12.07

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (JETZT): Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler – nicht mehr da! Herr Vizekanzler – auch nicht mehr da! Werte Kolleginnen und Kollegen, ich habe diese Begrüßung ganz bewusst gewählt. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) – Wir haben Herrn Kurz heute nicht ins Parlament eingeladen! Das war keine Einladung des Nationalrates: Bitte schön, geben Sie uns eine Erklärung ab, was ihr dieses halbe Jahr Ratsvorsitz getan oder verschlafen habt! (Abg. Neubauer: Was haben denn Sie ge­macht?) Das war eine Selbsteinladung des Bundeskanzlers. Geschäftsordnungskon­form hat sich der Bundeskanzler selbst eingeladen, weil er das dringende Bedürfnis verspürt hat, uns seine Europapolitik zu erklären – und dann hat er das dringende Be­dürfnis verspürt, während der Debatte bereits wieder den Nationalrat zu verlassen. (Abg. Haider: Das habe ich auch, wenn ich Ihnen zuhöre! Das Bedürfnis habe ich auch, wenn ich Ihnen zuhöre!)

Das ist eine außerordentliche Respektlosigkeit! (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Wenn man sich schon selbst in den Nationalrat einlädt, dann hat man auch an der Debatte teilzunehmen! Das gilt für den Bundeskanzler und das gilt auch für den Vizekanzler. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.) Ich halte überhaupt nichts davon, diesen respektlosen Umgang mit dem Parlament und damit auch mit den Wählerinnen und Wählern einfach so kommentarlos hinzunehmen. (Abg. Winzig: Der ist am Weg nach Brüssel, Herr Pilz!)

So, und jetzt versuchen wir heute das erste Mal etwas Gemeinsames. Versuchen wir, uns gemeinsam zu erinnern: Was hat uns der Bundeskanzler heute gesagt, außer dass alles super war? Was hat er uns gesagt? – Und wenn Sie jetzt ganz ehrlich sind, auch meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen von FPÖ und ÖVP (Abg. Winzig: Reden Sie uns lieber nicht an!), Sie werden sich an nichts erinnern können (Geh-Rufe bei der FPÖ), weil es nichts Bemerkenswertes in dieser Rede gegeben hat, außer: Wir waren super! Das wissen eh alle. (Zwischenruf der Abg. Steger.)

Der entscheidende Punkt ist, und darüber sollten wir ernsthaft reden: Am Beginn dieser Ratspräsidentschaft gab es fünf große Fragen, die Europa gemeinsam beantworten sollte oder an denen es gemeinsam scheitern würde – und am Ende der österreichi­schen Ratspräsidentschaft sind alle diese fünf Fragen nach wie vor unbeantwortet.

Die erste Frage lautet: Findet Europa eine gemeinsame Antwort auf die Klimakrise? Es hat dazu nicht einmal einen österreichischen Antwortversuch gegeben; das ist außer­gewöhnlich. Ganz Europa wartet auf eine Initiative, und diese Initiative hätte von der Ratspräsidentschaft kommen müssen. Sie ist nicht gekommen. Das ist ein außeror­dentliches politisches Versagen und eine außerordentliche politische Verantwortungs­losigkeit. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Die zweite Frage hat gelautet: Kann Europa der nächsten Finanzkrise vorbeugen? Wir wissen – und das ist kein Geheimwissen einzelner hochspezialisierter Ökonominnen und Ökonomen –, dass die nächste Finanzkrise immer wahrscheinlicher wird, weil es nach wie vor unkontrollierten und explodierenden Handel mit äußerst gefährlichen Fi­nanzprodukten ohne jede Aufsicht und ohne jeden Widerstand nationaler Regierungen gibt. So, die einzige mögliche Antwort hätte gelautet: sofortige Einführung der Finanz­transaktionssteuer!, und die begleitende Antwort hätte lauten müssen: zumindest euro­paweites Verbot des Handels mit den gefährlichsten Finanzprodukten! – Nichts davon ist passiert! Unter der österreichischen Ratspräsidentschaft ist das Projekt, die große Idee der Finanztransaktionssteuer begraben worden. Damit ist der Weg in die nächste Finanzkrise frei. Das ist die zweite große Verantwortungslosigkeit der österreichischen Ratspräsidentschaft. (Beifall bei JETZT.)

Die dritte Frage: Findet Europa einen gemeinsamen Weg der Digitalisierung? Einge­klemmt zwischen den klaren Digitalisierungskonzepten Chinas und Nordamerikas gibt es keine europäische Antwort, auch keine österreichische. Es gibt kein europäisches Konzept der humanen Digitalisierung. Es gibt nichts! Hat es irgendeine Initiative der ös­terreichischen Ratspräsidentschaft gegeben? – Nein, nichts, überhaupt nichts! Das ist die dritte große Verantwortungslosigkeit der österreichischen Ratspräsidentschaft.

Die vierte Frage lautet: Wird die Europäische Union eine Sozialunion? Und: Ist der ers­te Schritt die Einführung einer gemeinsamen europäischen Arbeitslosenversicherung? Es hat keine Initiative gegeben, keine öffentliche Überlegung, nicht einmal einen Aufruf vonseiten der österreichischen Präsidentschaft, nichts! Und das ist die vierte und für die Menschen besonders nachteilige Verantwortungslosigkeit der österreichischen Ratspräsidentschaft. (Beifall bei JETZT. – Abg. Hauser: Sollen wir die Arbeitslosen in den anderen Ländern finanzieren?)

Und die fünfte große Frage lautet: Kann Europa eine gemeinsame Antwort auf das große Problem der globalen Wanderungsbewegungen und der Einwanderung finden? (Abg. Jenewein: Nur der Peter Pilz kann es!) Dazu ist nur eines festzuhalten: Frontex, die gemeinsame Sicherung der Außengrenzen, ist unter dieser Ratspräsidentschaft für mindestens ein Jahrzehnt begraben worden. Weil sich Staaten wie Österreich und Re­gierungen wie Kurz/Strache nicht an der Finanzierung der gemeinsamen Außenkon­trollen Europas beteiligen wollen, wird es diese Kontrollen nicht geben. Und dann wer­den die gleichen Herrschaften, insbesondere von der Freiheitlichen Partei, aufstehen und sagen: Es gibt unkontrollierte Einwanderung! – Ja, weil es keine europäische Ini­tiative zur Kontrolle dieser Wanderungsströme gegeben hat. Das ist Ihre fünfte große Verantwortungslosigkeit.

Ich sage Ihnen noch eine Zahl, da der Kanzler immer aufsteht und sagt: Wir müssen vor Ort helfen, wir helfen vor Ort!, ich habe gerade im Internet nachgeschaut, wie viel Österreich heuer dem World Food Programme zur Verfügung gestellt hat – schauen Sie auch selber nach! –: 603 865 Euro. (Abg. Hauser: Pfoa!) Das ist der österreichi­sche Beitrag zum Welternährungsprogramm. Wir sind derzeit auf Platz 43, hinter einer ganzen Reihe afrikanischer Staaten, die weit mehr helfen als wir. Island zahlt das Dop­pelte von Österreich, stellen Sie sich das einmal vor! So schaut’s aus!

Da kommt jetzt etwas dazu, und das nennt sich Fake: die Hilfe vor Ort, die Hilfe für die Betroffenen, das Verhindern des Abbaus von Druck, der zu Massenauswanderung und Masseneinwanderung führt. Das sind globale Hütchenspiele der österreichischen Rats­präsidentschaft, das ist Schwindel, das ist Fake. Das ist nicht nur verantwortungslos, sondern das ist eine bewusste Täuschung der österreichischen Bevölkerung und der europäischen Öffentlichkeit. Das ist weit mehr als Verantwortungslosigkeit; das, was hier passiert, ist politisch nicht tragbar und menschlich eine Schande! (Beifall bei JETZT.)

Sie lassen damit nicht nur die Menschen aus den Fluchtländern im Stich, sondern Sie lassen auch die Menschen in Österreich und Europa im Stich, die dann mit den Folgen einer unkontrollierten Einwanderungspolitik konfrontiert sind.

Der Bundeskanzler hat nichts zu den großen Fragen gesagt. Der Vizekanzler war viel konkreter. Ich nehme aus seiner Rede zwei große erfolgreiche freiheitliche Initiativen mit: Zum Ersten hat er gesagt, dass es ein sehr erfolgreiches gemeinsames Essen der Sportdirektoren der Europäischen Union gegeben hat (Abg. Hauser: Jetzt wird es wie­der runtergedodelt!), und er hat dankenswerterweise hinzugefügt, dass es in einem sehr schönen Ambiente war. (Abg. Jenewein: Sicher schöner als im Goethehof! – Zwischenruf des Abg. Deimek.) Toll, geschafft, dank Strache war es ein gelungenes Sportdirektorenessen.

Und er hat gesagt, dass Europa auf Druck der Freiheitlichen Partei Fortschritte beim in­telligenten Fahrtenschreiber macht – beim intelligenten Fahrtenschreiber! Natürlich, da braucht es die Freiheitliche Partei in der Bundesregierung, damit der intelligente Fahr­tenschreiber noch ein bisschen intelligenter wird.

Wissen Sie, wir brauchen eine europäische Politik, eine gemeinsame europäische Poli­tik, gerade betreffend Einwanderung, gerade betreffend Sicherheitspolitik, gerade be­treffend die Umverteilung von oben nach unten, gerade betreffend Klimaschutz, gerade betreffend die Demokratisierung Europas, damit die Menschen endlich das Gefühl haben, das ist ein gemeinsames Europa, das auch gemeinsam gestaltet und bestimmt wird. Wenn man ein Europa, das schützt, ernst nimmt, dann müsste das auch ein Eu­ropa sein, das vor einer derartigen Europapolitik schützt. – Danke. (Beifall bei JETZT. – Abg. Jenewein: Schöne Weihnachten!)

12.17

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Reinhard Eugen Bösch. – Bitte.