9.09

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Werte Kolleginnen und Kol­legen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich freue mich sehr, dass wir – endlich, möchte ich sagen – dieses Thema UN-Migrationspakt auch hier im Parlament diskutie­ren.

Ich glaube, es ist höchst an der Zeit, dass wir es als selbstbewusstes Parlament bei einer so wesentlichen Frage, nämlich bei der Frage einer internationalen, einer multila­teralen Zusammenarbeit zu einer solchen Schicksalsfrage für die gesamte Weltge­meinschaft, nicht einfach hinnehmen, dass eine Entscheidung, quasi ein Diktat der Bundesregierung, auch in Richtung Parlament, veröffentlicht wird, ohne dass hier eine breite Debatte darüber stattfindet.

Insofern freut es mich, dass auch der Herr Bundeskanzler und der Herr Vizekanzler den Weg hierher gefunden haben und dass wir das heute hoffentlich wirklich breit de­battieren werden.

Wir haben heute später auch noch eine Aktuelle Europastunde zum Thema Ratspräsi­dentschaft, und ich möchte das schon in einem Zusammenhang sehen. Die Republik Österreich, unser Land, hat im Rahmen der Ratspräsidentschaft eine Verantwortung bezüglich der Weiterentwicklung Europas, eine Verantwortung für ganz Europa über­nommen. Wir wissen, dass die Zukunft dieser Welt ganz massiv und ganz entschei­dend davon abhängen wird, ob es uns gelingt, in den wesentlichen Fragen ein hand­lungsfähiges Europa auf den Weg zu bringen, ein handlungsfähiges Europa, das auch in der Lage ist, bei diesen wesentlichen Zukunftsfragen mit einer Stimme zu sprechen.

Herr Bundeskanzler und Herr Vizekanzler, mit Ihrem einseitigen Nein zum UN-Mi­grationspakt haben Sie das konterkariert. Sie haben das in einer Weise getan, die die Ratspräsidentschaft meiner Meinung nach in kein gutes Licht rückt. Sie haben es in einer Weise getan, die eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, dieses Spre­chen mit einer Stimme, gerade auch in Angelegenheiten der Außenpolitik, konterka­riert. Und Sie haben es in einer Weise getan – und darauf komme ich noch zurück –, die meiner Meinung nach dem Populismus und dem Haschen nach dem Applaus des Stammtischs in unserem Land Vorschub leistet. (Beifall bei NEOS, SPÖ und JETZT.)

Der Migrationspakt der Vereinten Nationen ist ein erster Schritt – und ich betone, es ist ein erster Schritt –, um dieses Thema, von dem alle Menschen wissen, dass es ein Land alleine nicht lösen kann, dass es eine globale Herausforderung ist, auf interna­tionaler Ebene zu lösen.

Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler, es kann sein, dass man nicht mit allem einver­standen ist. Welche Blamage ist es aber eigentlich für das Außenministerium, welche Blamage ist es eigentlich für die Beamtinnen und Beamten, die jahrelang bei den Ver­handlungen gewesen sind, die dort gesessen sind und keine Widersprüche geäußert haben, Zustimmung signalisiert haben, wenn dann ausgerichtet wird: Nein, wir werden dem nicht beitreten, weil das alles völlig schwachsinnig ist, was da drinnen steht!? – Das ist keine verantwortungsvolle Politik und ruiniert meines Erachtens den Ruf Öster­reichs am diplomatischen Parkett wirklich massiv! (Beifall bei den NEOS, bei Abgeord­neten der SPÖ sowie der Abg. Zadić. – Zwischenruf des Abg. Wurm.)

Sie hätten jederzeit auch den Weg gehen können, Vorbehalte zu einzelnen Punkten zu formulieren. Ich würde gerne auch auf die Inhalte zu sprechen kommen, denn ich habe da so Abenteuerliches und Abstruses gelesen, vor allem in rechtsextremen Medien. Das hat dann offensichtlich auch Eingang in das Narrativ der Mainstreammedien oder auch in Begründungen dieser Bundesregierung, warum man diesem UN-Migrations­pakt nicht beitritt, gefunden; und das ist einfach haarsträubend. (Abg. Wurm: Kollegin, lesen Sie es einmal! – Ruf bei der FPÖ: ... sind haarsträubend! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Sie lassen es zu, dass Vorbehalte, Ressentiments und Falschaussa­gen – ja, es sind Falschaussagen und ehrlich gesagt auch Lügen, die da verbreitet wurden (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ) – zu diesem Migrationspakt letztlich auf einmal in der Debatte salonfähig gemacht wurden. Das ist dieses Hauses nicht würdig, das ist dieser Regierung nicht würdig, und das ist unseres Landes nicht würdig! (Beifall bei den NEOS, bei Abgeordneten der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Sie stellen damit Teile des Multilateralismus wirklich gänzlich in Frage, und, Herr Bun­deskanzler, offensichtlich tut Ihnen das ja auch weh, denn gestern habe ich Ihr Posting gesehen: Sie waren in der Schweiz und haben ein Bekenntnis zum Multilateralismus abgegeben. – Da habe ich mir gedacht: Schau, schau (Zwischenbemerkung von Bun­deskanzler Kurz), offensichtlich gibt es kritische Stimmen, die Sie immer wieder darauf hinweisen, dass es einfach ein schlechtes Symbol ist, dass sich Österreich derart, mit einer solchen Argumentation vom multilateralen Parkett zurückzieht. (Abg. Höbart: ... Australien! Es werden immer mehr!)

Ich weiß, dass es auch unter Anhängern Ihrer Partei kritische Stimmen gibt, und ich möchte Ihnen dazu kurz aus einem Brief, den Sie bekommen haben, vorlesen:

Endlich trifft die UNO zusammen, um über einen gemeinsamen, weltweiten Migrations­pakt zu verhandeln (Abg. Neubauer: Lesen Sie doch mal, was drinsteht!), bei dem Sie selber mit abgestimmt haben, um weltweit, außer Trump und Orbán, gemeinsam über das gemeinsame derzeitige Flüchtlings- und Migrationsproblem zu sprechen und zu Ergebnissen zu kommen. Und nun stellen Sie sich absolut dagegen, hören auf Ihren blauen Koalitionspartner, lassen sich von ihm einschüchtern, haben nicht den Mut, ihm zu widersprechen und Ihr eigenes Programm weiterzuverfolgen. (Ruf bei der FPÖ: Haben Sie den selber geschrieben? – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Mit diesem Ja – also mit diesem Ja zum Nein – schaden Sie nicht nur Ihrer Partei und sich selber ganz enorm, sondern Sie schaden Ihrem eigenen Vaterland, vielen Österreicherinnen und Österreichern und Menschen - - (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Werte Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP, wenn Sie sich lustig machen über einen Brief (Abg. Rädler: Das ist nicht Lustigmachen! – weitere Zwischenrufe der Abgeord­neten Lopatka, Steinacker und Wöginger), den nachweislich eine Wählerin Ihrer Fraktion geschrieben hat (Abg. Winzig: Wer lacht denn? – Abg. Rosenkranz: Woher wissen Sie das „nachweislich“?), finde ich das auch ein wenig bezeichnend. (Abg. Schwarz: Sie lesen ihn grinsend!)

Ich zitiere weiter:

... indem Sie sich an den rechten Rand mit Trump und Orbán stellen gegen 190 Staa­ten weltweit, die endlich einmal vielleicht gemeinsam ein gutes Programm für gemein­same Sorgen und Probleme finden könnten. – Zitatende. (Abg. Rädler: Strolz-Ab­klatsch! – Ruf bei der ÖVP: Der Strolz war schon besser!)

Ich habe von den roten Linien zum Populismus gesprochen, die ich für ganz notwendig erachte, insbesondere, wenn man nicht mehr – das in Richtung des Vizekanzlers – in der Opposition, sondern in der Regierung ist und Verantwortung für ein Land trägt.

Ich finde, derzeit lohnt sich ein Blick nach Deutschland wirklich: Der Kandidat für die CDU-Nachfolge von Angela Merkel, Jens Spahn, hat ja am Wochenende auch ge­meint, man könnte sich überlegen, erst später beizutreten, vielleicht noch einmal zu de­battieren. (Ruf bei der ÖVP: Die Schweiz zum Beispiel! – Zwischenruf der Abg. Stein­acker.) Unmittelbar danach ist eine eindeutige Reaktion aus seinen eigenen Reihen erfolgt, so hat beispielsweise der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, erklärt: „Die Unterzeichnung des Migrationspaktes notfalls zu verschieben, wäre eine doppelte Führungsschwäche, die sich Deutschland nicht erlauben darf.“ Der Pakt sei auch „ein enorm wichtiger erster Schritt der internationalen Gemeinschaft, Mi­gration zu steuern“.

Genau darum geht es ja: Wir wollen klare Regeln festlegen, um Migration zu steuern. – Und Sie konterkarieren das.

Oder: Der deutsche Wirtschaftsminister Altmaier – und das finde ich eigentlich noch bezeichnender – sagt: Nach einer dreistündigen Diskussion unter den Unions-Bundes­tagsabgeordneten gab es eine „breite Mehrheit, dass wir uns hier von populistischen Kräften nicht ins Bockshorn jagen lassen“. (Zwischenruf des Abg. Rädler.)

Da stellen sich für mich zwei Fragen, nämlich erstens: Wie lang haben eigentlich Sie ÖVP-Abgeordnete als selbstbewusste Parlamentarier unter sich über diesen UN-Mi­grationspakt diskutiert? (Abg. Wöginger: Das war gleich erledigt! – Zwischenrufe der Abgeordneten Steinacker und Winzig.) Haben Sie eigentlich auch innerhalb der Frak­tion eine Entscheidung getroffen? (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten von JETZT.)

Die zweite Frage, die ich mir stelle, ist: Warum übernimmt die CDU ganz offensichtlich Verantwortung für ein Land, während Sie sich wirklich vom Populismus treiben lassen und das Narrativ rechtsextremer Medien übernehmen? Das ist unhaltbar! Ich möchte nicht, dass so Politik in diesem Land gemacht wird! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und JETZT.)

Ich appelliere an Sie: Prüfen Sie den Inhalt noch einmal Punkt für Punkt (Abg. Wögin­ger: Aber die Klubsitzung dürfen wir schon noch selber machen!), formulieren Sie von mir aus da oder dort einen Vorbehalt! (Ruf bei der FPÖ: Das ist ja ... Populismus!) Ich habe auch mit dem Herrn Vizekanzler darüber gesprochen, dass ich die Punkte, die er da angeführt hat, einfach nicht sehe. Ich habe den Pakt mehrfach gelesen (Abg. Win­zig: Sinnerfassend lesen! – Abg. Wöginger: Ich habe einen Leuchtstift, sollen wir’s an­streichen?), aber diese Horrorszenarien, die da verbreitet werden, finden sich nicht.

Es ist ein erster, wichtiger Schritt, dass wir als Staatengemeinschaft sagen, wir müssen gemeinsam etwas tun (Zwischenruf des Abg. Neubauer), um die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen, also die Migrationsgründe einzudämmen; wir müssen gemeinsam legale von illegaler Migration trennen; wir müssen uns in der Staa­tengemeinschaft darüber verständigen, dass das ein wesentlicher Bereich ist, in dem wir nur auf internationalem, auf multilateralem Parkett weiterkommen.

Das verspielt die gute Rolle Österreichs als Brückenbauer, als verlässlicher Partner in einem multilateralen und internationalen Umfeld, die sich Österreich über Jahrzehnte aufgebaut hat. Ich appelliere noch einmal an Sie, und wir werden dazu heute auch einen Antrag einbringen: Treten Sie diesem Migrationspakt bei und leisten Sie nicht diesem Populismus und dem Nationalismus Vorschub! – Danke sehr. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten von SPÖ und JETZT.)

9.18

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf den Herrn Bundeskanzler und auch den Herrn Vizekanzler im Hohen Haus recht herzlich willkommen heißen und dem Herrn Bundeskanzler das Wort erteilen. – Bitte.