12.30

Abgeordneter Mag. Dr. Matthias Strolz (NEOS): Frau Präsidentin! Lieber Herr Minis­ter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger, die Sie hier unse­rer Debatte beiwohnen! Das ist meine Abschiedsrede hier im Hohen Haus. Es ist so weit: Wir haben damit die geordnete Übergabe über die Bühne gebracht, ich werde heute mit 24 Uhr meine Funktionen zurücklegen.

Ich habe mir natürlich länger überlegt, was ich zum Abschluss noch sagen will, denn es ist schon so vieles gesagt. Ich hatte einen Plan, aber dann kam mir irgendwie das In­nenministerium dazwischen. Ich möchte vorneweg schon ein paar grundsätzliche Be­merkungen dazu machen, weil ich glaube, dass solche Attacken auf die Pressefreiheit, wie wir sie diese Woche erlebt haben, natürlich keine Kleinigkeit sind.

Es geht da ums ganz Grundsätzliche. Wir müssen da als Parlament – als erste Staats­gewalt – klar sein. Wir müssen glasklar sein, weil wir nur einen gemeinsamen Nenner haben, und der lautet: liberale Demokratie. Wenn wir den verlieren, dann schwindet uns der gemeinsame Boden unter den Füßen, und das wünsche ich diesem Land nicht. Deswegen müssen wir wachsam sein, sehr wachsam! (Beifall bei NEOS, SPÖ und Liste Pilz.)

Ich denke, dass das mit der Demokratie so wie mit der Gesundheit ist: Solange man sie hat, ist sie nicht so wichtig; wenn sie einmal verloren ist, dann wird es bitter, sehr bitter. Es gibt natürlich mitunter auch den Fall, dass die Krankheit schleichend daher­kommt. Wir haben ja in der Nachbarschaft solche Fälle: Polen und Ungarn auf dem Weg zur illiberalen, zur gelenkten Demokratie. Der Preis, den die Bürger zahlen, ist hoch. Ich kann diesbezüglich jetzt nicht in die Tiefe gehen, aber der Umstand, dass seit 2010 Hunderttausende Menschen aus Ungarn das Weite suchen – vor allem junge Menschen, weil sie ihre Zukunft nicht mehr in diesem Land sehen –, ist natürlich be­redter Ausdruck davon, dass etwas im Sinne des guten Lebens für die Menschen nicht in Ordnung ist.

Ich wünsche Österreich nicht, dass die Generation unserer Kinder ausziehen sollte oder ausziehen will, weil sie in diesem Land nicht ihre Zukunft sieht. Deswegen müs­sen wir da klar sein. Wir dürfen kein Wackelkandidat sein, wir dürfen nicht in die Sack­gasse der illiberalen Demokratie einbiegen (Beifall bei NEOS, SPÖ und Liste Pilz so­wie der Abg. Bißmann), auch wenn es eine verlockende Antwort in Zeiten wie diesen ist – das ist mir schon klar.

Die Zeiten sind bewegt, die Zeiten sind durchwachsen, sie sind VUKA: volatil, unsicher, komplex und ambivalent. Es ist natürlich auch für die Bürger und Bürgerinnen nicht ein­fach, in diesen krisenhaften Zeiten irgendwie gut zu Gange zu kommen. Sie sind sehr verunsichert. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns als Bürgerinnen und Bürger nicht zu sehr von den Krisen, die uns derzeit widerfahren, verunsichern lassen.

Der griechische Arzt Hippokrates hat damals die Krise als jenen Moment in einer fie­berhaften Erkrankung bezeichnet, in dem sich entscheidet, ob sich das System stärkt oder der Mensch stirbt. Wenn wir das auf die Gesellschaft übertragen: Nein, wir wer­den nicht sterben. Das heißt aber, das System stärkt sich gerade, und zwar sehr eigen­tümlich und auf den ersten Blick nicht ganz begreifbar.

Wir brauchen diese Stärkung, wir brauchen diese Erneuerung, weil Österreich – auch das merkt man gar nicht so richtig, weil wir mittendrin sind – in einem groben Umbruch ist. Die Zweite Republik ist zu ihrem Ende gekommen, jedenfalls dann, wenn wir sa­gen, das rot-schwarze Machtkartell war wesenskonstituierend, war das primäre, domi­nante Muster. Ich stehe nicht an – das habe ich schon oft gesagt – zu betonen, wir haben diesem rot-schwarzen Machtkartell über Jahrzehnte auch viel zu verdanken. Ich glaube, es war 1945 aus pragmatischer Sicht nicht das Blödeste. (Heiterkeit der Abg. Rendi-Wagner.)

Natürlich hatte es aber auch negative Abrisskanten und Begleiterscheinungen, die dann zunehmend größer wurden: Korruption, Freunderlwirtschaft, Stillstand und struk­turelle Verkrustung. – Somit hat sich dieses dominante Muster zuletzt selbst überlebt, es ist tot. Das Alte ist tot, das Neue ist noch nicht ganz da. In dieser Phase sind wir, und wir brauchen nun jede Kraft, guten Willens in dieser Erneuerung mitanzupacken.

Wir müssen Österreich neu erfinden, und wir müssen das gemeinsam machen. Wir sind gemeinsam gewählt, also das ist so. Wir brauchen Erneuerung, jeder Abgeordne­te muss da mit ran. Ich behaupte, jeder Abgeordnete hat auch seine politische Lauf­bahn mit Idealismus gestartet, jeder von uns! Es ist so unendlich wichtig, dass wir die­sen Ort in uns, an dem wir mit Idealismus gestartet haben, jeden Tag aufs Neue su­chen und finden. Diesen Ort müssen wir groß machen. Es gibt in jeder Fraktion gute Leute, es gibt überall Idealismus.

Natürlich gibt es auch inhaltliche Auffassungen, die ich jenseitig finde, da werden wir dann in der Auffassung auseinandergehen. Das aber ist Parlamentarismus, und den brauchen wir. Auf diese Positionen, bei denen wir auseinandergehen, werde ich nun halt nicht hingehen, denn das ist mein Abschied. Nie ist die Liebe so groß wie im Abschied – Karlheinz Kopf, wenn ich dich sehe (erheitert); eine Liebeserklärung, nicht wahr! (Allgemeine Heiterkeit und allgemeiner Beifall.)

Ich kann berichten – weil wir hier herinnen auch oft streiten –: Wenn man die Men­schen näher kennt, merkt man, selbst wenn man inhaltlich weit auseinanderliegt – ich schaue auf Herrn Rosenkranz –, dass in jedem etwas Liebenswürdiges steckt, in je­dem von uns, das ist so. (Heiterkeit bei den NEOS.) Wenn man miteinander arbeitet, lernt man das auch kennen.

Insofern sind wir immer wieder auch dazu verpflichtet, gemeinsam innezuhalten und zu fragen: Was ist denn gerade los? Wo stehen wir als Gemeinschaft? – Wir müssen na­türlich erkennen, dass mit der Migration, der Digitalisierung und der Globalisierung die Menschen sehr verunsichert sind. Das treibt sie in die Angst, in die Unsicherheit und manche auch in die dumpfe Bewusstlosigkeit. Das sind keine guten Orte: Angst, Ohn­macht, Bewusstlosigkeit. Ich glaube, wir können andere Orte schaffen. Wir können das. Wir können unsere Herzen befragen, wir können unseren Verstand befragen und wir können in den ehrlichen Austausch gehen.

Wir müssen auch, wenn wir unsere derzeitige Gesellschaft betrachten, erkennen, dass wir natürlich – ob im Arbeitsalltag, in der Wirtschaft, in der Politik oder in anderen Seg­menten – sehr viel Stress, negativem Stress, einer Reizüberflutung und einer Be­schleunigung ausgesetzt sind. Überall blinkt etwas, überall läutet etwas, jeder will et­was von uns, alles zerrt an uns. Das macht viele Menschen kaputt, wirklich kaputt. Das ist eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft.

Ich habe mir die Zahlen angeschaut: Aufmerksamkeitsstörungen, Schlafstörungen, De­pression und andere psychische Erkrankungen sind wahnsinnig am Vormarsch. Die Weltgesundheitsorganisation sagt, bis 2030 wird die größte Volkskrankheit auf diesem Planeten die Depression sein. Allein heuer, 2018, wachsen über eine halbe Million Menschen in Österreich in die Depression. Das ist epidemisch und steigt rasant, da müssen wir dagegenhalten.

Wenn man an einen Sportler oder an eine Sportlerin denkt, der oder die in so einem Zustand gewinnen will, wissen wir, er oder sie ist chancenlos. Deswegen ist es im Sport mittlerweile auch Standard, sich um mentale Fitness zu kümmern, sie zu trainie­ren. Ich glaube, wir können da etwas vom Sport lernen, weil das, was jedem von uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten an gesellschaftlichem Wandel bevorsteht, eine Olympiade ist. Die gute Nachricht ist, wir können uns darauf vorbereiten, als Gesell­schaft, als Individuum.

Wir können Fitness trainieren, das führt zu einem gesünderen Leben, zu einem zufrie­deneren Leben, zu einem besseren Miteinander, zu besseren Ergebnissen. Da geht es um Spannung und Entspannung. Da geht es natürlich auch um die Frage der Konzen­trationsfähigkeit: Wie abgelenkt sind wir immer, auch hier in diesem Parlament? Was ist denn da alles relevant an Dingen, die oft gar nicht der Kern des gemeinsamen Rin­gens um die beste Lösung sind?

In diesem gemeinsamen Tun ist natürlich auch das positive Miteinander wichtig. Es gibt dafür wissenschaftlich tausendfach untersuchte Möglichkeiten. Im angloamerikani­schen Raum ist mittlerweile Mindfulness, die Achtsamkeit, ein großes Ding, eine große Disziplin. Ich glaube, wenn wir uns wirklich ernsthaft in den Spiegel schauen, dann wis­sen wir, dass wir auch dringend mehr von dieser Qualität der Achtsamkeit im Parla­ment und in der Politik brauchen, ganz dringend! (Allgemeiner Beifall.)

Ich habe oft gesagt: Ich liebe Politik, und so ist es und bleibt es. Das kannst du dir ja oft gar nicht aussuchen, was du liebst. Wenn wir uns die Politik anschauen, so ist es schon auch eine verrückte Branche. Es ist dort sehr VUKA, es ist oft auch voller nega­tiver Energie, Häme, Kränkung, Aggression und wechselseitiger Geringschätzung. Das ist auch Teil unseres Alltags, und das tut uns wechselseitig nicht gut. Das ist auch für die Qualität der Ergebnisse, die wir haben, nicht hilfreich.

Da können wir ansetzen, denn wir müssen gut auf diesen Ort Politik schauen. Es ist und bleibt der Ort, wo wir uns ausmachen, wie wir miteinander leben. Wir müssen uns etwas ausmachen, wenn wir mehr als drei Maxln sind, und das ist dann Politik. Wir sollten eben immer wieder an jenem Punkt des Idealismus ankern, den jeder in sich trägt. Dann können wir diesen Ort Politik auch positiv aufladen, positiver als heute. Wir können das, wenn wir wollen – wenn wir wollen!

Ich schließe mit einem Wunsch und einer Einladung. Mein Wunsch ist: Wir bauen jetzt das Parlament groß um, und wir haben in Krankenhäusern, wir haben in Universitäten, an Flughäfen Orte der Besinnung, der Ruhe, der Achtsamkeit eingerichtet. Ich finde das super, dass wir das in Krankenhäusern haben, aber warum um alles in der Welt haben wir das nicht in der größten Sinnfabrik der Republik, im Parlament? Dort brau­chen wir das auch, wir brauchen Besinnung, jeden Tag wieder. So ein Ort kann nicht schaden, der kann nur nützen. Und ich würde bitten, Frau Präsidentin, dass das auch in der Präsidiale, im Bauherrenausschuss beraten wird, so einen Ort der Achtsamkeit im neuen Parlament einzurichten. Das ist mein Wunsch.

Und das Angebot ist: Es gibt in Österreich eine strikt überparteiliche Initiative Achtsa­mes Österreich. Das sind Leute aus der Wirtschaft, aus der Kultur, aus dem Bildungs­wesen, der Medizin, das sind Experten, die dieses Thema aufgreifen. Ich möchte nach einer Cooling-off-Phase im Frühjahr dann als außerparlamentarischer Bürger zurück­kommen und ein Angebot machen. Ausländische Parlamente – Großbritannien, Schweden, Niederlande, viele andere – haben Achtsamkeitsinitiativen gestartet. Groß­britannien hat das mittlerweile auch in andere Gesellschaftsbereiche ausgerollt – Mind­ful Nation UK –, in den Bildungsbereich, in den Gesundheitsbereich. Sie können bele­gen, dass sie mit 1 Pfund Ausgabe für Achtsamkeitsmaßnahmen im Gesundheitsbe­reich 15 Pfund Krankheitsausgaben und ganz viel menschliches Leid sparen können.

Diese Qualität würde ich gerne ins Parlament hineintragen. Also wer dann Lust hat: Wir werden ein Angebot formulieren. Wer es aufgreift, ist herzlich eingeladen. Wer sich jetzt schon vorab informieren will: Es gibt eine Website mit ersten Infos – www.achtsa­mesoesterreich.at.

Dann noch eine Einladung: Ich werde ab Mitte Oktober in größere Ruhe gleiten, davor aber noch einmal ordentlich aufdrehen, nämlich am 13. Oktober. Der großartige Künst­ler Kurt Razelli und ich präsentieren eine CD, eine Schallplatte für alle Hippen im Flex. Das ist das erweiterte Wohnzimmer von Andi Schieder – Sie kennen es – damals ge­wesen natürlich, eine Großraumdiskothek, die es immer noch gibt, jawohl. Und Sie sind alle herzlich eingeladen. Es ist ein Echo auf meine Parlamentstätigkeit, er hat da Botschaften verschnitten. Und ja, wir starten eine Österreichtournee mit einem Stopp, nämlich nur diesem einen, und das ist wie Woodstock. Don’t miss it! Vorbei ist vorbei. (Beifall bei NEOS, SPÖ und Liste Pilz.)

Liebe Bürgerinnen und Bürger! Heute ist mein Abflug, und ich möchte natürlich allen Kolleginnen und Kollegen als Abgeordneten, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dan­ken, die so großartig waren und sind. Ich möchte den engagierten, den interessierten Bürgerinnen und Bürgern danken. Ich möchte auch den Mitarbeitern der Parlamentsdi­rektion danken, die uns und mich immer großartig unterstützt haben, den Kollegen und Kolleginnen in der Präsidiale, die hier das Parlament zu führen haben. Ich möchte na­türlich auch all den Lieben im Privatbereich danken, die mich unterstützt haben, und stellvertretend für alle meiner lieben Frau, die heute auch hier anwesend ist. Herzlichen Dank von Herzen! (Allgemeiner Beifall.)

Es gibt viele gute Menschen in diesem Parlament, kann ich berichten, und ich gehe aus dem Parlament, aber bleibe natürlich ein politischer Mensch. Also ich singe da mit den Eagles Hotel California: You can check out any time you like, but you can never leave!“ Also du kannst als Abgeordneter natürlich auschecken, aber du kannst die Poli­tik nicht verlassen. Niemand kann die Politik verlassen, wir wohnen gemeinsam an die­sem Ort.

Insofern werde ich ein politischer Mensch bleiben, und ich wünsche dieser Republik alles Gute, diesem Österreich. Österreich ist ein Gesamtkunstwerk, ein Mosaik aus fast neun Millionen Bausteinen, jeder mit seinem Wesen, mit seiner Farbe hat hier seinen Teil. Es ist eine Wirklichkeit in Österreich, die tagtäglich aus dem Zusammenspiel von ganz vielen kleinen Handlungen entsteht, Handlungen von fast neun Millionen Men­schen. Und die Zukunft dieses Landes ist eine, die wir nicht willenlos betreten, nein, die Zukunft ist ein Raum, den wir mit den Schritten erschaffen, die wir tagtäglich gehen. So wünsche ich Österreich gute Schritte und wünsche meiner Heimat Europa gute Schritte und eine goldene Zukunft, und euch hier im Hohen Haus, im Parlament wünsche ich einfach: Macht es gut – ich werde euch vermissen, keine Frage –, und passt gut auf dieses Österreich auf! – Danke schön. (Anhaltender allgemeiner, von NEOS sowie von Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Liste Pilz stehend dargebrachter Beifall. – Beifalls­kundgebung auf der Galerie.)

12.46

Präsidentin Doris Bures: Herr Klubobmann Dr. Strolz! Sie haben am Applaus und auch an der Aufmerksamkeit, während Sie gesprochen haben, gemerkt, wie sehr die­ses Hohe Haus und dieser Nationalrat Ihre Arbeit geschätzt haben. Sie haben zu jenen im Haus gehört, die immer einen sehr wertvollen, einen sehr konstruktiven und leiden­schaftlichen Beitrag geleistet haben. Dafür, aber auch für Ihre Arbeit in der Präsidial­konferenz, möchte ich Ihnen hier für das Hohe Haus, für den Nationalrat danken. Ich denke, ich kann das in unser aller Namen sagen: Auch wir wünschen Ihnen alles er­denklich Gute für die Zukunft! (Allgemeiner Beifall.)

Herr Abgeordneter Mag. Ragger, Sie gelangen nun zu Wort. – Bitte.