Dringlicher Antrag

der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Das neue Arbeitszeitgesetz in der Praxis: keine Freiwilligkeit, weni­ger Lohn, weniger Freizeit – lernen Sie aus Ihren Fehlern, Herr Bundeskanzler!“ (455/A)(E)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen zur dringlichen Behandlung des Selbständigen Antrages 455/A(E).

Da dieser inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Der Dringliche Antrag hat folgenden Wortlaut:

Das Arbeitszeitgesetz ist als Schutzgesetz konzipiert, das verhindern soll, dass Arbeit­nehmerInnen durch überlange Arbeitszeiten krank werden und sie sich für die Profit­maximierung ihres Arbeitgebers kaputt arbeiten müssen. Ein Schutzgesetz, das verhindern soll, dass ihr Privatleben leidet, dass sie ihre Kinder nur zum Schlafen­gehen sehen und mangelnde Planbarkeit und Vorhersehbarkeit eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung verunmöglichen.

Diese Schutzintention wurde von Schwarz-Blau ausgehebelt. Die SPÖ hat davor ge­warnt, dass die beschlossenen Regelungen zum 12-Stunden-Tag und zur 60-Stunden-Woche ohne Beiziehung der ArbeitnehmerInneninteressensvertretungen nicht aus­reichend durchdacht, überhastet und verpfuscht beschlossen wurden. Binnen weniger Wochen sind nun bereits die ersten Fälle aufgetreten – bei denen ExpertInnen davon ausgehen, dass sie nur die Spitze des Eisberges darstellen -, die diese Kritik bewei­sen.

Was bedeutet die 60-Stunden-Woche für ArbeitnehmerInnen nun in der Praxis?

•         Keine Freiwilligkeit: Zusammenhänge schwer bis de facto nicht beweisbar

Freiwilligkeit ist ein Fremdkörper im Arbeitsrecht. Vor allem die persönliche und wirt­schaftliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber lässt nur in Ausnahmefällen Freiwilligkeit zu, da bei mehrmaliger Ablehnung von Überstunden prinzipiell immer langfristige Folgen bei Beförderungen oder Rationalisierungsmaßnahmen zu erwarten sind. Auch wenn im Gesetz ein Diskriminierungsverbot steht, kann der Arbeitgeber immer noch ohne An­gaben von Gründen jederzeit das Dienstverhältnis lösen. Wenn zwischen der Ableh­nung der Überstunden und einer nicht erfolgten Beförderung oder der Kündigung einige Zeit verstreicht, lässt sich der Zusammenhang vor Gericht nicht mehr beweisen.

Noch schlimmer wird es, wenn der Arbeitgeber derart Druck auf den oder die Arbeit­nehmerIn ausübt, dass das Beschäftigungsverhältnis sogar einvernehmlich aufgelöst wird, wie das folgender Fall zeigt:

Hilfsköchin sagt nein zu 12-Stunden-Tag – Gekündigt und Abfertigungsanspruch ver­loren: Der Chef eines Wiener Restaurants legte das Gesetz auf seine eigene Art aus und nutzte es, um eine ältere Arbeitnehmerin los zu werden. Einen Tag vor der Gül­tigkeit der neuen Regeln (ab 1. September 2018) rief er Fatma B. zu sich.

Die 56-Jährige arbeitet seit 1999 als Hilfsköchin in dem Betrieb, und zwar Teilzeit. Nun teilte der Arbeitgeber der Frau mit, dass sie künftig zwölf Stunden pro Tag am Herd stehen müsse. Fatma B. suchte einen Kompromiss, bot an, 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Doch das war dem Chef nicht genug, er setzte die Köchin unter Druck, bis sie eine „einvernehmliche“ Auflösung des Arbeitsverhältnisses unterschrieb. Die Arbei­terkammer fordert nun für die Köchin die Abfertigung in der Höhe von sechs Monats­gehältern ein – in vier Monaten hätte Fatma B. ihr 20-Jahre-Dienstjubiläum gehabt, und die Abfertigung wäre wesentlich höher gewesen. Die Köchin soll auch nicht die einzige Betroffene in dem Betrieb sein.

Von Freiwilligkeit kann auch nicht die Rede sein, wenn in einem Betrieb Mitar­bei­terInnen Arbeitsverträge vorgelegt werden, welche die freiwillige Bereitschaft für 12-Stunden-Arbeitstage bereits beinhalten:

„Der Arbeitnehmer erklärt seine ausdrückliche und freiwillige Bereitschaft, bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes eine Tagesarbeitszeit von bis zu 12 Stunden sowie eine Wochenarbeitszeit von bis zu 60 Stunden leisten zu wollen“, so heißt es in dem fragwürdigen Arbeitsvertrag, mit dem sowohl ein Betrieb in Salzburg als nun auch ein großes Hotel am Arlberg die Freiwilligkeit, umgehen wollten.

•         Weniger Lohn: Für die gleiche oder vielleicht sogar mehr Arbeit gibt es vielfach insgesamt weniger Lohn

Bei Gleitzeit kann an fünf Tagen in der Woche bis zu 12 Stunden zuschlagsfrei gear­beitet werden. Das betrifft derzeit bereits rund 1 Mio. ArbeitnehmerInnen. Somit ist künftig eine zuschlagsfreie 60-Stunden-Woche möglich:

Bereits im August dieses Jahres wurde der AK-Wien ein Fall bekannt, bei dem ein von Wien aus tätiges internationales Handelsunternehmen seinen 150 MitarbeiterInnen eine neue Gleitzeitvereinbarung zur Unterschrift vorgelegt hat, wonach aus bisherigen Über­stunden normale zuschlagsfreie Stunden werden, die nur als Gleitzeit freige­nommen werden können. Überstundenzuschläge soll es nur noch nach Überschreiten von 12 Arbeitsstunden am Tag geben. Im Vertragsentwurf der Firma heißt es zum Punkt Überstunden, wie die AK mitteilte: "Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass während der Gleitzeitperiode keine Mehr- bzw. Überstunden ausbezahlt werden. Falls diese aufgrund der zulässigen Tagesarbeitszeit von 12 Stunden anfallen sollten, dann sind sie durch Zeitausgleich zu verbrauchen.“ Wobei die Firma laut AK aus­schließlich das Aufbrauchen eines Gleitzeitguthabens im Verhältnis 1:1 meint, also ohne Überstundenzuschläge. Gelten soll die Regelung ab Dezember 2018.

Ein weiterer Fall, der aufzeigt wie das Gesetz zu Lohneinbußen führt, ist der eines Hotelmitarbeiters, der für brutto 1.620 Euro plus 32 Euro Pauschale arbeiten soll – alle Ansprüche und Mehrarbeit samt 60-Stunden-Woche inklusive. Ein großes Hotel aus einer der Salzburger Wintersportmetropole hat einem Bewerber einen Dienstvertrag vorgelegt, in dem es wörtlich heißt: „Der Arbeitnehmer erklärt seine ausdrückliche und freiwillige Bereitschaft, bei Vorliegen erhöhten Arbeitsbedarfs eine Tagesarbeitszeit von bis zu zwölf Stunden und eine Wochenarbeitszeit bis zu 60 Stunden leisten zu wollen.“ Zusätzlich sieht der Vertrag neben einem Grundgehalt von monatlich 1.620 Euro brutto eine All-in-Pauschale von gerade einmal 32,62 Euro im Monat vor, mit der „Ansprüche, welcher Art auch immer“, abgedeckt seien. Wörtlich werden angeführt: Zulagen, Zuschläge, Überstunden, Abgeltung Ersatz- und Nachtruhezeiten sowie „ins­be­sondere auch allfällige kollektivvertragliche Entgelterhöhungen“. Das ist Ausbeutung pur.

•         Weniger Freizeit: Kaum mehr Zeit für die Familie

Die seit 1.9.2018 geltenden Arbeitszeitregelungen sind nicht flexibel, sondern nur län­ger. Auch Wochenendarbeit ist nunmehr 4-mal im Jahr zulässig. Es besteht kein Rechtsanspruch auf Wahlfreiheit, auf Freizeit, keine Selbstbestimmtheit. Es gibt keine versprochene 4-Tage-Woche, keine langen Wochenenden, keine zusätzlichen Aus­gleichsmaßnahmen. Berufstätige Eltern werden noch häufiger an ihre Belastungs­gren­zen kommen. Tatsächlich sind in den meisten Regionen Österreichs die Kinderbetreu­ungs- und Bildungseinrichtungen gar nicht auf 12-Stunden-Tage der Eltern ausge­richtet. Die aktuelle Kindertagesheimstatistik zeigt, dass gerade einmal 2 % aller Ein­rich­tungen außerhalb von Wien 12 Stunden oder länger geöffnet haben.

Im Standard wurde am 13. November ein Fall aufgedeckt, bei dem in Salzburg Blanko­verträge aufgetaucht sind, mit denen sich die Arbeiter und Arbeiterinnen freiwillig und pauschal zur Wochenendarbeit verpflichten sollen. Der Produktionsbetrieb hat seinen Sitz im Salzburger Pongau und kommt auf rund 400 Beschäftigte. Mit einem Teil der Belegschaft hat die Geschäftsführung begonnen, eine "Vereinbarung zur Wochenend- und Feiertagsarbeit" abzuschließen. Während bisher Vereinbarungen zur Wochen­endarbeit nur über den Betriebsrat und Betriebsvereinbarungen möglich waren, sind diese wie beim 12-Stunden-Tag durch Einzelvereinbarungen ersetzt worden. Die Fir­men­leitung aus dem Pongau hat ihren MitarbeiterInnen nunmehr einen Vereinba­rungs­entwurf vorgelegt, der eine Blankovollmacht für vier zusätzliche Wochenendschichten pro MitarbeiterIn beinhaltet. Damit ließen sich die Wochenendschichten auch ohne wirklichen Anlassfall kostengünstig ausdehnen. So sieht die sogenannte „Freiwilligkeit“ dieser Regierung aus, denn beruft sich ein einzelner Arbeitnehmer darauf, ist nicht klar, wie lange er den Job behält.

•         Weniger Gesundheit: Lang arbeiten macht krank und führt zu Unfällen

Ab der 10. Arbeitsstunde geschehen die meisten Arbeitsunfälle.

Nach 12 Stunden Arbeit wird auch der Heimweg zur Gefahr. Rund eine Million Pend­lerInnen, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, sind länger als eine Stunde täglich unter­wegs. Für sie gibt es also nicht nur den 12-Stunden-Tag, sondern mehr als 13 Stunden inkl. Fahrzeit – auch hier gilt: Erhöhte Unfallgefahr.

Lange Arbeitszeiten führen zu einem erhöhten Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen – über 55 Wochenstunden: Schlaganfallrisiko steigt um 33 Prozent, Herzinfarktrisiko steigt um 13 Prozent, einem Anstieg der Krankenstände und zu gesundheitlichen Prob­lemen in Bezug auf die Aufnahme und den Abbau von gesundheitsschädigenden Ar­beits­stoffen im Körper uvm. (z.B. Baua, 20091; WIFO/Universität Graz; 20112; ÖGA, 20073; Jansen/Nachreiner, 20044).

Der Ermüdungszuwachs während eines Zwölf-Stunden-Tages ist dreieinhalb Mal höher, als an einem arbeitsfreien Tag. Die Ermüdung bei zwei aufeinanderfolgenden Zwölf-Stunden-Diensten nimmt weiter signifikant zu. Die Erholung am Tagesrand reicht nicht aus, um diese Ermüdung auszugleichen. Nach zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit je zwölf Stunden Arbeitszeit müsste man drei Tage freinehmen, um sich vollständig zu erholen. Praktisch bei jedem Menschen entsteht spätestens ab der zehnten Ta­gesarbeitsstunde ein deutlicher Leistungsknick – inklusive erhöhter Unfallgefahr im Beruf oder im Straßenverkehr (Universität Wien,20175).

Lange Arbeitszeiten haben einen negativen bzw. keinen positiven Effekt auf die Produk­tivität (z.B. KODZ et al. (2003), NACHREINER (2005), SEIFERT (2009). Po­sitive Zusammenhänge zwischen einer Arbeitszeitverlängerung und Produktivität konnten bislang nicht nachgewiesen werden (Baua, 20096).

•         Keine betriebliche Mitbestimmung mehr: Sie wurde einfach ersatzlos abgeschafft

Es gab schon bisher zahlreiche Ausnahmebestimmungen und unter verpflichtender Mitbestimmung des Betriebsrats konnte ein vorübergehender 12-Stunden-Tag zuge­lassen werden. Diese Mitbestimmung wurde durch ein einseitiges Anordnungsrecht der ArbeitgeberInnen zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen ersetzt.

All diese Fälle sind real und keine Erfindungen. Sie stellen lediglich die Spitze eines gigantischen Eisberges dar, denn die Dunkelziffer jener Betroffenen, die sich aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes bisher nicht trauen an die Öffentlichkeit zu gehen, ist mit Sicherheit um ein Vielfaches höher. Sie zeigen auf, wie ArbeitnehmerInnen unter die Räder dieser gesetzlichen Bestimmungen über den 12-Stunden-Tag und der 60-Stunden-Woche kommen und gezwungen werden aus wirtschaftlicher Abhängigkeit Knebelverträge zu unterschreiben. Diese Fälle beweisen ganz deutlich, dass dieses Gesetz nicht im Geringsten geeignet ist, den Anforderungen der geänderten Arbeits­welt gerecht zu werden.

Es braucht ein flexibles Arbeitszeitrecht, das branchenbezogen Regelungen zulässt und das sowohl ArbeitnehmerInnen als auch ArbeitgeberInnen Vorteile bringt. Ein Ar­beits­zeitrecht, das keine Lohneinbußen mit sich bringt und das Rechtssicherheit, Plan­barkeit der Arbeitszeit und mehr Freizeit beinhaltet.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert,

•         bis zur nächsten Plenarsitzung am 21. November dem Nationalrat eine Regie­rungs­vorlage zu übermitteln, mit der die Regelungen des BGBL I Nr. 53/2018 zurück­genommen und der Rechtszustand vor dem 1. September 2018 wiederhergestellt wird und darüber hinaus

•         unverzüglich Verhandlungen über eine Neugestaltung der Arbeitszeitregelungen unter Einbeziehung der Sozialpartner, von ExpertInnen sowie VertreterInnen der im Parlament vertretenen Parteien aufzunehmen und dem Nationalrat bis spätestens Ende dieses Jahres eine Regierungsvorlage mit modernen, praxistauglichen und für alle Betroffenen mit Rechtssicherheit ausgestatteten Arbeitszeitregelungen, die auch einen Interessensausgleich zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen herstellen, zuzuleiten.“

In formaler Hinsicht wird verlangt, diesen Antrag im Sinne des § 74a Abs. 1 iVm § 93 Abs. 2 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und einem Antrag­steller/einer Antragstellerin Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.

1 A. Wirtz, F. Nachreiner, B. Beermann, F. Brenscheidt, A. Siefer (2009). Lange Arbeitszeiten und Gesundheit: https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fokus/artikel20.pdf?__blob=publicationFile&v=1

2 Wifo, Uni Graz (2011). Folgekosten langer Arbeitszeiten. Kommentierter Literaturüberblick: https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/7/1/8/CH3434/CMS1459843838697/16_folgekosten_langer_arbeitszeiten_fin26052011.pdf

3 ÖGA (2007). Grundlagen  zur arbeitsmedizinischen Beurteilung von Arbeitszeitregelungen: http://www.gamed.at/fileadmin/pdf/Dokumente/LeitfadenArbeitszeit.pdf

4 BAUA (2004). Flexible Arbeitszeiten: http://www.gawo-ev.de/cms2/uploads/Gawo%20Pub/Fb1025,xv=vt.pdf?phpMyAdmin=3ff319a86a720ca633f7d8bfe08952c0&phpMyAdmin=8b6ed5803bbabc8d5f96599c9c6997ad

5 Medizinische Universität Wien (2017). 40-Stunden-Arbeitswoche als „gesunde Basis“: https://www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/detailseite/2017/news-im-februar-2017/40-stunden-arbeitswoche-als-gesunde-basis

6 BAUA (2010). Gesundheitliche und soziale Auswirkungen langer Arbeitszeiten: https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Gd59.pdf?__blob=publicationFile

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf Frau Abgeordneter Rendi-Wagner als Antragstellerin zur Begründung des Dringlichen Antrages das Wort erteilen. Gemäß § 74a Abs. 5 GOG beträgt die Redezeit 20 Minuten. – Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.