9.07

Abgeordneter Wolfgang Katzian (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Mei­ne Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Faire Arbeitswelt und soziale Sicherheit für alle!“, das ist das Thema dieser Aktuellen Stunde am heutigen Vormittag. Wir haben dieses Thema deswegen ausgewählt, weil beides in den letzten Monaten mas­siv unter Druck geraten ist.

Die Wirtschaft hat die gute Konjunktur gut genützt, und gleichzeitig wird von der Regie­rung ein absolutes Asset dieses Wirtschaftsstandorts, nämlich die Sozialpartnerschaft, beiseitegeschoben oder, wie es ein Industrieller vor einiger Zeit formuliert hat, auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgt.

Die Sozialpartnerschaft hat in der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag dazu geleis­tet, dass es in diesem Land einen sozialen Ausgleich gibt. Dieser Ausgleich findet nun nicht mehr statt. Unternehmen, große Industriebetriebe haben bestellt, die Regierung liefert, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleiben auf der Strecke.

Die Maßnahmen der letzten Monate fügen sich klar zu einem Gesamtbild zusammen: Industrie und Unternehmen werden entlastet, Hürden wie lästige Betriebsräte und Ge­werkschaften unter dem Titel des Bürokratieabbaus oder des Sparens im System be­seitigt beziehungsweise massiv eingeschränkt und die Arbeitnehmer darauf reduziert, dass sie funktionieren müssen.

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gewerkschaftsbe­wegung und große Teile der Zivilgesellschaft befinden sich mitten im Abwehrkampf gegen Verschlechterungen in der Arbeitswelt und im Bereich der sozialen Sicherheit, und immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erkennen, dass der Schmäh: Alles wird besser, Milch und Honig werden fließen!, und, und, und, nicht funktioniert.

Der Zorn der Menschen wird größer. Die Menschen erwarten sich zu Recht Respekt und Fairness, ganz besonders in Zeiten der Hochkonjunktur und guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. (Beifall bei der SPÖ.)

Im Protest gegen den 12-Stunden-Tag, der einen Generalangriff auf die Geldbörsen, die Freizeit und die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet (Abg. Rosenkranz: Das ist falsch!), waren schon Hunderttausend auf der Straße. Wenn Sie so weitermachen, dann war das aber erst der Anfang. Die Menschen werden sich das nicht gefallen lassen. (Abg. Rosenkranz: Mhm, das merkt man eh!)

1918 wurde der 8-Stunden-Tag gesetzlich verankert. (Ruf bei der ÖVP: Ja, und der gilt heute noch!) Am 1.9.2018, 100 Jahre später, trat ein Arbeitszeitgesetz in Kraft, das es den Unternehmen erlaubt, einseitig, ohne Zustimmung des Betriebsrates (Ruf bei der FPÖ: Das ist doch gelogen! – Ruf: Herr Präsident!), ohne Zustimmung eines Arbeits­mediziners 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche umzusetzen; ein Gesetz, welches ohne Verhandlungen mit den Sozialpartnern, ohne Verhandlungen mit den Arbeitneh­mervertretern und ohne ordentliche Begutachtung durchgewunken und durchge­peitscht wurde (Ruf bei der FPÖ: Wer hat dir denn das aufgeschrieben?), ein Gesetz, das keinen einzigen Vorteil für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bringt. Das ist die Tatsache. (Beifall bei der SPÖ.)

Und diese Tatsache, meine Damen und Herren, können Sie auch nicht mit Zwischen­rufen und Hineingeplärre wegschreien. (Heiterkeit bei der FPÖ. – Abg. Rosenkranz: Es schreit überhaupt keiner!) Diese Tatsache ist gegeben, und die Menschen wissen ganz genau, dass es so ist. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Viel­leicht kann man einen Kameraschwenk machen (Abg. Gudenus: Am besten weg von Ihnen!), damit man sieht, dass das, was ich gesagt habe, tatsächlich stattfindet. (Abg. Rosenkranz: Besser ein Kameraschwenk als Ihr Schwank hier!)

Die Vier-Tage-Woche haben Sie versprochen. Sie haben in Schalmeientönen erklärt: Gar nichts wird sich ändern, alles wird besser!, die Wahrheit ist jedoch eine ganz, ganz andere, nämlich: mehr Arbeit und weniger Mitbestimmung, 12-Stunden-Tag, 60-Stun­den-Woche, ein Drittel mehr an Überstunden ist erlaubt. All das steht in diesem Gesetz drinnen, und all das, was Sie versprochen haben, die Vier-Tage-Woche und anderes, steht nicht in diesem Gesetz drin. Die Leute merken sich das, die Leute sehen das!

Wir haben die ersten offiziellen Forderungen aus der Wirtschaftskammer auf dem Tisch, dass dieses Gesetz umgesetzt wird. Es wird verlangt, dass die Gleitzeit aus Kol­lektivverträgen herausgestrichen wird. Also erzählen Sie uns keine Geschichten mehr, es glaubt Ihnen niemand, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Gu­denus: Ein jämmerlicher Ablenkungsversuch!)

Vor 130 Jahren wurde die Krankenversicherung in ein Gesetz gegossen. Ein Kernstück dieses Gesetzes war die Selbstverwaltung. Nun wird ein Begutachtungsentwurf auf den Tisch geknallt mit sattsam bekannten Tönen wie: Wir sparen im System!, Die Men­schen werden nichts merken!, Alles wird gut!, aber wir kennen das ja schon von der Ar­beitszeitdiskussion.

Nun wird von einer Gesundheitsmilliarde gefaselt, aber sogar die Autoren dieses Ge­setzes schreiben im Gesetz: 350 Millionen. Also die Geschichte, die in diesem Zusam­menhang von der Marketingabteilung erzählt wurde, glauben nicht einmal die, die das Gesetz geschrieben haben. Es ist dies also eine absolute Verhöhnung aller, die sich mit der sozialen Sicherheit in diesem Land beschäftigen. (Beifall bei SPÖ und Liste Pilz sowie des Abg. Loacker.)

Leidtragende sind einmal mehr die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Leistungs­harmonisierung findet nicht statt, zumindest nicht im großen Raum, und dort, wo sie stattfindet, nämlich innerhalb der Gebietskrankenkassen, ist sie zu 95 Prozent bereits umgesetzt.

Parität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern soll in einem Versicherungsträger, in dem zu 100 Prozent Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Angehörigen und die Pensionisten versichert sind, umgesetzt werden. Das hält vor keinem Verfassungsge­richtshof der Welt und wird auch in diesem Land vor dem Verfassungsgerichtshof nicht halten.

Das Verschieben der Beitragsprüfung in die Finanz ist in Wirklichkeit ein Schritt, durch den Lohndumping Tür und Tor geöffnet werden. Sie wissen das ganz genau. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Das ist eine Unterstellung!)

Deshalb kann man diesen Gesetzesvorschlag, wie er vorliegt, nur ablehnen und muss ganz klar dagegen mobilisieren und aufzeigen, in welche Richtung das geht.

Wesentliche Herausforderungen im Gesundheitswesen werden nicht angegangen, ei­ne Gesamtleistungsharmonisierung über alle Bereiche, der Ausbau der Prävention und das Herangehen an das ganz große Thema Pflege finden nicht statt, und die vielen Ex­pertinnen und Experten, die wir hätten, die dieses Thema bearbeiten könnten (Abg. Gudenus: Von der Gewerkschaft!), werden verräumt, in irgendwelche Fusionsprozes­se und sonstiges mehr. (Abg. Wöginger: Wir „verräumen“ niemanden!)

Die Leute durchschauen das und sie werden sich das auch nicht gefallen lassen. Echte Verhandlungen finden nicht statt, dafür haben wir etwas Neues bekommen, ich nenne es einmal Gipfelitis. Gipfelitis bedeutet, dass Sozialpartner medienwirksam zu irgend­welchen Gipfeln eingeladen werden, um schöne Bilder zu produzieren, aber echte Ver­handlungen, eine echte Auseinandersetzung über unterschiedliche Positionen findet nicht statt. Das muss sich aus meiner Sicht ändern. Für die Behübschung von vorbe­reiteten Prozessen stehen wir nicht zur Verfügung. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich bekenne mich zur Sozialpartnerschaft, werde alles tun, dass (Abg. Kassegger: Dass alles so bleibt wie bisher!) sie weiterhin einen wichtigen Stellenwert in diesem Land hat – ich sage aber ganz offen: nicht um jeden Preis. Und wenn die Verteilungs­kämpfe härter werden, wird es mutmaßlich andere Formen des Austragens von Inter­essengegensätzen brauchen.

Meine Damen und Herren! Ich habe mich entschlossen, mein Mandat im österreichi­schen Nationalrat zurückzulegen und mich voll und ganz auf meine Arbeit in der Ge­werkschaftsbewegung zu konzentrieren. Es gibt große Herausforderungen, es gibt Rahmenbedingungen, und ich habe heute nur zwei Punkte skizziert, mit denen Arbeit­nehmerinnen und Arbeitnehmer konfrontiert sind. Es sind dies Rahmenbedingungen, die dazu führen, dass sich die Situation für die arbeitenden Menschen verschlechtert und dass die soziale Sicherheit insgesamt in Gefahr ist.

Wenn ich heute gehe, dann seien Sie versichert: Ich und wir in der Gewerkschaftsbe­wegung schauen sehr genau, was hier passiert, welche Aktivitäten und Maßnahmen gesetzt werden. (Abg. Gudenus: Wir winken Ihnen zu!) Und wenn der Weg der so­zialen Unfairness fortgesetzt wird, wenn die Demontage des Sozialstaates weiterge­führt wird und die Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter be­schnitten wird, dann werden wir uns, das möchte ich Ihnen sagen, wiedersehen. Ich werde kommen, ich werde vor dem Parlament sein, und es werden mehr sein als die 120 000 Menschen, die gegen das Arbeitszeitgesetz auf die Straße gegangen sind. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Das, was mich sehr bedrückt, ist, dass fast täglich ein weiteres Stück Demokratie in Frage gestellt wird, die Art, wie mit dem Parlament als Souverän der Demokratie um­gegangen wird, dass Anstand und Fairness im Umgang miteinander auf dem Altar des politischen Marketings geopfert werden und wie sehr aus unterschiedlichen Meinungen und dem Wettstreit um die besseren Ideen politischer Hass geworden ist. Hetzen ge­gen Minderheiten und Andersdenkende ist salonfähig geworden – jeden Tag ein klei­nes Stück mehr, nie so groß, dass es zum ganz großen Aufschrei kommt.

Wir alle hier in diesem Haus sind der Demokratie verpflichtet. Die großen Unterneh­men, meine Damen und Herren, waren noch nie in der Geschichte dieses Landes das Rückgrat der Demokratie, sondern das waren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh­mer und, ja, das war die freie Gewerkschaftsbewegung, die diese Demokratie erkämpft hat (Beifall bei der SPÖ – Abg. Gudenus: Mit Pflastersteinen! – Abg. Kassegger: Die Menschen gegeneinander ausspielen!) – Gewerkschaftsfreiheit, Demonstrationsrecht, Pressefreiheit, Wahlrecht und vieles mehr.

Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zum Abschluss bei meinem Klub, bei mei­nen Kolleginnen und Kollegen bedanken. Ihr habt mich ganz toll unterstützt und ich weiß, dass mein Klub auch in Zukunft an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer stehen wird. Pam, ihr schafft das, da bin ich mir ganz sicher! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Ich bedanke mich auch bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anderer Klubs. Wir haben sehr oft harte Diskussionen geführt, wir haben aber, glaube ich, im letzten Jahrzehnt viel weitergebracht, und ich stehe nicht an, mich auch hier für die Zusammenarbeit zu bedanken. Ich bedanke mich bei meinen parlamentarischen Mitarbeitern Martin, Ro­bert, Stephi, denn ohne euch hätte ich die letzten zehn Jahre nicht so absolvieren kön­nen. Weiters bedanke ich mich bei meinem Umfeld, meiner Assistentin Uschi, meiner Pressesprecherin Litsa und meiner Frau stellvertretend für die Familie. (Der Redner applaudiert.) – Danke. (Lang anhaltender, stehend dargebrachter Beifall bei der SPÖ sowie Beifall bei ÖVP, FPÖ, NEOS und Liste Pilz.)

9.19

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bevor ich das Wort an die Frau Bundesminister übergebe, darf ich die Schülerinnen und Schüler der Berufsschule für das Baugewerbe aus Wien recht herzlich auf der Galerie begrüßen. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gelangt die Frau Bundesministerin. – Bitte.