17.02

Abgeordneter Josef Schellhorn (NEOS): Herr Präsident! Geschätzter Herr Vizekanz­ler! Frau Staatssekretär! (Bundeskanzler Kurz betritt den Saal.) Herr Bundeskanzler! (Bundeskanzler Kurz: Grüß Gott! – Anhaltender Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Oh-Rufe bei der SPÖ.) Danke vielmals. (Heiterkeit bei der SPÖ.) Herr Bundeskanzler, ich be­grüße Sie, schön, dass Sie da sind! (Abg. Schieder in Richtung Bundeskanzler Kurz, der noch nicht auf der Regierungsbank Platz genommen hat : Die Regierungsbank ist woanders!) Kollege Hauser hat gesagt, wir wären so links oder rechts. Wir sind nicht links oder rechts, wir sind in der Mitte der Gesellschaft – das sind die NEOS. (Abg. Ro­senkranz: Und wir sind vorne!)

Wenn es Ihnen um die Mitarbeiter und um die Gesundheit und Eigenverantwortlichkeit geht, dann frage ich mich jetzt instinktiv sofort, wie es Ihnen damit bei der Raucher­regelung mit den Lehrlingen und so gegangen ist. (Abg. Lausch: Jössas Maria!) Wo ist hier Ihre Eigenverantwortlichkeit, bei dem, was Sie jungen Menschen zumuten, auch in Gastronomielokalen? (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Gudenus: Das ist Eigenverantwortlichkeit! – Abg. Stefan: ... auch ab 18! Ist Ihnen das aufgefallen?)

Eines ist schon zu betonen: Wir alle sind uns einig – da haben Sie noch nicht einmal gewusst, wie man Arbeitszeitflexibilisierung buchstabiert, haben wir sie schon ins Par­lament eingebracht –, dass die Wirtschaft das braucht. Es brauchen aber auch die Un­ternehmer, es brauchen faktisch alle. Wir reden von neuen Arbeitswelten, die nötig sind. Alle hier herinnen reden von neuen Arbeitswelten, alle reden davon, dass vor allem junge Menschen neue Angebote brauchen, um auch in einer flexibilisierten Welt ihren Arbeitsplatz zu finden. Vielleicht haben sie auch das Bedürfnis, drei Tage zu ar­beiten und vier Tage frei zu haben; das dürfen wir bis heute nicht. Darin sind wir uns alle einig, dass dies notwendig ist.

Völlig unnotwendig – erlauben Sie mir diese Bemerkung, ich weiß nicht, welcher Teufel die Kirche geritten hat – ist jedoch, dass sich die Kirche jetzt auch in die Tagespolitik einmischt. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ.) Sie wirft zum Beispiel meiner Branche, die eine Dienstleistungsbranche ist, dem Tourismus, der vor allem an den Wochenenden für die Freizeitgesellschaft da sein muss, einen völ­kerrechtlichen Bruch, eine Unvereinbarkeit vor. Das finde ich geradezu obszön, wie sie hier argumentieren, und ich finde es auch schändlich, jedem, der für die Freizeitgestal­tung da ist, einen Bruch des Völkerrechts vorzuwerfen. Die müssen am Wochenende arbeiten, wenn Sie, wenn wir alle Freizeit haben. Das geht so nicht! (Neuerlicher Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ. Zwischenruf des Abg. Vogl.)

Lassen Sie mich nun dazu kommen, woran es hakt beziehungsweise was notwendig ist. Ich zitiere hier das IHS, das erstens davon spricht, es sei eine „Steigerung der Ar­beitsproduktivität auch notwendig für Erhöhung der Reallöhne und damit des mate­riellen Wohlstands“. Und zweitens sei die „Arbeitsproduktivität in Österreich hoch im internationalen Vergleich, zuletzt aber unterdurchschnittliche Entwicklung“.

Das sind Themen, die auch uns immer belastet haben und wie ich sie gehört habe, wenn ich die Unternehmen besucht habe. Woran hakt es? – Es hakt nicht nur im Tou­rismus, sondern vor allem in der Produktion daran, dass es keinen linearen Tourismus beziehungsweise keine lineare Produktion mehr gibt, sondern dass es Spitzen und Täler gibt. Die muss man abdecken, und die muss man mit jenen Mitarbeitern abde­cken, die man schätzt, die man braucht und die man langfristig binden will.

Das heißt als Folge – das war auch immer ein Vorschlag der NEOS –, dass wir viel­leicht auch im Tourismus über ein 365-Tage-Arbeitsverhältnis nachdenken können, damit wir diese Spitzen langfristig abdecken können, damit wir diese Mitarbeiter aber nicht dann, wenn wir in der Talsohle sind, zum AMS stempeln schicken, sondern damit wir sie das ganze Jahr über beschäftigen können, damit wir sie nicht verlieren und damit die Mitarbeiter auch gleichzeitig später bei den Pensionsanrechnungszeiten kei­nen Verlust haben. Das ist der Wunsch von Mitarbeitern. Die wollen zum Beispiel bei mir in der Festspielzeit arbeiten und ihre Freizeit dann im September und im Oktober in Thailand genießen, aber dabei nicht freigesetzt werden. Das sind die Bedürfnisse, um die wir uns kümmern müssen – und nicht um jene, die auf parteiideologischen Gründen basieren. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ.)

Folgendes ist ganz wichtig: Wenn man diese flexiblen Arbeitszeiten anbieten möchte, dann braucht man flexible Kinderbetreuungszeiten, dann braucht man flexible Kinder­betreuungsangebote. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.) Das fehlt hier völlig, vor allem angesichts des Wandels der Gesellschaft. Wenn man jenen jun­gen Leuten, vor allem vielleicht Alleinerziehern, einen Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglichen will, stehen die dann vor folgendem Problem: Am Wochenende gibt es keine Kinderbetreuung, da kann ich nicht arbeiten, aber ich brauche eigentlich ein Ein­kommen. Ich möchte später nicht in der Frauenaltersarmut enden, ich möchte arbeiten, nur habe ich keine Kinderbetreuung zu den entsprechenden Zeiten. Das ist ein es­senzielles Problem, das uns schon länger beschäftigt, und wir haben noch keine Lö­sungen dafür. Darauf kommt es an.

In der Salzburger Landesregierung hat Landesrätin Klambauer gerade das Thema fle­xible Kinderbetreuungszeiten auch an den Wochenenden in Angriff genommen, vor al­lem weil es eine Tourismusnation wie Österreich beschäftigt, wie wir das Thema An­spruch der Freizeitgesellschaft versus Dienstleistungsgesellschaft bewerkstelligen. Da­zu brauchen wir die Menschen, und da geht es nicht darum, dass sie alle 60 Stunden lang arbeiten müssen.

Es ist mir ja wichtig, dass mein Mitarbeiter dann arbeiten kann, wenn er will, und dann vor allem auch gut behandelt wird, damit er mir bleibt. Wir alle reden von einem Fach­kräftemangel – und jetzt auf einmal spielt der Fachkräftemangel keine Rolle mehr? Wie kann das sein? Wenn ich mich mit meinen Mitarbeitern gemeinsam entsprechend großartig weiterentwickle, dann werden die Mitarbeiter eine große Freude haben – und wir auch.

Darum bringe ich im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Rechtsan­spruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbe­treuungsplatz für jedes Kind ab Vollendung des ersten Lebensjahres zu schaffen. Au­ßerdem soll ein weiterer Ausbau von qualitätsvollen Kinderbetreuungs- und -bildungs­ein­richtungen, vor allem mit längeren Öffnungszeiten und weniger Schließtagen, si­chergestellt werden.“

*****

Danke vielmals. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

17.09

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Michael Bernhard, Claudia Gamon, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag

eingebracht im Zuge der Debatte zur Dringlichen Anfrage in der 33. Sitzung des Na­tionalrates

Bis zur vollständigen Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt ist es noch ein weiter Weg. Wenngleich die Erwerbstätigenquote von Frauen in Österreich stetig steigt, und im Jahr 2017 68,2 Prozent betrug, arbeitet nach wie vor fast jede zweite Frau in Österreich Teilzeit (vgl. Statistik Austria). Während die Teilzeitquote im EU-Schnitt im letzten Jahr gesunken ist, ist sie in Österreich gestiegen. Betrug sie im Jahr 2015 rund 46,8 Prozent, so ist sie im Jahr 2016 auf 47,1 Prozent gestiegen (vgl. Eurostat). Bei Männern liegt dieser Prozentsatz bei ca. 10 Prozent.

Wesentlich ist aber nicht nur die Differenz zwischen Männern und Frauen, was Teil­zeitbeschäftigungen angeht, sondern vor allem die Gründe dafür. Denn während Män­ner häufig ihr Stundenmaß reduzieren, um sich weiterzubilden, geben 38 Prozent der Frauen zwischen 15 und 59 Jahren an, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um Betreuungs­aufgaben für Kinder oder pflegebedürftige Erwachsene wahrzunehmen. Bei den 15- bis 64-jährigen Männern geben nur fünf Prozent die Betreuung von Kindern oder pflegebe­dürftigen Erwachsenen als Beweggrund an. Viel mehr Gewicht haben Bildungsambi­tionen: 28,8 Prozent der Männer üben einen Teilzeitjob aus, weil sie eine schulische oder berufliche Aus- oder Fortbildung ab-solvieren. Nicht einmal ein Fünftel der Männer (18,2 Prozent) und Frauen (17,6 Prozent) wollen keine Vollzeitbeschäftigung (vgl. WI­FO 2017).

"Die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit hochwertiger Betreuungseinrich­tungen für Kinder ist ein Schlüsselfaktor, der es Frauen, aber auch Männern mit Be­treuungspflichten ermöglicht, am Erwerbsleben teilzunehmen. Eine hochwertige früh­kindliche Betreuung, Bildung und Erziehung ist ferner ein wichtiges Instrument, um ge­gen eine mögliche soziale Benachteiligung von Kindern vorzugehen; darüber hinaus ist sie der kognitiven und sozialen Entwicklung von Kindern von frühem Alter an för­derlich", folgert auch die EU-Kommission in ihrem Bericht zu den Barcelona-Zielen im Jahr 2018.

Österreich hinkt, was zur Verfügung stehende Kinderbetreuungsplätze für unter Drei­jährige betrifft, immer noch anderen EU-Staaten hinterher. EU-weit wurde das Barce­lona-Ziel, wonach zumindest für jedes dritte Kind unter drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen soll, von zwölf Mitgliedstaaten erreicht – Österreich ist nicht da­runter. Dieses Ziel hätte schon 2010 erreicht werden sollen.

Auch was Öffnungszeiten und Schließtage betrifft, ist die aktuelle Situation in Öster­reich nicht zufriedenstellend. Außerhalb Wiens hat mehr als die Hälfte aller Kinderbe­treuungseinrichtungen mehr als fünf Wochen im Jahr geschlossen (51,2 Prozent) – das heißt, dass nicht einmal die Hälfte aller Kinderbetreuungseinrichtungen es Alleinerzie­her_innen ermöglichen, erwerbstätig zu sein und keine private Kinderbetreuung orga­nisieren zu müssen. Auch was die Öffnungszeiten der Kindertagesheime angeht, zeigt sich ein deutliches Stadt-Land-Gefälle: Knapp die Hälfte der Betreuungseinrichtungen außerhalb Wiens (47,2 Prozent) schließt bereits vor 16 Uhr, fast ein Drittel (rund 32 Prozent) sogar vor 15 Uhr. Knapp die Hälfte der Betreuungseinrichtungen in Öster­reich hat täglich weniger als acht Stunden geöffnet (vgl. Kindertagesheimstatistik, Sta­tistik Austria).

Ein Ausbau von Kinderbetreuungs- und -bildungseinrichtungen ist vor allem auch dann geboten, wenn man flexiblere Arbeitszeitmodelle einführen möchte. Will man Arbeit­nehmer_innen mehr Flexibilität ermöglichen, dann muss man auch Rahmenbedingun­gen schaffen, die die bestmögliche Aufteilung der vorhandenen Zeit sicherstellen. Fa­milie und Beruf unter einen Hut zu bringen kann nur unter der Bedingung funktionieren, dass bei Bedarf ausreichend Infrastruktur und Hilfe zur Verfügung steht. Dafür ist ein sicherer Platz in einer Kinderbetreuungseinrichtung Grundvoraussetzung.

Ziel muss es sein, für jedes Kind einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, und zwar ab dem ersten Kindergeburtstag. Durch einen so geschaffenen Rechtsanspruch entsteht kein Zwang für Arbeitnehmer_innen, ihr Kind frühest möglich einer entspre­chenden Betreuungseinrichtung zu überlassen. Es wird lediglich die Möglichkeit für all jene geschaffen, die Betreuungsplätze wollen oder brauchen. Dadurch gewährleisten wir ein hohes Maß an persönlicher Freiheit und Chancen-gerechtigkeit für alle. Sowohl für Kinder als auch für Eltern. Wenn eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten mit einem Ausbau von Infrastruktur, die Eltern mehr Möglichkeiten bietet, diese Flexibilität auch bestmöglich für sich umzumünzen, einhergeht, erhöht sich die Lebensqualität.

Damit ein Rechtsanspruch auch sinnvoll ist, müssen Betreuungsplätze vor allem für unter Dreijährige weiter ausgebaut werden. Dem Ziel, mehr Betreuungseinrichtungen für alle Kinder zur Verfügung zu stellen, hat sich auch die Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm verschrieben: "Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine qualitätsvolle Kinderbetreuung wichtig, die sich an den Bedürfnissen der Kinder und Eltern orientiert. Der weitere Ausbau eines qualitätsvollen Kinderbetreuungsange­bots muss dabei im Fokus stehen[,] der Kindergarten im Sinne der Stärkung der Ele­mentarpädagogik zur Bildungseinrichtung weiterentwickelt werden." (Regierungspro­gramm, S. 101). Vor allem die von der Bundesregierung in Aussicht gestellte Zusam­menlegung und Verlängerung der entsprechen-den 15-a Vereinbarungen betreffend des Ausbaus von institutioneller Kinderbetreuung, des Gratis-Kindergartenjahrs und früher sprachlicher Förderung ist noch vor September umzusetzen, um Ländern und Gemeinden entsprechende Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbe­treuungsplatz für jedes Kind ab Vollendung des ersten Lebensjahres zu schaffen. Au­ßerdem soll ein weiterer Ausbau von qualitätsvollen Kinderbetreuungs- und -bildungs­ein­richtungen, vor allem mit längeren Öffnungszeiten und weniger Schließtagen, si­chergestellt werden."

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gelangt Abgeordneter Rossmann. – Bitte.