9.20

Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz Mag. Beate Hartinger-Klein: Herr Präsident! Hohes Haus! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Galerie! Liebe Schülerinnen und Schüler! Danke für diese Aktuelle Stunde! Soziale Sicherheit bedeutet eine effiziente, bürgernahe und moderne Sozial­versicherung. Haben wir eine effiziente, bürgernahe und moderne Sozialversicherung? – Nein. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Wir haben zu viele Sozialversicherungen, wir haben schlechte Entscheidungsstrukturen und zu viele Gremien. Ich kann viele Dinge aufzäh­len, die zeigen, dass wir das in Österreich nicht haben. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Das hat nicht nur der Rechnungshof festgestellt, sondern ja auch, wie wir alle wissen, eine Studie der London School of Economics, die von meinem Vorgänger beauftragt wurde. (Zwischenruf des Abg. Scherak.) Das Einsparungspotenzial wird ja immer in­frage gestellt, daher zitiere ich: Das Einsparungspotenzial in der Administration der ös­terreichischen Sozialversicherung durch schlankere Strukturen und Bündelung, Stan­dardisierung und Automatisierung von gleichartigen Aktivitäten beträgt 200 bis 300 Mil­lionen Euro pro Jahr. – Zitatende. Gut, so viel zum Einsparungspotenzial.

Für mich und für uns als Regierung ist aber eines wichtig: Uns ist der Versicherte, der Patient wichtig, und er steht im Mittelpunkt. Was heißt das? – Das heißt, dass es wei­terhin die Pflichtversicherung gibt, dass es im Rahmen der Selbstverwaltung die Ver­treter der Versicherten weiterhin gibt und dass es vor allem – und das ist einer der wichtigsten Grundsätze überhaupt – Gerechtigkeit im System gibt, das heißt: gleiche Beiträge, gleiche Leistungen. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Es wird keine Beitragserhöhung geben. Warum? – Weil wir im System sparen und die­ses Rationalisierungspotenzial dem Versicherten zur Verfügung stellen können. Das heißt, wir haben eine nachhaltige Finanzierung. Es wird keine Privatisierung geben, deren Durchführung von der Opposition auch so gerne an den Pranger gestellt wird. Wir werden keine Enteignung der Länder vorantreiben. Wir werden ein solidarisches und modernes System fördern.

Meine Damen und Herren, es ist mir auch ganz wichtig, Folgendes zu sagen: Die Strukturreform der Sozialversicherung ist der Beginn einer Gesundheitsreform. Warum ist diese notwendig? – Die letzte Regierung hat die Patienten eigentlich in die Ambu­lanzen getrieben, denn im Krankenhauswesen ist das ja ein anderer Topf. Sie hat sie in das Wahlarztsystem getrieben. Warum? – Man muss selbst bezahlen und bekommt nur 80 Prozent des Tarifs zurück.

Das alles sind Punkte, die vorliegen, die der Patient draußen spürt. Das wollen wir verändern. Wir wollen mehr Kassenärzte und mehr Hausärzte, wir wollen keine War­tezeiten und eine Leistungsabstimmung mit dem stationären Bereich. Das sind die He­rausforderungen. Bei uns steht der Patient im Mittelpunkt. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Diese Bundesregierung hat den Mut, die größte Reform der Zweiten Republik durchzu­führen. Ich bin zuversichtlich, dass das nach dem Prozess der Begutachtung im Par­lament beschlossen wird, und ich freue mich schon, an dieser Reform teilhaben zu dür­fen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Der zweite Punkt, das Thema faire Arbeitswelten betreffend: Meine Damen und Her­ren, in nur 145 von 859 Kollektivverträgen findet sich etwas zur Anrechnung der Ka­renzzeiten – es sind jeweils unterschiedliche Anrechnungszeiträume, und in vielen Kol­lektivverträgen kommt sogar eine Geringschätzung von Erziehungs- und Pflegeleis­tungen zum Ausdruck, eine finanzielle Schlechterstellung von Karenzbeziehern und daraus resultierende Einkommensunterschiede, was sich natürlich, wie wir alle wissen, bis zur Pension auswirken kann. Diese Kollektivverträge sind in diesem Sinne nicht nur frauenfeindlich, sondern in Wahrheit auch kinder- und familienfeindlich. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Dies ist ein eklatantes Versäumnis Ihrerseits gewesen. (Zwischenruf des Abg. Leicht­fried.) Die negativen Auswirkungen, die erziehende Elternteile im aktiven Erwerbsle­ben und später in der Pension betreffen, müssen endlich beseitigt werden. Mit der Anrechnung von Karenzzeiten wollen wir die Bedingungen für die Familiengründung der erwerbstätigen Mittelschicht verbessern.

Wir wollen auch, dass sich erwerbstätige Frauen ihre Kinderwünsche möglichst ohne langfristige finanzielle Nachteile erfüllen können. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.) Es braucht daher dringend die Anrechnung der Karenzzeit für Gehaltsvorrückungen bis zum 24. Mo­nat in allen 859 Kollektivverträgen. Es geht um gesellschaftspolitische Fairness und um vernünftige Familien- und Kinderpolitik. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Ein weiterer Punkt, der Höhepunkt der vergangenen Woche, war der Jobgipfel. Der Herr Präsident des Gewerkschaftsbundes hat diesen Jobgipfel so abgetan, aber: Der Jobgipfel war erst der Beginn einer Diskussion, eines Dialogs mit den Sozialpartnern. Gemeinsam mit der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Mar­garete Schramböck haben wir unter Einbeziehung aller Sozialpartner als vorrangiges Ziel definiert, das Arbeitskräftepotenzial im Inland zu aktivieren und die Unternehmen mehr einzubinden. (Ruf bei der SPÖ: Ah, deshalb wird die Mangelliste ausgeweitet!) Das Thema Fachkräfte wurde natürlich von mehreren Seiten diskutiert. Der kurzfristige Zugang ist die Regionalisierung der Mangelberufsliste, dadurch soll der Bedarf, vor allem im Tourismus in den westlichen Bundesländern, durch Drittstaatsangehörige ab­gedeckt werden. (Beifall bei Abgeordneten von FPÖ und ÖVP.)

Dem vorgeschaltet, meine Damen und Herren, ist die überregionale Vermittlung durch das AMS. Dabei sollen Arbeitslose aus den anderen Bundesländern angesprochen und auf die freien Arbeitsstellen vermittelt werden. In diesem Zusammenhang sind die Zumutbarkeitsbestimmungen entsprechend zu evaluieren. Neben einem innerösterrei­chischen Mobilitätspaket soll die Austrian Business Agency darüber hinaus auch ge­zielt Fachkräfte innerhalb der EU anwerben.

Lassen Sie mich noch eines zur Lehre sagen: Karriere mit Lehre war lange ein Schlag­wort. Die Frage ist, ob das Modell noch zukunftsfit ist. Es gibt unterschiedliche Gene­rationen, und die Generation Z ist, wie Sie wissen, jene, die momentan dazu motiviert werden muss, in die Lehre zu gehen. Das heißt, wir müssen schauen: Was motiviert junge Leute, was motiviert die Generation Z? – Es sind nicht vor allem die Karriere, das Geld, sondern vor allem Sinnstiftung und natürlich eine gewisse Work-Life-Balance. Das heißt, wir als Regierung beschäftigen uns sehr wohl auch damit, was die Motiva­tion junger Menschen dafür ist, wieder oder überhaupt in den Arbeitsprozess zu kom­men.

Bei den offenen Lehrstellen gibt es, wie Sie wissen, regionale Ungleichgewichte, das betrifft den Westen, aber auch Wien. In Wien gibt es zum Beispiel sechsmal mehr Lehrstellensuchende als offene Lehrstellen. Da sind nicht nur die jungen Menschen und deren Umfeld, die Eltern und Erziehungsberechtigten, gefordert, sondern natürlich müssen sich auch die Unternehmen als attraktive Arbeitgeber präsentieren und weitere Lehrstellen anbieten. Ich glaube, das ist ein Ziel, es ist ein Muss, dass die Unterneh­men wirklich mehr eingebunden werden.

Auch unter den 60 000 Arbeitslosen unter 25 Jahren soll die Facharbeiterintensivaus­bildung forciert werden. Die überbetriebliche Lehrausbildung soll durch eine Intensivie­rung des Praxisanteils den Zugang zu einer betrieblichen Ausbildung weiter verbes­sern, dies betrifft im Jahr circa 14 500 Personen.

Ebenso halte ich die Implacementstiftungen für ein sehr wichtiges Instrument, das auch entsprechend ausgebaut werden soll. Das AMS organisiert und finanziert das passge­nau gemäß dem Qualifizierungsbedarf der Unternehmen. Aktuell werden im Rahmen der Implacementstiftungen in etwa 7 000 Personen auf einen konkreten Personalbe­darf hin qualifiziert. Dazu kommt, dass im Jahr 2017 rund 3 300 Personen und im ers­ten Halbjahr 2018 circa 1 800 Personen in das auf die Besetzung der Einzelarbeits­plätze ausgerichtete Programm Arbeitsplatznahe Qualifizierung einbezogen wurden.

Nun zu einem Thema, zu dem seitens der Opposition Verunsicherung betrieben wurde, nämlich zum AMS-Budget. Mit Ende August 2018 sank die Zahl der Arbeitslosen, wie Sie wissen, um circa 9 Prozent, die gemeinsame Zahl der Schulungsteilnehmer und Arbeitslosen sank um circa 8 Prozent. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ganz besonders erfreulich ist auch, dass die Zahl der Arbeitslosen bei am Arbeitsmarkt benachteiligten Personen gesunken ist.

Es ist mir wirklich sehr, sehr wichtig, die gute Konjunktur 2019 zu nützen und den Fo­kus der Arbeitsmarktpolitik auf eine rasche und frühzeitige Vermittlung von Arbeit su­chenden Menschen zu legen. Hierzu ist einerseits der Ausbau der Automatisierung und andererseits eine personalisierte Arbeitsmarktbetreuung gefordert.

Nachdem in den letzten Jahren ein Fokus auf die Förderung von Flüchtlingen gelegt wurde, ist mir die Integration von Langzeitarbeitslosen, älteren Arbeitslosen, gesund­heitlich eingeschränkten Menschen, Frauen und Jugendlichen ein besonderes Anlie­gen. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Große Bedeutung behält natürlich die Förderung der Generation 50 plus. Meine Da­men und Herren, mit einem Förderbudget von 1,251 Milliarden Euro, das sind pro Kopf 3 494 Euro, stehen dem AMS ausreichend Mittel zur Verfügung. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.) 3 494 Euro pro Kopf, das sind um 275 Euro pro Kopf mehr als 2017. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Ein weiteres großes Anliegen ist der Regierung natürlich die Inklusion. Mir liegt dabei die Teilhabe besonders am Herzen. Die Teilhabe ist ein maßgeblicher Parameter in ei­ner Gesellschaft. Nur eine Gesellschaft, die nach Inklusion strebt und dabei die Bar­rieren nicht nur abbaut, sondern am besten gar nicht entstehen lässt, ist eine, die dem modernen sozialen Fortschritt gerecht wird. Dabei soll vor allem für intensive Zusam­menarbeit mit den NGOs, mit der Behindertencommunity gesorgt werden.

Der Nationale Aktionsplan, der für 2012 bis 2020 250 Maßnahmen vorsieht, wird 2020 natürlich nicht auslaufen, sondern weitergeführt werden, das kann ich jetzt schon ga­rantieren.

Wie auch dem Regierungsprogramm zu entnehmen ist, sollen Barrieren in Gesetzen und Köpfen abgebaut werden. Die Digitalisierung spielt dabei natürlich auch eine ganz große Rolle. Aus diesem Grund werden 2018 für diesen Bereich im Ausgleichstaxfonds 84,4 Millionen Euro bereitgestellt. Ziel muss es sein, dass Menschen mit Behinderung im Unternehmen die Unternehmen bereichern, um dem eingangs erwähnten modernen sozialen Fortschritt gerecht zu werden. Viele positive Maßnahmen wurden bereits ge­setzt und noch viele weitere werden folgen.

Lassen Sie mich noch einen weiteren Aspekt erwähnen, nämlich die erhöhte Familien­beihilfe. Eine wichtige Handlung, die die Absicht der Bundesregierung, Menschen mit Behinderung mit aller Kraft zu unterstützen, bezeugt, ist natürlich die Sicherstellung der Familienbeihilfe. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner jüngsten Rechtsprechung entschieden, dass Menschen, deren Lebensunterhalt zu mehr als 50 Prozent vom Staat finanziert wird, künftig keinen Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe mehr haben sollen. Gerade diese erhöhte Familienbeihilfe für Familien mit behinderten Kindern hat aber zum Ziel, die aufgrund der Behinderung eines Kindes zu erbringenden Mehrauf­wendungen abzugelten. Ich setze mich vehement für die Unterstützung von Menschen mit Behinderung ein und freue mich daher, dass die Regierungsparteien heute durch die Novellierung des FLAG sicherstellen werden, dass die Betroffenen auch zukünftig Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe haben werden. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Eine faire Arbeitswelt und einen nachhaltigen sozialen Schutz sicherzustellen, das garantiert diese Regierung. Für uns stehen Herr und Frau Österreicher im Mittelpunkt und sonst nichts! – Danke. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

9.34

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ab nun gilt laut Geschäftsordnung eine Redezeit­beschränkung von 5 Minuten. Das ist allen Rednern bekannt.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Wöginger. – Bitte.