10.03

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Mit dieser Vorlage, mit diesem heutigen Ministerratsbeschluss machen Sie keine Sozial­versicherungsreform im Interesse oder zum Wohle der Versicherten. (O-ja-Ruf der Abg. Belakowitsch. – Abg. Leichtfried: Nein! – Abg. Belakowitsch: Doch! – Abg. Leichtfried: Nein ...! – Abg. Belakowitsch: Doch! – Abg. Leichtfried: Sicher nicht, Sie ...!) Im Ge­genteil: Sie bauen das Sozialversicherungssystem um, Sie bauen es zulasten aller Ar­beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zulasten aller Versicherten um, vom Kleinkind be­ginnend bis zu Pensionistinnen und Pensionisten. (Beifall bei der SPÖ und bei Abge­ordneten der Liste Pilz. – Abg. Rosenkranz: So eine billige Polemik!)

Herr Klubobmann Rosenkranz, ich werde Ihnen auch erläutern, warum. Das unter­scheidet uns vielleicht ein bisschen: Wir operieren nicht mit Überschriften und verspre­chen den Menschen etwas – wie zum Beispiel beim Arbeitszeitgesetz, bei dem Sie den Menschen eine Vier-Tage-Woche und mehr Freizeit versprochen haben, was bis dato nicht eingetreten ist. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Gudenus: Wo ist der heiße Herbst?)

Ich möchte das jetzt auch begründen: Sie haben gegenüber den Menschen davon ge­sprochen, von einer Funktionärsmilliarde hin zu einer Patientenmilliarde zu kommen. (Zwischenruf des Abg. Loacker.) Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung kos­tet für alle Träger 5,7 Millionen Euro im Jahr, das sind 40 Cent pro Versichertem. Was machen Sie? – Sie machen ein Funktionärsbashing sondergleichen, zum Schaden der Selbstverwaltung (Abg. Deimek: Das haben sie sich aber auch selbst erarbeitet!), zum Schaden der Sozialversicherung, und versprechen den Menschen 1 Milliarde Euro an Umschichtungen, was nicht stattfinden kann. Ich weiß nicht, über unser Schulsystem kann man auf und ab diskutieren, aber: Mathematisch hat mir noch niemand erklären können, wie wir aus Kosten von 5,7 Millionen Euro eine Einsparung von 1 Milliarde Eu­ro produzieren können. Ich kenne diesen Rechenvorgang eigentlich nicht. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Loacker. – Zwischenruf des Abg. Deimek.)

Sie sprechen vom Senken der Verwaltungskosten. Wir haben, gemessen an vergleich­baren Ländern, die niedrigsten Verwaltungskosten in Europa. 40 Euro pro Versicher­tem, pro Kopf kostet unsere gesamte Verwaltung in der Sozialversicherung im Jahr. Sie gehen her, machen ein Bashing und sagen: Da ist so viel drinnen, da muss man etwas einsparen! – In Deutschland, egal welche Versicherung wir hernehmen, sind es 136 Euro, 146 Euro, 170 Euro. In Österreich macht es pro Kopf, pro Versichertem 40 Eu­ro aus. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Sie versprechen den Menschen gleiche Leistungen, in Wirklichkeit geht die Schere zwischen den drei neuen Trägern – zwischen Beamten, Selbstständigen und Unselb­stständigen – aber noch weiter auseinander. Sie, Frau Ministerin, sprechen von mehr Geld im System. Wie soll das funktionieren, wenn Sie dem Sozialversicherungssystem Geld entziehen und ihm auch kein Geld mehr zukommen lassen?

Ich nenne jetzt fünf Argumente, Herr Klubobmann Rosenkranz: Das Sozialversiche­rungssystem wird weniger Beiträge bekommen. Warum? – Weil Sie die Arbeitge­berbeiträge für die Unfallversicherung senken und ihnen im Gegenzug auch mehr Macht zukommen lassen. (Abg. Deimek: Was hat das mit der Krankenversicherung zu tun?)

Zweites Argument: Es wird weniger Geld im Sozialversicherungssystem geben. Wa­rum? – Weil Sie aus diesem System heraus auch die Fusionskosten kalkulieren müs­sen, die Sie nirgendwo eingerechnet haben. Diese Fusion wird uns Hunderte Millionen bis zu 1 Milliarde Euro, wenn nicht mehr, kosten. Wo kommt dieses Geld her? Diese Antwort hätten wir gerne. Natürlich finanzieren Sie es aus dem System! (Abg. Ro­senkranz: Wo kommt Ihre Zahl her?)

Drittes Argument: Das Finanzministerium zieht sich aus Kofinanzierungen im Sozial­versicherungssystem zurück, auch dadurch wird es weniger Geld im System geben.

Das vierte Argument: Sie schanzen den Privatkrankenanstalten, den Privatspitälern mehr Geld zu, das heißt, das geht uns auf der anderen Seite, in der Sozialversiche­rung, bei unseren eigenen 154 Einrichtungen ab. Einen Unterschied gibt es schon, Frau Ministerin: Die Privatspitäler entscheiden nämlich, welche Leistungen sie an die Versicherten tatsächlich abführen. Das machen die öffentlichen Spitäler nicht, denn dort ist es das große Plus, dass alles geleistet wird. (Abg. Deimek: Da kriegst eh gleich nichts! Da sagt der Chefarzt gleich, das Medikament kriegst nicht und die Behandlung kriegst auch nicht!)

Der letzte Kritikpunkt: Die Beitragsprüfung verlagern Sie in die Finanz. Die Beitrags­prüfung wird dadurch in der Effizienz verschlechtert, das bedeutet weniger Beitragsein­nahmen. Das heißt, noch mehr Menschen, die draußen arbeiten, kommen nicht mehr zu ihrem Geld, weil sie unterentlohnt und schlecht angemeldet sind (Abg. Leichtfried: Das ist ja unerhört! – Abg. Rosenkranz: Das ist wirklich unerhört! So viel Unsinn auf einem Haufen ist unerhört! – Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und FPÖ), und das ist un­erhört.

Sie reden hier von Einsparungen, aber Ihre Rechnung von mehr Geld für die Versi­cherten geht nicht auf, sie stimmt nicht. Hören Sie auf, den gleichen Fehler eines Husch-Pfusch-Gesetzes, wie Sie es beim Arbeitszeitgesetz gemacht haben, zu ma­chen! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Bißmann. – Abg. Wöginger: Herr Prä­sident!)

Geschätzte Volksvertreter von FPÖ und ÖVP! Sie haben die Möglichkeit, dieses Ge­setz zu reparieren, Sie haben die Möglichkeit, Ihrem Titel als Volksvertreter gerecht zu werden. Sind Sie Volksvertreter im Interesse der acht Millionen Versicherten oder sind Sie Vertreter von Kapital und Großkonzernen? (Zwischenruf des Abg. Neubauer.  Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Das ist Ihre Entscheidung. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz. – Abg. Wöginger: Das ist ja nicht der ÖGB-Kon­gress da herinnen! – Abg. Belakowitsch: Gott sei Dank!)

10.09

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Povy­sil. – Bitte.