9.18

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Vielen Dank für die Möglichkeit, heute hier bei der Aktuellen Stunde bei Ihnen sein zu dürfen (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPÖ – Ruf bei der SPÖ: Die gibt es öfter, musst nur kommen!) und zum Thema UNO-Migrationspakt Stel­lung zu nehmen.

Ich darf vielleicht mit einer etwas allgemeineren Stellungnahme zum Thema Multilate­ralismus beginnen. (Zwischenrufe bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Was ist das für ein Tumult?)  Ich habe eigentlich noch gar nicht begonnen, es gibt also noch keinen Grund zur Aufregung. (Abg. Drozda: Wir sind nicht aufgeregt, wir freuen uns ...! – Abg. Wöginger – in Richtung SPÖ –: Der Parteitag wird schon drübergehen! – Heiterkeit des Redners sowie bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ.)

Ich darf vielleicht mit einer allgemeinen Stellungnahme zum Multilateralismus begin­nen: Da ich doch einige Jahre als Außenminister tätig sein durfte und wir uns als Repu­blik Österreich sehr stark international engagieren, möchte ich nur schnell festhalten, dass es meiner Meinung nach nicht ganz redlich ist, so zu tun, als würde man sich vom Multilateralismus verabschieden, wenn man als souveräner Staat die Möglichkeit wahrnimmt, bei einer multilateralen Entscheidung mit Ja, Nein oder Enthaltung zu stim­men. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Ich habe mich als Außenminister für zahlreiche Themenbereiche engagiert, insbeson­dere, was den Kampf gegen Atomwaffen, was internationale Abrüstung oder viele an­dere Themen betrifft. Wissen Sie, was den Multilateralismus ausmacht? – Dass man sich bemüht, seine Themen, seine Anliegen gemeinsam voranzutreiben, andere zu überzeugen, aber natürlich am Ende des Tages immer zu akzeptieren, dass es inter­national unterschiedliche Meinungen gibt.

Ich habe mich jahrelang für ein Ächten der Atomwaffen ausgesprochen. Wissen Sie, was passiert ist? – Wir haben immer mehr Staaten gefunden, die uns unterstützt ha­ben, aber die Atommächte haben sich nie breitschlagen lassen, uns zu folgen. Wäre es jetzt der richtige Ansatz, so zu tun, als hätten diese all ihr Kapital verspielt, als würden sie keine multilaterale Zusammenarbeit wollen? Nein, natürlich nicht, sondern sie ha­ben schlicht und ergreifend in dieser Sachfrage, nicht überraschend, eine andere Mei­nung.

Multilateralismus macht nicht aus, dass alle einer Meinung sind, sondern Multilatera­lismus macht aus, dass man diskutiert (Abg. Schieder: Was ist denn das jetzt für eine triviale ...? Abg. Meinl-Reisinger: Sechs Jahre lang verhandelt!), dass man versucht, sich gegenseitig zu überzeugen, dass man Kompromisse sucht und dass am Ende jeder Staat entscheidet, wie er bei der UNO abstimmt. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Jetzt, sehr geehrte Damen und Herren, zum konkreten Fall des Migrationspakts: Was mich ein bisschen stört, ist die Aufregungskultur, die wir im 21. Jahrhundert anschei­nend haben (Oh-Rufe bei der SPÖ), auf der einen Seite so zu tun, als würde die Welt untergehen, wenn es zu etwas eine Zustimmung gäbe, obwohl die Welt dann auch noch bestehen würde, und auf der anderen Seite so zu tun, als würde eine Enthaltung dazu führen, dass Österreich sein Image in der Welt verliert. Ich möchte Ihnen nur sa­gen, wenn Sie stets den Versuch unternehmen, so zu tun, als wären wir da mit Staaten beisammen, mit denen man nicht in einem Boot sitzen möchte, als wäre es undenkbar, da dagegenzustimmen (Abg. Schieder: AfD!): Ich glaube, es sollte für Sie nicht der Grund sein, dafür zu sein, nur weil Sie nicht mit den Amerikanern oder den Ungarn in einem Boot sitzen wollen in einer einzelnen Sachfrage! (Abg. Meinl-Reisinger: Ich habe auch den Inhalt gelesen, Herr Bundeskanzler!) , sondern Sie sollten sich auch der Realität stellen, dass viele Staaten, die Sie hoffentlich nicht herabwürdigen, da ge­nau so abstimmen wie wir: Israel, Australien, die USA und auch andere, europäische Staaten, sogar in unserer eigenen Nachbarschaft, gehen da einen ähnlichen Weg. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Alle, die sagen, dass dieses Dokument nicht rechtsverbindlich ist, haben vollkommen recht. (Abg. Meinl-Reisinger: Habe ich nicht gesagt! Falsche Rede!) Natürlich ist es nicht verbindlich, aber es ist eine Selbstverpflichtung. (Ui-Rufe bei der SPÖ.) Es kommt in diesem Dokument 80 Mal allein das Wort Verpflichtung vor. (Abg. Schieder: Hat das der Taschner ausgerechnet? Abg. Meinl-Reisinger: Reden Sie über den Inhalt!) Ich glaube, es ist durchaus legitim, den Ansatz zu wählen, dass man sagt, man möchte eine Selbstverpflichtung nur eingehen, wenn man es auch wirklich ernst damit meint. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. Abg. Meinl-Reisinger: Ich habe nichts zum Thema Selbstverpflichtung gesagt! Abg. Gudenus: Das ist doch egal, was Sie gesagt ha­ben, oder?)

Ich kann Ihnen nur sagen: Ich respektiere alle Staaten, die zustimmen, ich respektiere auch die Staaten, die dagegenstimmen, und ich bitte Sie, zu respektieren, dass wir uns enthalten. Ich glaube, dass es unterschiedliche Zugänge gibt, wie ernst man eine Selbstverpflichtung nimmt. Ich gebe Ihnen heute die Garantie, dass viele der Staaten, die jetzt sang- und klanglos zustimmen und sich damit diesem Dokument verpflichten, viele der angeführten Punkte nicht umsetzen wollen und auch nicht umsetzen werden. Treffen wir uns in drei Jahren hier wieder (Abg. Leichtfried: Was, in drei Jahren kom­men Sie erst wieder?) und machen wir eine Bestandsaufnahme, wie viele Staaten den Inhalt des Dokuments ehrlich umgesetzt haben! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Es hat in der medialen Debatte viele Argumente gegeben, die ich nachvollziehen kann. Es hat zu diesem Migrationspakt auch viele Argumente gegeben, die ich nicht teile. Ich möchte ein Argument herausgreifen, das mir besonders wesentlich erscheint: Ich habe mich, seit ich Staatssekretär für Integration war, immer dafür eingesetzt, dass wir eine klare Trennung zwischen Suche nach Schutz und Arbeitsmigration machen. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass wir Migration und Asyl nicht vermischen. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass wir im Fall der Migration selbst entscheiden müs­sen, wen wir wollen, wen wir als Republik brauchen (Zwischenruf des Abg. Loacker), und dass die Suche nach Schutz etwas vollkommen anderes ist.

Die Vermischung hat uns niemals gutgetan. Schon im Jahr 2015 sind nicht nur Kriegs­flüchtlinge zu uns gekommen, sondern viele sind eigentlich unter dem Vorwand des Asyls nach Österreich gekommen, um hier ein besseres Leben zu suchen – mensch­lich vollkommen verständlich, für unsere Systeme, für unsere Asylentscheidungen, für die Integrationsnotwendigkeit eine große Herausforderung.

Der Grund dafür, dass ich diesen Pakt kritisch sehe neben positiven Aspekten, die er auch beinhaltet –, ist die Vermischung von Suche nach Schutz und Arbeitsmigration (Beifall bei ÖVP und FPÖ), ist die Schaffung eines neuen Begriffs der Migration, des Migranten (Ruf bei der SPÖ: Sehr neu!) und einer sehr ungenauen rechtlichen Abgren­zung zwischen zwei ganz anders lautenden und eigentlich unterschiedlichen Berei­chen. (Abg. Höbart: Das würde der SPÖ sehr gefallen! Weiterer Ruf bei der FPÖ: Scheunentore öffnen!)

Ich sage Ihnen etwas zur Migrationsfrage: Ich habe es schon oft erlebt, am Anfang in der Minderheit gewesen zu sein und am Ende doch eigentlich Recht behalten zu ha­ben. (Abg. Meinl-Reisinger: Sie sind nicht in der Minderheit! Sie haben die Mehrheit!) All die Positionen, die wir im Jahr 2015 artikuliert haben, haben sich heute auf europäi­scher Ebene durchgesetzt. Damals bin ich dafür noch geächtet worden.

In der Frage der Migration – glauben Sie mir! werden wir am Ende nur erfolgreich sein, wenn wir zwischen der Suche nach Schutz und der Suche nach Arbeit unter­scheiden. (Abg. Meinl-Reisinger: Ein schönes Märchen! Da steht das drinnen! Lesen Sie den Pakt!) Alles andere mag gut klingen, die Richtung ist aber eine falsche. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Ich bitte Sie daher, zu respektieren, dass jeder Staat für sich sein souveränes Recht wahrnimmt, zu entscheiden, wie er abstimmt. Wir werden uns als Republik Österreich bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten und somit nicht sagen, dass wir alles an diesem Pakt schlecht finden, denn es gibt positive Aspekte, aber festhalten, dass wir uns nicht zu etwas verpflichten, was wir nicht zu hundert Prozent als richtig empfinden. Ich bitte Sie schon um Verständnis, dass wir damit nicht alleine sind: Auch Israel, Aus­tralien, andere, europäische Staaten, Staaten in unserer Nachbarschaft, über Partei­grenzen hinweg, werden ähnlich vorgehen.

Gerade an die NEOS gerichtet: Sie empören sich fürchterlich über das Abstimmungs­verhalten Österreichs und reden nicht darüber (Abg. Meinl-Reisinger: Doch! Keine Sorge!), dass auch Mitglieder Ihrer eigenen Fraktion, zum Beispiel der tschechische Premier Babiš, da eine ganz andere Haltung einnehmen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. Abg. Meinl-Reisinger: Im Gegensatz zu Ihnen sage ich was zu Babiš! Und Sie sagen nichts zu Orbán!)

Wenn der Entschluss der österreichischen Bundesregierung etwas so Furchtbares ist, dann frage ich mich schon, wie Sie mit Premierminister Babiš und seiner Partei auf europäischer Ebene in einer Fraktion sein können und ob es nicht besser wäre, wenn er Ihre Fraktion verlässt. (Abg. Meinl-Reisinger: Ich bin nicht seiner Meinung und ha­be das mehrfach gesagt! Und was sagen Sie zu Orbán? Abg. Scherak: Der wäre eh besser bei Ihnen aufgehoben! Abg. Meinl-Reisinger: Machen Sie ihm ein Angebot!) Insofern würde ich Sie bitten, da nicht mit unterschiedlichen Maßstäben zu messen. Respektieren Sie bitte die souveräne Entscheidung eines jeden Landes! (Abg. Meinl-Reisinger: Sie werfen mir mangelnden Respekt vor?)

Man kann alles diskutieren. (Abg. Meinl-Reisinger: Sie werfen mir mangelnden Re­spekt vor?) Ich glaube, es braucht weder auf der einen noch auf der anderen Seite Pa­nikmache. Es ist in Ordnung, eine Entscheidung zu treffen, und es ist nicht die Abkehr vom Multilateralismus, nur weil die NEOS eine andere Position haben als wir. – Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

9.28

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir steigen in die Diskussion ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Himmelbauer. Ab sofort: 5 Minuten Redezeit. – Bitte.