15.59

Abgeordneter Mag. Andreas Schieder (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Werte Herren auf der Regierungsbank! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bun­deskanzler, die letzten Tage sind schon komische Tage gewesen, nicht? Gestern gab es ein leeres Plenum im Europäischen Parlament in Straßburg, während der Vor­sit­zende beziehungsweise der aktuelle Präsident der Europäischen Union das Programm vorstellt – und das, obwohl diese Leere im Europäischen Parlament eigentlich nicht üblich ist. Kurz darauf, als andere dort waren, war es plötzlich wieder voll. – Das hat vielleicht ein bisschen am Ego geknabbert.

Zweitens: Hier in Wien wurde am Nachmittag eine Pressekonferenz zu einem aktuellen Thema gehalten. Das war eine Pressekonferenz mit einem seltenen Schauspiel österreichischer Innenpolitik: Man lädt selbst zu einer Pressekonferenz ein, um die Ahnungslosigkeit darzustellen, um zu zeigen, dass genau die, die ja im dauernden Kontakt mit Deutschland stehen – nämlich Bundeskanzler Kurz und Innenminister Kickl –, eigentlich gar nicht wissen, was die Deutschen vorhaben. Das Lustige dabei ist: Auf einmal fliegt man nicht mehr Linie, sondern nimmt einen Bedarfsflieger. Wie war denn das, auf einmal so im Bedarfsflieger, Herr Bundeskanzler?

Es sind komische Tage. Das Komischste an diesen Tagen ist: Heute sind Sie auf ein­mal doch im Parlament! Das muss ja wirklich ein komisches Gefühl sein, noch dazu, da es um Ihr Lieblingsthema geht. (Abg. Gudenus: Und dann redet der Schieder auch noch!)

Wir kennen ja den Text Ihres Lieblingsthemas. Sie rühmen sich, dass Sie die West­balkanroute geschlossen haben. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Auf Ihrer eigenen Homepage liest man auch: „Im Februar 2016 wurde die Balkanroute, auf Initiative von Sebastian Kurz, geschlossen. Anfangs wurde er heftig dafür kritisiert, jetzt zeigt sich, dass der Zustrom dadurch massiv reduziert werden konnte.“ (Neuerliche Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Ich sage Ihnen, Österreich steht heute, im Juli 2018, in Fragen der Migration vor den größten Herausforderungen seit dem Herbst 2015. Sie sollten vielleicht Ihre Homepage ein bisschen ergänzen. Zum Beispiel: Im Sommer 2018 wurde die Walserbergroute auf Initiative von Sebastian Kurz aufgemacht. Vielleicht könnten Sie auch noch dazu­schreiben: Im Norden haben unsere bayerischen Freunde die Grenzen geöffnet und schicken uns die Flüchtlinge zurück, deswegen werde ich, Sebastian Kurz, jetzt die Südgrenze schützen und zumachen. (Abg. Deimek: Kärnten hat sie ja nicht zuge­macht!) Dann könnten Sie noch dazuschreiben: Ich, Sebastian Kurz, der vor dem leeren Europaparlament von den Grundfreiheiten, der Reisefreiheit, der Bewegungs­freiheit, der Personenfreizügigkeit gesprochen hat, versuche jetzt, die Grenzen im Süden Österreichs zuzumachen. – Das Lustige daran ist: Keiner ertappt mich bei die­sem Widerspruch. (Beifall bei der SPÖ.)

Was ist denn passiert, Herr Bundeskanzler? – Der Ausgangspunkt war ein Streit der deutschen Unionsparteien. Sie haben mitgezündelt und den Streit befeuert. Sie haben Horst Seehofer getroffen, um Merkel zu schwächen. Zu welchem Zweck? Was war denn genau die Absicht, um Angela Merkel zu schwächen? – Statt konstruktiver Politik setzen Sie auf Profilierungssucht und Nationalismus. Nationalisten ist immer die eigene Nation näher als das gemeinsame Interesse, das haben Sie jetzt auch gelernt; auch das könnten Sie einmal auf Ihre Homepage schreiben: Ich habe gelernt, Nationalisten schauen nur auf sich selbst.

Was passiert denn, wenn Ihre neuen Freunde wie Salvini, Seehofer oder Orbán agie­ren? – Die schauen dann auf einmal natürlich nur mehr auf sich selbst. Was ist denn das Resultat Ihrer Zündelei? Was passiert denn, wenn man auf Nationalismus setzt? – Unsicherheit und Chaos in Österreich und Zerstörung des europäischen Konsenses. (Beifall bei der SPÖ.)

Was ist denn noch passiert? – Der deutsche Streit wird am Ende des Tages auf dem Rücken und auf Kosten Österreichs ausgetragen: Unsicherheit entlang der deutschen Grenze, Unsicherheit in Orten und Gemeinden in Oberösterreich, in Salzburg und in Tirol, Unsicherheit und unbeantwortete Fragen für unsere Bevölkerung. Was bedeuten denn diese Lager in Deutschland für uns? Was bedeutet es denn, wenn Deutschland seine Südgrenze schließt, keine Asylanträge mehr annimmt und Menschen an der Grenze zu Österreich zurückweist? Sind es diese Orte und Gemeinden, wo die Menschen dann bleiben werden? – Menschen und Bürgermeister vor Ort und Ihre eigenen Landeshauptleute, Herr Bundeskanzler, haben nichts zu erwarten und können sich nur fragend an den Kopf greifen.

Auf der anderen Seite tut Schwarz-Blau nichts bei der Kinderbetreuung, beim Schul­ausbau, in Infrastrukturfragen. Und jetzt? – Jetzt lassen Sie diese Bürgermeister nicht nur in diesen Fragen alleine, sondern auch in der Flüchtlingsfrage. Ist das Ihre Politik, Herr Bundeskanzler? Sie wollen keine Antworten und keine Lösungen. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Sie wollen nicht für die Menschen in Österreich arbeiten. Sie wollen ständig neue Probleme in der Flüchtlingsfrage erzeugen, in der Hoffnung, dass Sie dann das politische Kleingeld wechseln können. (Beifall bei der SPÖ.)

Diese Bundesregierung hat kein Interesse an einer tragfähigen und stabilen Lösung in der Flüchtlingsfrage. Warum? – Weil sie sich dann nicht mehr dahinter verstecken kann. Diese Regierung will, dass über Flucht und Migration geredet wird, weil das ÖVP und FPÖ zusammenschweißt und die Auswirkungen der politischen Maßnahmen, die sie im Inland trifft, verschleiert. Ohne Ihre Zündelei, Herr Bundeskanzler, bliebe das übrig, was vertuscht werden soll, nämlich einzig Ihre unsoziale Politik.

Es blieben übrig: der 12-Stunden-Tag, der Raub von Überstundenzuschlägen, Freizeit und Gesundheit (Abg. Rosenkranz: Das ist doch alles falsch! – Abg. Winzig: Jetzt wissen wir, wieso er nicht Bürgermeister hat werden können!), die Schwächung von gewerkschaftlicher Mitbestimmung, die Streichung von Kinderbetreuungsgeldern und das Stoppen des Ganztagsschulausbaus – ein Anschlag auf die Familien und Allein­erziehenden. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Es bleibt übrig, dass Sie immer wieder die Interessen der Österreicherinnen und Österreicher verraten. Und warum? – Weil Sie für Ihre Großspender da sein müssen. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der FPÖ: Sie verwechseln Sozialismus mit Österreich, oder?!)

Sie sind der Konzernkanzler Kurz, und, Herr Rosenkranz, Vizekanzler Strache ist der Steigbügelhalter dieser Politik. (Abg. Rosenkranz: Aber gehen Sie, packen Sie ein!) Strache ist der Arbeiterverräter, das liegt klar auf dem Tisch. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Schwacher Applaus bei der SPÖ!)

Keine Antworten, keine Lösungen, keine Handschlagqualität und keine Verantwor­tung – Sie verraten täglich die arbeitenden Menschen in unserem Land. Sie verraten aber auch die Grundwerte der Europäischen Union, Sie verraten die europäische Idee. (Zwischenrufe bei FPÖ und ÖVP.) Sie nennen sich Brückenbauer, in Wahrheit machen Sie aber Österreich kaputt, und – das ist das Traurige dabei – Sie machen ganz Europa kaputt. (Beifall bei der SPÖ.)

16.06

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Jenewein. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Rosenkranz – auf den den Sitzungssaal verlassenden Abg. Kern weisend –: Hans-Jörg, ich glaube, das ist jetzt genug! Der Herr Kanzler, glaube ich, geht jetzt eh! Was hat der für eine kurze Hose an?! – Heiterkeit bei Ab­geordneten der FPÖ. – Abg. Jenewein – auf dem Weg zum Rednerpult –: Na ja, ich hoffe nicht, dass der Herr Bundeskanzler geht!)