10.45

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Minister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben es heute mehrmals gehört: „Ein Europa, das schützt“! – Das war oder ist noch immer der klingende Titel der österreichischen Ratspräsident­schaft.

Nun gut, stellen wir einmal die These auf, dass dieser programmatische Titel richtig oder gut gewählt wäre. (Abg. Steger: Das können Sie ruhig zugeben!) Dann stellt sich die Frage: Wen wollten oder wollen Sie schützen? – Die fleißigen Unternehmerinnen und Unternehmer in Europa vor der Steuerflucht großer multinationaler, internationaler Unternehmen? Die Bauern in Europa, in Österreich vor ihren verdorrten Feldern beziehungsweise großen Überflutungen infolge der Auswirkungen des Klimawandels? Die Jugend in unserem Land vor den prekären Arbeitssituationen und unsicheren Be­dingungen? Die arbeitenden Menschen in Europa vor mehr Druck und schlechteren Lebenshaltungskosten? Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen haben Sie hier in den letzten fünfeinhalb Monaten vorangetrieben?

Sie haben es angesprochen, Herr Bundeskanzler, Sie haben versprochen, dass die Sicherung des Wohlstands durch Digitalisierung ein Schwerpunkt Ihrer Politik ist und weiterhin sein wird. Die Ergebnisse, die wir hier sehen, sind wenige bis keine. (Abg. Steger: Warum? Zum Beispiel?) Sie haben auch versprochen – und auch das haben Sie gesagt –, die Migration in den Mittelpunkt Ihrer Ratspräsidentschaft zu stellen. Die Frage ist: Was ist Ihnen hier konkret gelungen? – Bei der Hilfe vor Ort, bei der Be­kämpfung der Fluchtursachen und auch bei den Rückführungsabkommen gibt es aus unserer Sicht keinen wesentlichen Fortschritt, ganz im Gegenteil. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von JETZT.)

Die Mittel, die für eine nachhaltige und effektive Hilfe vor Ort notwendig wären, wurden von Ihnen im Vorfeld gekürzt – wohl auch nicht das Vorbild, das von einer Ratspräsi­dentschaft ausgehen sollte. (Abg. Wöginger: Jessas na!) Den UN-Migrationspakt, einen ersten internationalen Versuch, das Problem der Migration gemeinsam zu lösen, haben Sie nicht unterzeichnet. (Ruf bei der FPÖ: Das war gut so!) Bei der Kontrolle der Außengrenzen haben Sie nichts erreicht, versprochen wurden zusätzliche 10 000 Grenzschutzbeamte, die, wie wir in den letzten Tagen hören, erst 2027 kom­men, sieben Jahre später als geplant. Bei all dem kommt wirklich der Gedanke auf: Noch nie hat eine Bundesregierung so viel versprochen und so wenig gehalten! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von JETZT. – Abg. Neubauer: ... mutig! So ein Blödsinn!)

Auch in der Sozialpolitik ist nicht sehr viel geschehen. Sie haben vor einigen Monaten einen Sozialministerrat abgesagt, übrigens ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Ratspräsidentschaften. Sie haben keine substanziellen sozialpolitischen Maßnah­men gesetzt, Sie haben nichts getan, um die Arbeitsbedingungen der Menschen in Eu­ropa, in Österreich zu verbessern. (Abg. Winzig: In Österreich sind sie eh gut! ... Un­terstellung!)

Die Spekulationssteuer auf Finanztransaktionen wurde unter Ihrer Ratspräsidentschaft entgegen den Bemühungen sämtlicher ÖVP-Finanzminister in der Vergangenheit ein­fach abgesagt. Die Digitalisierungssteuer wurde groß angekündigt und nicht umge­setzt. Das heißt, große multinationale Unternehmen kommen einfach weiter damit durch, keine beziehungsweise minimale Steuern zu zahlen, während jeder Arbeitneh­mer, jede Arbeitnehmerin in Österreich monatlich ihre Einkommenssteuer von ihrem Lohn zahlt. Natürlich werden auch die kleinen Unternehmen in Österreich voll besteu­ert, nicht aber die großen, die jährliche Milliardenumsätze machen.

Welche Maßnahmen haben Sie im Bereich des Lohn- und Sozialdumpings gesetzt? – Auch da haben Sie keine gesetzt.

Nach all dieser Auflistung daher nochmals die Frage: Wen wollten Sie eigentlich schüt­zen und was haben Sie damit erreicht? Es wird Sie nicht verwundern, dass unsere Bilanz eine gänzlich andere ist, sie ist signifikant anders als die, die wir soeben von Bundeskanzler und Vizekanzler gehört haben. Sie haben nichts dafür getan, dass Europa in den zentralen Fragen vorankommt. FPÖ-Staatssekretär Fuchs hat gestern in einer Debatte zum Thema Mieten und Wohnen hier im Hohen Haus versucht, sehr of­fen zu erklären, warum auf europäischer Ebene alles so schwierig ist, warum alles ein bisschen langwierig und daher fast unmöglich ist. Meiner Ansicht nach hat er damit eigentlich mit entwaffnender Offenheit eines beschrieben: nichts tun. Ja, es ist alles ein bisschen mühsam, man hat keine Durchsetzungskraft auf europäischer Ebene. (Abg. Ro­senkranz: Im Gegensatz zur SPÖ! – Zwischenruf des Abg. Hauser.)

Na ja, die FPÖ und Europa – das ist überhaupt ein eigenes Kapitel, wie wir alle aus der Vergangenheit und auch aus den letzten Monaten wissen. (Abg. Rosenkranz: Auf Sie warten sie auch in Brüssel!) – Herr Rosenkranz, ich glaube, Sie haben heute noch Ihre Redezeit. (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie der Abg. Zadić.)

In der Regierung angekommen hat die FPÖ offenbar plötzlich jeglicher Mut verlassen. Der FPÖ-Innenminister erklärt, warum es noch sieben Jahre dauert, bis wir zusätzli­chen Grenzschutz in Europa bekommen (Zwischenruf des Abg. Hauser), obwohl er es jetzt im Rahmen des Ratsvorsitzes in der Hand gehabt hätte. Manche werden sagen, die FPÖ ist endlich in der Realität angekommen (Abg. Wöginger: Die SPÖ leider noch nicht!), andere würden sagen, sie ist im Liegen umgefallen und gibt auch in der Euro­papolitik den Steigbügelhalter für die ÖVP. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Noll. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Ein Europa, das schützt: Wissen Sie, sehr geehrte Bundesregierung, wovor Europa wirklich Schutz braucht? – Vor Ihren leeren Versprechungen, sehr geehrte Herren Bun­deskanzler und Vizekanzler. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Noll und Rossmann.) Europa und Österreich brauchen Schutz vor türkiser Tatenlosigkeit und freiheitlicher Mutlosigkeit.

Ich sage Ihnen, was man von Ihnen erwartet hätte (Abg. Wöginger: Da war der Kern schon besser!), nämlich dass Sie ehrlich sind, das Machbare in den Vordergrund stellen und dass Sie sich dafür auch unermüdlich einsetzen – nicht so wie Ihr Kollege, der gestern hier von der Regierungsbank aus erklärt hat, dass alles so kompliziert ist und was alles auf europäischer Ebene nicht geht.

Kein einziger EU-Mitgliedstaat kann alleine alles verändern, das ist uns völlig klar (Abg. Wöginger: Holt den Kern zurück!), aber man muss sich dafür einsetzen, man muss dafür arbeiten, man muss dafür verhandeln und nicht nur ankündigen. Genau darum geht es: einfach tun! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Europa zu schützen, heißt aus unserer Sicht, den Wohlstand zu ermöglichen, heißt, die Ängste zu nehmen, heißt, für Sicherheit zu sorgen, heißt, für Zuversicht zu werben und heißt, für Gerechtigkeit einzutreten. Europa zu schützen, heißt, sich für das gemeinsa­me Europa einzusetzen und für ein Europa, das die Menschen stolz darauf macht, was sie in den letzten Jahren, in den letzten Jahrzehnten erreicht haben. (Abg. Wöginger: Im Pensionistenverband ...!) Es heißt, sich für ein Europa einzusetzen, das der Welt ein Vorbild ist, und für ein Europa, dem die Menschen am Ende des Tages vertrauen, denn nur ein starkes Europa kann seine Menschen auch schützen. Sie hatten die Chance im Rahmen der EU-Präsidentschaft der letzten Monate (Abg. Hauser: Und wir haben sie genützt!), und Sie haben diese Chance nicht genützt! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić. – Abg. Wöginger: Jessas na!)

10.54

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Lopatka. – Bitte. (Abg. Wöginger: Holt den Kern zurück! – Ruf bei der ÖVP: Die Opposition ist entsetzt! – Abg. Greiner: Tut einmal zuhören lernen! – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.)