13.15

Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (PILZ): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Sie können sich wahrscheinlich noch ganz gut an den 14. Juni erinnern. An diesem Tag haben Hunderttausende ÖsterreicherInnen den Ankick zur Fußball-WM mitverfolgt, ha­ben gemeinsam mit Freunden beim Public Viewing die Freizeit verbracht. Und zumin­dest die russische Mannschaft hat damals mit ihrem 5:0-Sieg gegenüber Saudi-Arabien geliefert, was ihre Fans verlangt haben.

Wissen Sie, was an diesem Tag ganz zufällig parallel zu diesem sportlichen Groß­ereignis noch stattgefunden hat, spät abends und leider ohne die Aufmerksamkeit dieser Hunderttausenden Zuseher? – Ich kann Ihnen da ein bisschen auf die Sprünge helfen, weil auch Bundesministerin Schramböck heute angesprochen hat, dass es um Diskussion, um Gemeinsamkeit geht: An diesem Abend hat es auch hier im Parlament ein Match gegeben, nämlich zwischen auf der einen Seite jenen Kräften, denen es unser Leben in diesem Land wert ist, so gestaltet zu werden, dass Arbeit und Familie entsprechend vereinbar sind und im Vordergrund stehen, dass Zeit mit den eigenen Kindern und mit den Freunden verbringen zu können kein Luxus ist, sondern im wahrsten Sinne des Wortes ein Grundrecht darstellt und auch bleibt (Abg. Martin Graf: Was kann da der Fußball dafür? Den Zusammenhang versteh ich nicht!), und auf der anderen Seite jener Kraft, deren Kampfmannschaft sich mit vereinten türkis-blauen Kräften dafür eingesetzt hat, dass die Profite einiger weniger Industrieller und Selbst­ständiger auf Kosten der Lebensqualität der Mehrheit der gesamten Bevölkerung ein­gestuft, erhöht oder dementsprechend aufgewertet werden.

Ja, und auch Sie, geschätzte Abgeordnete der Regierungsfraktionen, haben an diesem Abend des 14. Juni geliefert, was Ihre Fans gefordert haben. Sie haben es ermöglicht oder haben den Anlass dafür geboten, dass auch die eine oder andere Flasche Cham­pagner geköpft worden ist, nämlich in den Reihen der Industriellenvereinigung, des Wirtschaftsbundes oder der Vorstände Ihrer potenten Großspender. (Abg. Hafenecker: Märchenstunde!) Auf Kosten der Menschen haben Sie an diesem 14. Juni hier im Parlament mit dem Initiativantrag zur Einführung des 12-Stunden-Tages – und mittler­weile wissen wir: nicht des freiwilligen 12-Stunden-Tages, sondern des Zwangs-12-Stunden-Tages – Ihren Spendern ihren Return on Investment gesichert. (Beifall bei der Liste Pilz.)

Fairerweise möchte ich hier schon anmerken: Es geht eh nicht nur um den 12-Stunden-Tag, denn wer mit der Wirtschaftslobby packelt, der verhandelt eh in Paketen – und in diesem Paket war unter anderem auch die Reduktion der Unternehmerbeiträge zur AUVA zulasten der Unfallopfer enthalten, in diesem Paket war auch die Reduktion der Körperschaftsteuer zulasten des Sozialstaates enthalten und in diesem Paket war auch die geplante Einführung des Staatsziels Wirtschaftswachstum zulasten der Umwelt enthalten. Aber um all diese Grauslichkeiten geht es hier heute in dieser Sondersitzung gar nicht, sondern wir kommen wieder zurück auf den 12-Stunden-Arbeitstag, das ist schon Thema genug.

Was ist passiert an diesem Abend, nachdem Kollege Klinger von der FPÖ und Kollege Haubner von der ÖVP der Regierung die große Bürde abgenommen haben und dafür gesorgt haben, dass keine entsprechende Begutachtung durchgeführt werden muss? – Speed kills ist passiert. Es ist von Ihnen ein Konzept zu einem Sozialabbau wie in den Jahren Schüssel/Grasser vorgelegt worden. Sie haben diesen Antrag am zuständigen Ausschuss für Arbeit und Soziales vorbei in den Wirtschaftsausschuss gegeben. Auch heute spricht die Wirtschaftsministerin und nicht die zuständige Ministerin für Arbeit und Soziales in diesem Haus. (Rufe: O ja! Die redet ja noch! – Abg. Winzig: Schauen! Schauen! Schauen Sie halt einmal nach! – Abg. Kitzmüller: In die Rednerliste schauen! Da steht sie drinnen, Frau Kollegin!)

Ich frage mich, warum! Warum? Ich freue mich auf ihre Rede, denn wenn es um ein Arbeitszeitgesetz geht, sollte auch jene Ministerin damit befasst sein, deren grund­legende Aufgabe und deren Kompetenzbereich es auch ist, das Anliegen zu vertreten, dass Arbeitsschutzgesetze entsprechend eingehalten werden. (Abg. Martin Graf: Die ist sogar freiwillig da!) Sie haben dann in weiterer Folge, nach der Zuweisung zum falschen Ausschuss, auch noch einen Fristsetzungsantrag eingebracht, damit es nicht zu einer – Ihrer Meinung nach – ausufernden Diskussion in der Öffentlichkeit kommen kann, und dann das Ganze in dieser Manier durchs Parlament gejagt. 

Wir sehen durch das Bild, das sich heute hier ergibt, dass das mit den Stimmen des verlängerten Arms der Industriellen – das kennen wir, das ist hier die ÖVP – und im nächsten Schritt mit den Stimmen der selbsternannten sozialen Heimatpartei FPÖ durchgepeitscht wurde.

Mittlerweile frage ich mich wirklich: Wie können Sie diesen Gesetzen – ich rede hier von Ceta, ich rede hier unter anderem auch von dem 12-Stunden-Zwangsarbeitstag (Abg. Winzig: Wenn man noch nie gearbeitet hat ...!), denn freiwillig ist es nicht –, wie können Sie Sozialabbaumaßnahmen zustimmen? Kennen Sie das Konzept eines aufrechten Ganges? – Das frage ich mich wirklich, denn all das ist nicht von Ihren Wählern und Wählerinnen gefordert worden – und auch mit den Stimmen der NEOS, die der Regierung schlussendlich auch noch die Mauer gemacht haben. Die Frage ist: Wo stehen wir heute? Was ist der aktuelle Befund?

Wir sehen, dass ein 12-Stunden-Arbeitstag heute Realität ist, weil er von Arbeit­geber­seite eingefordert wird und weil von den Arbeitnehmern nicht freiwillig entschieden werden kann, ob man Zeit hat, ob man ihn freiwillig machen will – das ist alles nicht Realität.

Sie haben die Freiwilligkeit ins Gesetz geschrieben, und – das an Klubobmann Wöginger gerichtet – Sie haben versucht, Ihre Haut als ÖAAB-Obmann, als Arbeitnehmer­vertre­ter zu retten, denn was dieser türkis-blaue Papiertiger am Ende des Tages gebracht hat, ist einfach gar nichts für die Leute da draußen (Zwischenruf des Abg. Lausch), die tagtäglich einfach ihrer Arbeit nachgehen, weil es keine Grundlage hat, weil wir heute Auswüchse sehen, dass Blankofreiwilligkeitserklärungen zur Unterzeichnung vorgelegt werden, dass Personen einfach gekündigt werden, wenn sie sich gegen diese – unter Anführungszeichen – „Freiwilligkeit“ verwehren, und was die Mehrheit der Opfer betrifft, wissen wir es nicht; wir werden sie wahrscheinlich nicht zu Gesicht bekommen, denn wenn ein Arbeitgeber da draußen dieses Gesetz lesen kann und auch gewillt ist, keinen Rechtsstreit einzugehen, dann wird es am Ende des Tages eine andere Be­grün­dung geben.

Ich bin am 14. Juni hier gestanden und habe Ihnen gesagt, ich kann mir vorstellen, dass man vielleicht einmal oder ein zweites Mal ablehnen kann und sich zu sagen traut: Es geht nicht, ich schaffe es heute nicht!, aber spätestens beim dritten Mal, habe ich gesagt, wird es eng sein und wird wahrscheinlich Schluss und der Job Vergangenheit sein – aber so weit ist es gar nicht gekommen. Es reicht, wie wir am Beispiel der 56-jährigen Wiener Hilfsköchin sehen, ein einmaliges Ablehnen, um den Job los zu sein. (Abg. Haubner: Stimmt! Stimmt! Das verurteilen wir auch! – Abg. Winzig: Aber wie viele Hunderttausende Unternehmer haben wir, die ehrlich sind?!) Da frage ich mich sehr wohl: Ist das das, was Sie wollen? – Und das sind keine Einzelfälle, das sind Personen, die sich schlussendlich wirklich trauen, sich zu melden.

Ich frage mich: Was kommt als Nächstes? – Sie wollen dieses Husch-Pfusch-Gesetz nicht ändern. Sie wollen nichts daran ändern. Warum, ist mir vollkommen klar: Es wäre ein Eingeständnis, dass ein Fehler passiert ist; aber auf der anderen Seite sagen Sie, dass diese systematische Schieflage, die Sie geschaffen haben und bewusst beibehalten wollen, nicht existiert. Sie sagen, das sind nur einige schwarze Schafe, und jetzt sollen die Arbeitsinspektorate diese schwarzen Schafe verfolgen. (Abg. Winzig: Das war ja vorher auch so! Das war ja vorher auch schon so!) Liebe Fraktionen der Regierungsparteien, wissen Sie, was Sie heuer, zu Beginn des Jahres, noch über die Arbeitsinspektorate gesagt haben? – Das wären jene Institutionen, die Unternehmer sinnlos drangsalieren und schikanieren würden. Also ich frage mich wirklich: Das sind jetzt Ihre Heilsbringer? Die, die Sie noch Anfang des Jahres mit Füßen getreten haben? – Ihre Politik ist wirklich derart realitätsfern. (Abg. Rosenkranz: Also das ist jetzt ein großes Wort!)

Ich verstehe nicht, wie man sich hierherstellen und davon sprechen kann, dass die Fälle der Arbeitszeitüberschreitungen abnehmen, wenn Sie auf der anderen Seite einfach den Rahmen breiter machen – natürlich wird es weniger Überschreitungen geben, und wahrscheinlich ist der nächste Schritt nicht nur die Möglichkeit, maximal 12 Stunden zu arbeiten, sondern 13 Stunden, denn wir hören von Frau Ministerin Schramböck, die Leute in Schweden sind gesünder bei 13 Stunden, aber was immer verschwiegen wird, ist, dass die wöchentliche Höchstarbeitszeit einer viel, viel engeren Beschränkung unterliegt, und das wäre auch in Österreich gut so.

Ja, es wäre eine Maßnahme der Flexibilisierung, dass man sagen kann, dass die Ar­beitszeit heruntergeschraubt wird (Abg. Haubner: ... weniger Arbeit!), wobei gleich­zeitig dann natürlich eine Flexibilisierung möglich sein kann – aber das machen wir auch nicht, nein, wir haben die 60 Stunden, und wir reizen wirklich alles aus, was auf Eu­ropa­ebene möglich ist. (Zwischenrufe der Abgeordneten Winzig und Belakowitsch.)

Am Ende des Tages stehen die Leute, die dann wirklich aus dem Arbeitsprozess herausgelöst werden, von Ihnen herausgemobbt werden, weil sie nicht bereit sind, sich dieser sogenannten Freiwilligkeit zu unterwerfen und diesem Zwang auszusetzen, der drohenden Abschaffung der Notstandshilfe gegenüber. Da sagt aktuell nur die FPÖ-Fraktion, dass sie das nicht will, aber selbst der Glaube daran ist bei mir nicht ganz so stark verhaftet, weil ich sehe, was in den letzten Monaten passiert ist, wie oft Sie die Bedingungen, die Sie im Koalitionsübereinkommen festgeschrieben haben wollten (Abg. Kitzmüller: Waren Sie dabei bei den Koalitionsverhandlungen?), mit denen Sie in den Wahlkampf gegangen sind, gebrochen haben: Ceta, 12-Stunden-Tag, kein Ausbau der direkten Demokratie (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch), und ich möchte Sie erinnern: Die Legalisierung von Sozialbetrug (Zwischenruf des Abg. Rädler), das heißt, wenn Arbeitnehmer ihre Mitarbeiter falsch oder gar nicht bei der Sozialver­sicherung anmelden, war ebenfalls von Ihnen mitgetragen und wurde erst nach heftigem Protest und nur teilweise zurückgenommen.

Ich möchte Sie ersuchen, liebe FPÖ, es gibt auch für Sie noch eine Chance: Stimmen Sie unserem heutigen Antrag zu (Abg. Belakowitsch: Na, na, bitte! – weitere Zwi­schenrufe bei der FPÖ), der den Erhalt der Notstandshilfe als Versicherungsleistung ohne Vermögenszugriff fordert, denn was Ihr Koalitionspartner versucht, ist genau das Gegenteil. (Abg. Lausch: Dem Antrag brauchen wir nicht zustimmen ...!)

Ich hatte ein persönliches Gespräch mit Ihnen, Frau Ministerin, und Sie haben mir damals zugesagt, es wird kein Hartz IV in Österreich geben. Ich frage mich, wie lange das durchzuhalten sein wird. Ich bitte Sie, stimmen Sie unserem heutigen Antrag zu! Damit können Sie Ihrer Ministerin den Rücken stärken und zeigen, dass Sie es wirklich ehrlich meinen – oder wieder umfallen und sich dem Koalitionspartner beugen. – Danke. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ. – Die Abgeordneten der Liste Pilz halten Plakate mit einer Abbildung der Filmfigur Dr. Evil, der mit seinen Händen Anführungszeichen darstellt, mit der Überschrift „Freiwilligkeit“ in die Höhe.)

13.25

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gelangt Frau Bundesminister Hartinger-Klein. – Bitte.