sind; Ärzte haben seit Jahrzehnten ein eigenes Arbeitszeitgesetz. Und Sie erwähnen die Triebfahrzeugführer der ÖBB – und seien Sie mir nicht böse, jetzt wird es richtig skurril und Sie machen mir eine be­sondere Freude, wenn Sie dieses Beispiel erwähnen (Zwischenruf bei der SPÖ) –: Die haben eine 38,5-Stunden-Woche. Die wissen monatelang im Voraus, wann sie ihren Dienst haben. Die kriegen alle Zuschläge, für die Nächte, für die Feiertage, reibungslos bezahlt. (Zwischenruf des Abg. Deimek.) Die haben keine 60-Stunden-Wochen, und bei jeder einzelnen Schicht ist der Betriebsrat dabei (Ruf bei der FPÖ: Das glauben Sie! – Abg. Deimek: Genau!) und schaut dem Management über die Schulter, um zu sehen, was da wirklich passiert. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Deimek: ... seit Sie im Amt waren! – Zwischenruf des Abg. Knes.)

Und seien Sie mir nicht böse: Wenn Sie glauben, dass Ihr Arbeitszeitgesetzvorschlag und der Plan A etwas miteinander zu tun haben, dann glauben Sie auch, dass Karli von Caorle kommt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)

Wir leben in einer Zeit der Veränderung, das ist ein Faktum und da gebe ich Ihnen recht, und ich bin auch der Meinung, dass wir über die Arbeitswelt und über die Ar­beitszeit ernsthaft diskutieren müssen. Wir können aber nicht Problemlösungen aus dem 19. Jahrhundert nehmen, um damit die Fragen des 21. Jahrhunderts zu beant­worten. Was Sie hier vorgeschlagen haben, ist ein Modell, das einer Seite alle Vorteile und der anderen Seite alle Nachteile bringt. (Zwischenruf des Abg. Hafenecker.) Sie verlangen, dass Menschen in unserem Land verfügbar werden, dass sie jederzeit für einen 12-Stunden-Tag und für eine 60-Stunden-Woche zur Verfügung stehen. (Abg. Klinger: Das stimmt ja nicht!) Das ist ein Konzept, mit dem wir uns halt nicht anfreun­den können. (Beifall bei der SPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Klinger.)

Sie haben in einer Zeit, in der, wie wir wissen, die Technologieentwicklung, die Digitali­sierung, die Roboterisierung Arbeit effizienter und produktiver machen, einen Vor­schlag gemacht, der auf Arbeitszeitverlängerung und nicht auf Arbeitszeitverkürzung hinausläuft. In einer Zeit, in der, wie wir wissen, die Jungen schwer in den Arbeitsmarkt hineinfinden, schwer reguläre Arbeitsverhältnisse bekommen, immer mehr in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten (Abg. Rosenkranz: Wegen Ihrer Bildungspoli­tik!), in der, wie wir wissen, die Quoten der Burn-out-Gefährdeten permanent steigen, kommen Sie her und sagen: Jetzt erhöhen wir den Druck auf die Leute in den Betrie­ben noch einmal! (Beifall bei der SPÖ.)

Wissen Sie, was mir dabei überhaupt nicht gefällt? – Ich bin nicht der Meinung, dass wir die Menschen und ihre Bedürfnisse den Profiten unterzuordnen haben, und ich bin nicht der Meinung, dass der Wert eines Menschen von seinem Kontostand abhängt (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić – Abg. Hafenecker: ...stiftung! – Abg. Hai­der: Da gehen Sie ja mit gutem Beispiel voran!), dass alles, was uns im zwischen­menschlichen Zusammenleben wichtig ist, ein Preisschild bekommen soll.

Wissen Sie, was das Schlimmste ist? – Wir mögen unterschiedliche Menschenbilder haben, wir mögen unterschiedliche Zukunftsbilder haben, aber wenn wir nüchtern ana­lysieren, was der Grund für die Erfolgsgeschichte Österreichs war, was der Grund dafür ist, dass wir zu den erfolgreichsten und reichsten Industrienationen der Welt ge­hören, dann müssen wir sagen, es ist mit Sicherheit der soziale Ausgleich. (Beifall bei der SPÖ.) Es ist das Verständnis, dass tüchtige Unternehmer und fleißige Arbeitneh­mer gemeinsam den Erfolg sicherstellen, erarbeiten und am Ende auch alle gemein­sam davon profitieren. Genau das ist es aber, was Sie damit jetzt zu zerstören begin­nen. Sie entziehen der Gemeinsamkeit den Boden.

Das Spannende ist ja immer wieder – ich verfolge das ganz genau –, wie Sie mit The­men umgehen, was Sie den Menschen mitzugeben, ihnen einzureden versuchen. Sie haben im Wahlkampf von der „neuen Gerechtigkeit“ geredet – im Wahlkampf –, und heute sehen wir, was Ihre neue Gerechtigkeit ist: Was soll daran gerecht sein, wenn Sie Menschen das Einkommen kürzen, indem Sie ihnen Zuschläge für die erbrachten Leistungen wegnehmen? Was soll daran gerecht sein, wenn Sie Menschen die Freizeit kürzen, indem Sie Durchrechnungszeiträume auf den Sankt-Nimmerleins-Tag ausdeh­nen? Was soll daran gerecht sein, wenn Sie Gesundheitsgefährdungen in Kauf neh­men, indem Sie Menschen die 60-Stunden-Woche aufs Auge drücken? (Ruf bei der FPÖ: Noch immer nicht verstanden!) Was soll daran gerecht sein, wenn Sie einer Se­kretärin, die länger im Betrieb bleiben muss, weil der Chef das will, sagen: Du hast Pech gehabt, es gibt leider keine Kinderbetreuungseinrichtungen, die überhaupt er­möglichen, dass deine Kinder wohlbehütet sind!? (Beifall bei der SPÖ sowie der Abge­ordneten Bißmann und Zadić.)

Sie waren es, die die Mittel für den Kindergartenausbau auf 1 000 Euro für ein ganzes Jahr reduziert haben (Zwischenruf der Abg. Duzdar) und die Mittel für Ganztagsschu­len einkassiert haben. Wissen Sie, was der Punkt ist? – Da geht es nicht nur um Ge­rechtigkeit, da geht es auch um Freiheit, und diese Freiheit beschränken Sie. Es ist die Freiheit auf ein selbstbestimmtes Leben; diese Freiheit braucht Regeln, die Mitarbeiter brauchen den Schutz, das wissen wir aus unserer Geschichte. In der Gruppe können sie ihre Interessen gegen übermächtige Partner und Gegenüber vertreten. Diesen Schutz entziehen Sie ihnen jetzt. Sie setzen auf das Recht des Stärkeren. – Frei nach Marie Ebner-Eschenbach: „Das Recht des Stärkeren ist das stärkste Unrecht.“ (Beifall bei der SPÖ.)

Sie knien vor dem Altar ihrer Großsponsoren, und es ist die Bischofskonferenz, die Sie daran erinnern muss, was christliche Nächstenliebe ist. (Beifall bei der SPÖ.) Da ist zu lesen, dass das Vorhaben eine „Geringschätzung des Familienlebens mit gravierenden Auswirkungen auf die gesellschaftliche Ordnung“ bedeutet. Und wenn Sie vom wahren Glauben abgefallen sind, dann schauen Sie sich an, was der Tiroler Chef des ÖAAB gesagt hat (Abg. Wöginger: Das ist eine Frau!), was der katholische Familienverband gesagt hat! (Zwischenruf des Abg. Zarits.) Sie alle haben Bedenken geäußert, auch Arbeitsrechtler sonder Zahl, Mediziner und Ärzte. Hören Sie denen einmal zu! Ich weiß, Zuhören ist nicht Ihre Stärke, aber glauben Sie mir: Jeder, der glaubt, dass Drüberfah­ren Stärke ist, hat in seinem Leben etwas nicht verstanden, denn Drüberfahren ist Schwäche! (Beifall bei der SPÖ.)

Dieser Erfolg, der soziale Friede, an dem das hängt, bedeutet einen Erfolg für alle. Wenn Sie die Demonstrationen der Gewerkschaften in einem schlechten Licht sehen, wenn der Bundeskanzler von von der Arbeiterkammer bezahlten Demonstranten redet, muss ich ehrlich sagen, da verschlägt es einem die Sprache, denn die Gewerkschaften haben die Hand ausgestreckt – nehmen Sie sie doch endlich! Kollege Muchitsch hat es heute wieder getan. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Lausch.)

Wenn Sie glauben, dass es cool ist, durchzuziehen, mit dem Schädel gegen die Wand zu rennen, dann kann ich Ihnen nur sagen – wieder auf meiner Lebenserfahrung be­gründet (Zwischenruf bei der FPÖ) –: Für mich schaut das eigentlich nur arrogant aus. (Beifall bei der SPÖ. – Heiterkeit bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ.)

Tauschen Sie nur einen einzigen Tag mit einem Kellner, der 10 Stunden lang im vollen Stress hin und her wieselt! Tauschen Sie einen einzigen Tag mit einer Verkäuferin, die 10 Stunden lang im Geschäft steht! (Abg. Lausch: Das ist sehr glaubhaft, wenn Sie das sagen! Da kennen Sie sich sicher aus!) Tauschen Sie einen einzigen Tag mit ei­nem Bauarbeiter, der 10 Stunden unter brennender Sonne die Arbeit des Asphaltierens erledigt – nur einmal! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Belakowitsch: Haben Sie schon einmal eine Schaufel in der Hand gehabt? – Abg. Lausch: Sie haben nicht einmal 10 Minuten Pizza ausgeliefert!)

Wenn Sie das getan haben, dann werden Sie die Nummer mit der Freiwilligkeit selber nicht mehr glauben; das ist ja in Wahrheit eine Verhöhnung. Es ist nichts anderes als eine Verhöhnung. Diese Freiwilligkeit, die Sie da postulieren, gibt es ja heute schon in den Gesetzen. Sie versuchen, Placebos zu verabreichen. (Abg. Rosenkranz: Der Herr Kollege Muchitsch hat gerade das Gegenteil ...!)

Genauso die Betriebsvereinbarungen, die Sie wegradieren: Der ÖVP-Obmann hat im Wahlkampf noch gesagt, diese müsse man stärken; heute wollen Sie nichts mehr da­von wissen – falsches Versprechen. Herr Strache hat erklärt, der 12-Stunden-Tag sei leistungsfeindlich und asozial; heute kommen Sie her und erklären uns: „Geht’s [...] Werner gut, geht’s [...] Erna gut!“ – Das ist doch skurril, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben der Wirtschaftskammer offenbar wochenlang Zeit eingeräumt, um einen ob­skuren Werbefilm zu produzieren. Sie haben sich vor der Debatte im Parlament ge­drückt; wir haben das heute nachzuholen versucht. Ich kann Sie nur, im Sinne dessen, was mein Freund Beppo Muchitsch hier gesagt hat, auffordern: Das ist ein sehr schlechter Gesetzentwurf. Doktern Sie daran rum, dann erhalten Sie einen schlechten Gesetzentwurf. Ich bin aber der Überzeugung, dass die Menschen, die fleißigen Arbeit­nehmer und Arbeitnehmerinnen, die tüchtigen Unternehmer in diesem Land, wahrlich etwas anderes verdient haben. – Danke. (Anhaltender Beifall und Bravorufe bei der SPÖ sowie Beifall der Abgeordneten Bißmann, Cox und Zadić.)

16.07

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Klubob­mann August Wöginger. – Bitte.