15.00

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Schauen wir einmal, ob das da hält (eine Tafel, auf der ein kleiner Bub zu sehen sowie die Aufschrift „Unsere Kinder: 12,5 % der Bevölkerung, 100 % unserer Zukunft!“ zu lesen ist, auf das Rednerpult stel­lend). Da ist sogar eine Kerbe, das ist ja wunderbar, es hält!

Ja, es geht um 14 Prozent der österreichischen Bevölkerung. Ich muss mich ein biss­chen korrigieren, denn es sind nicht die Kinder, sondern die Schülerinnen und Schüler, die genau 14,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung (Ruf bei der FPÖ: 12,5 steht da drauf!), aber 100 Prozent der Zukunft ausmachen. (Ruf bei der FPÖ: 12,5!) Ich glaube, ich kann einige davon auch heute hier auf der Galerie begrüßen: Herzlich will­kommen im österreichischen Parlament! Es freut mich, dass ihr da seid!

Das, was Sie hier heute vorgelegt haben – auch mit diesem Pädagogikpaket –, ist ein­fach zu wenig. Das ist nicht der Schritt in die richtige Richtung. Es ist kein Schritt nach vorne, sondern es ist ein Rückschritt, und das ist mehr als bedauerlich. (Beifall bei den NEOS. – Zwischenruf des Abg. Wöginger.)

Unsere Schulen haben eine wertvolle Aufgabe – die entscheidende Aufgabe für die Zu­kunft –, nämlich einen Beitrag dazu zu leisten, dass die jungen Menschen – die Zukunft von morgen – in der Lage sind, ihr Leben selbstbestimmt und frei in die Hand zu neh­men, kritisch zu denken, ein Leben so, wie man es sich vorstellt, auch leben zu kön­nen, entsprechend an der Gesellschaft, an der Erwerbsarbeit und auch am politischen Geschehen teilzuhaben.

Das ist sozusagen eine umfassende Bildungsaufgabe. Das ist auch unser umfassen­der Bildungsbegriff, der – das möchte ich schon sagen – weit mehr ist als ein Ausbil­dungsbegriff, über den wir ohnehin auch reden müssen. Die Bildung ist mehr als Aus­bildung, und das ist natürlich das, was Schulen leisten müssen. Bildung ist und bleibt nun einmal der Schlüssel zu so vielen Themen. Deshalb – um nun kurz eine Diskus­sion von vorhin wieder aufzugreifen –: Sie können nicht einfach nur eine Kopftuchde­batte führen, sondern Sie müssen eine umfassende Integrations- und Bildungsdebatte führen, wenn Sie es ernst meinen und nicht nur Showpolitik betreiben, weil natürlich auch Bildung der Schlüssel zu einer gelingenden Integration ist. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Kuntzl.)

Sie haben es als polemisch bezeichnet, als wir gesagt haben, die Bundesregierung würde abgehängte Generationen schaffen. Nun, erweitern wir den Begriff und sagen wir: Die Politik in Österreich tut das, vielleicht nicht nur jene des letzten Jahres – wie Sie wissen, gibt es ja unsere Kritik schon länger –, sondern jene der letzten Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte, nämlich der jahrzehntelange ideologisch motivierte Stel­lungskrieg in Österreich, vornehmlich zwischen ÖVP und SPÖ, hinsichtlich der Frage, was gut in unseren Schulen ist.

Diesen Generationen schlagen Sie die Tür vor der Nase zu. Sie produzieren sehr wohl abgehängte Generationen. Das zeigen auch die Zahlen, die mir große Sorgen machen. Seitdem es NEOS gibt, sagen wir – in diesem Sinne möchte ich wirklich sagen, dass ich sehr gerne meinen Vorgänger Matthias Strolz nachahme –: Es gibt kein wichtigeres Thema als dieses Thema, jedem Kind die Flügel zu heben, weil das die entscheidende Zukunftsfrage ist. (Beifall bei den NEOS.)

Wenn man auf die Zahlen schaut: 2006 wurde die Lesekompetenz im Bereich Volks­schulen getestet, 2016 war sie nicht besser. Es hat sich also nichts verbessert, die Le­sekompetenz ist auf dem gleichen niedrigen Niveau. (Abg. Hauser: Ja, wer war da zuständig?!) In Österreich fällt rund jeder sechste Volksschüler (Ruf bei der ÖVP: Wer war da Unterrichtsminister?) – das sind 16 Prozent – in die Gruppe der Risikoschüler, die maximal einfache Leseaufgaben lösen können. Außerdem – das ist dann natürlich schon ein katastrophales Armutszeugnis, wenn uns wirklich alle Kinder etwas wert sind – erreicht knapp ein Viertel der Schülerinnen und Schüler am Ende der 8. Schul­stufe die Bildungsstandards nur teilweise oder gänzlich nicht.

Das sind abgehängte Generationen. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, machen es sich einfach zu leicht, wenn Sie sich – insbesondere als ÖVP – hierher­stellen und sagen: Wer war denn dafür verantwortlich? – Das ist billig, das ist pole­misch und das ist vor allem nicht lösungsorientiert. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Kuntzl. – Abg. Hauser: Aber das ist die Wahrheit!)

Ich bin ja auch bereit zu sagen: Geben wir Ihnen eine Chance – eine neue Regierung: neue Besen kehren gut –, präsentieren Sie uns hier wirklich einen innovativen Schritt nach vorn! (Zwischenruf bei der FPÖ.) – Was aber haben wir heute hier am Tisch? – Ein Pädagogikpaket, das nichts, aber auch gar nichts in diesen Bereichen nach vorne bringen wird, das keine Innovationen, keine Ansätze von Expertenwissen enthält, das keinen Blick nach außen über den Tellerrand in andere Länder Europas oder der Welt wagt, um sich wirklich anzuschauen, was denn die besten Beispiele sind, wie wir es wirklich sozusagen über alle Kinder hinweg schaffen können, dass die Schule der Ort wird, wo die Kinder zu selbstbestimmten Menschen werden können, die auch bereit und in der Lage dazu sind, in einer digitalisierten Welt ihre Schritte zu gehen. Davon ist nichts zu sehen. Es ist ein einziger Stillstand, und es ist sogar mehr als das: Es ist ein Rückschritt.

Mit diesen Sorgen bin ich nicht allein, Herr Bundesminister, das wissen Sie. Ich lese Ih­nen vor, was der Professor vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck, Michael Schratz, in einem Interview gesagt hat: „Wir haben Rückschritte in bestimmten Bereichen. Stichwort Ziffernnoten, an deren Alternativen die Volksschulen lange gearbeitet haben.“

Der Bildungsforscher Stefan Hopmann von der Universität Wien sagt zum Pädagogik­paket: „Die Rückkehr in die ‚gute alte Zeit‘ soll aktuelle Probleme lösen. [...] Es wird vorgetäuscht, dass Leistung objektiv messbar ist. Das ist empirischer Quatsch. Leis­tungsdruck führt nicht zu mehr Leistung. Die Forschung zeigt, dass Sitzenbleiben in den meisten Fällen der Anfang vom Scheitern von Schulkarrieren ist. Alle diese Maß­nahmen machen die Schwachen nur schwächer.“

Sie können das natürlich vom Tisch wischen und sagen – ich höre das ja oft und werde es wahrscheinlich wieder hören –: Das sind ja alles nur Linke, denen muss man nicht zuhören, wir wissen es besser! – Ich frage Sie ernsthaft: Glaubt irgendjemand in Ihren Reihen, dass die Frage von Ziffernnoten in der Volksschule tatsächlich ausschlagge­bend für die Frage einer Leistungsgerechtigkeit ist? (Abg. Wöginger: Na sicher!)

Ich habe eine Tochter in der vierten Klasse Volksschule, und ich kann mir nicht vorstel­len, dass eine Schularbeit in einem Semester tatsächlich Ausdruck dessen ist (Zwi­schenruf bei der FPÖ), dass man wirklich Leistungsgerechtigkeit herstellt. (Zwischenruf des Abg. Rädler. – Abg. Wöginger: Das ist ja nicht nur die Schularbeit!) Verzeihen Sie, aber das ist wirklich zu knapp gedacht. (Weitere Zwischenrufe der Abgeordneten Wöginger und Haider.) Das ist verkürzt gedacht und widerspricht allem, was Exper­tinnen und Experten in den letzten Jahren gesagt haben. (Beifall bei NEOS und JETZT. – Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Uns zu unterstellen – da sind wir als NEOS wirklich die Letzten –, dass wir keine Leis­tungsgerechtigkeit wollen, ist wirklich nur blödsinnig. (Abg. Wöginger: Dann unterstel­len Sie uns das auch nicht!) Glauben Sie wirklich, dass Sie mit diesen Vorschlägen – Ziffernnoten und Sitzenbleiben in der Volksschule – beispielsweise das Thema Begab­tenförderung nach vorne bringen (Zwischenruf bei der FPÖ), dass Sie wirklich Talente dort abholen, wo sie sind?

Ich bin ja sehr dafür, dass wir schauen, was die Leistungen von Schülerinnen und Schülern sind (Abg. Wöginger: Ja, dann haben wir lauter Deppen oder was?), aber dann machen Sie mutige Schritte nach vorne! Schauen wir, dass der Kindergarten Teil des Bildungssystems wird, dass wir nicht anhand eines konkreten Tages im ersten Semester der vierten Klasse Volksschule einen Messpunkt festsetzen und bei neun­jährigen Kindern sagen, dieser zählt! Verzeihen Sie bitte, aber das ist einfach blöd­sinnig. (Abg. Deimek: ... das ganze Jahr!) Wenn Sie über den Tellerrand hinaus in an­dere Länder Europas schauen, dann sehen Sie, dass diese Konzepte schon längst abgeschafft worden sind. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Das ist ideologisch, aber es ist nicht sinnvoll. (Beifall bei NEOS und JETZT.)

Vielleicht sollten Sie Ihre Scheuklappen ablegen und wirklich einmal mit Menschen re­den, die in dieser Hinsicht Verstand haben. (Zwischenrufe der Abgeordneten Deimek und Neubauer.) Es zeigt mir – das muss ich nämlich auch klar sagen (Abg. Wöginger: Oberg’scheit!) –, dass diese Bildungspolitik, wie sie heute hier auf den Tisch gelegt wurde, von parteipolitischem Machtkalkül getragen ist (Zwischenruf der Abg. Kirch­baumer), von der Frage, was der Partei in einer Diskussion von Ideologie vielleicht nutzt, aber sicherlich nicht von dem Ansatz, was evidenzbasiert die beste Lösung ist.

Herr Minister, Sie müssen sich das gefallen lassen, denn Sie haben das in einem Inter­view auch gesagt (Abg. Neubauer: Haselsteiner gesponsert!), dass Evidenz und die Frage, was Expertinnen und Experten wissen, nicht die Grundlage dieses Pädagogik­pakets waren, sondern der politische Kompromiss des Regierungsübereinkommens. Das ist zu wenig. Da sind keine Studien, da sind keine Expertinnen und Experten, da sind keine Best Practices. Das ist wirklich zu wenig für die Zukunft unserer Kinder (Abg. Deimek: Im Gegenteil!) – 14,5 Prozent in den Schulen, 100 Prozent unserer Zu­kunft! (Beifall bei NEOS und JETZT. – Abg. Wurm: 12,5!) – Verzeihen Sie (die auf das Rednerpult gestellte Tafel lesend): 12,5 Prozent, völlig richtig. (Zwischenruf des Abg. Deimek. – Abg. Wöginger: Das ist der Vorteil der Ziffernnoten!)

Das ist halt das Thema. Wenn Sie daraus jetzt einen billigen Witz machen, wenn es uns tatsächlich um die Zukunftsfragen geht, die Sie nicht lösen, dann sei es Ihnen un­benommen. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Ganz ehrlich: Mit Kalauern werden Sie die Zukunft unserer Kinder auch nicht nach vorne bringen. (Abg. Wöginger: ... muss man auch einmal was aushalten, nicht? Das ist halt einmal so in der Politik! Das ist ja kein Monolog!)

Es muss auch tatsächlich - - (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) – Entschuldigen Sie (Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen), wenn ich hier vorne stehe und eine Rede halte, dann kann ich schon eine Rede halten (Zwischenruf des Abg. Jarolim), und diese ist kein Dialog! Herr Klubobmann. Schauen Sie bitte in der Geschäftsord­nung nach! – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Der Herr Jarolim, ist eh klar!)

Ich möchte noch kurz zu den Ausgaben, zur Frage des Geldes kommen. Diese Bun­desregierung kürzt: Leistungen aus dem Integrationstopf werden 2019 gekürzt. Wir ha­ben ein großes Integrationsproblem, und was macht die Bundesregierung, was ma­chen die Regierungsparteien? – Sie sozusagen befeuern auch noch den Brand und kürzen die Mittel aus dem Integrationstopf. (Abg. Deimek: ... Assimilation!) Digitalisie­rung findet überhaupt in einem budgetären Blindflug statt. Das Maßnahmenpaket ist nicht mit Geld unterfüttert, und die Innovationsstiftung für Bildung wird von Ihnen aus­gehungert. Wenn das die entscheidende Zukunftsfrage ist – und ich bin sicher, dass Sie das in Sonntagsreden auch immer beschwören: die beste Bildung und Ausbildung unserer Kinder –, dann wissen Sie ja auch, dass wir da mehr Mittel in die Hand neh­men müssen.

Auch der Blick in andere Staaten, beispielsweise Europas, zeigt, dass die Ausgaben für Investitionen in das Schulwesen gemessen am BIP in anderen Ländern sehr wohl in die Höhe geschraubt wurden. Da liegen nämlich andere Länder deutlich vor Öster­reich, und Österreich kürzt da auch noch – und das ist tatsächlich beschämend.

Schauen Sie, vorhin hat eine Kollegin – ich weiß nicht, welche es war –, als von abge­hängten Generationen gesprochen wurde, gefragt, ob wir der Meinung sind, dass ihre Kinder Teil der abgehängten Generationen sind. – Nein, wahrscheinlich nicht, aber ist das der Anspruch Ihrer Bildungspolitik: Unsere Kinder trifft es ja eh nicht!?

Ich meine, Sie müssen das ernst nehmen, wenn wir wissen, dass der Bildungshinter­grund der Eltern, der sozioökonomische Hintergrund der Eltern, durchaus auch die Frage des kulturellen Milieus – und es ist immer, soziologisch gesprochen, eine Milieu­frage – massiv ausschlaggebend dafür sind, wie risikogefährdet die Kinder sind; aber der Ansatz, zu sagen: Unsere Kinder trifft es ja nicht, weil wir die schon irgendwie ins Gymnasium bringen werden!, verzeihen Sie, das ist zu wenig. Das ist nicht verant­wortungsvoll der gesamten Bevölkerung gegenüber und eigentlich ein Schlag ins Ge­sicht für die Schwächsten, um die Sie sich kümmern sollten. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Wöginger: Warum nicht Gymnasium? – Abg. Deimek: Das ist der klassische An­satz des ... Bezirks!)

Zur Autonomie: Wir wissen, und das habe ich heute auch gehört – Herr Professor Taschner hat durchaus zu Recht darauf hingewiesen –, dass Autonomie sozusagen ein Schlüssel zu gelingender Schulpolitik ist; da gab es heute in der Früh eine Frage an den Herrn Minister. Autonomie ist tatsächlich, so zeigt sich das im internationalen Ver­gleich, ein Schlüssel zu besseren Schulen dahin gehend, dass autonome Entscheidun­gen am Schulstandort tatsächliche Leistungsverbesserungen bringen können. Im Übri­gen ist Sitzenbleiben natürlich kein Merkmal für die besten Schulen. In einem wirklich autonomen Ansatz wäre das wahrscheinlich sogar ein Kriterium, wonach leistungs­orientiert bewertet würde, inwieweit Kinder sitzenbleiben, und man Anreize setzen wür­de, dass das eben nicht passiert.

Österreich ist aber keinen entschlossenen Schritt in Richtung Autonomie gegangen, auch die letzte Regierung nicht. Ja, ich habe es heute gehört: Das waren Bekenntnis­se, aber schauen Sie doch, was wirkliche Autonomie heißt: wirkliche pädagogisch-di­daktische Autonomie, wirkliche personelle Autonomie, wirkliche budgetäre Autonomie! Verzeihen Sie, meine Damen und Herren, aber das ist billig! Wir sind wirklich weit da­von entfernt, dass man tatsächlich davon reden kann, dass bei uns in Österreich Schulautonomie verwirklicht ist und die Schulen autonome Entscheidungen treffen kön­nen.

Sie haben wenig Gestaltungsfreiheit, und das können Ihnen ganz viele Direktorinnen und Direktoren, Lehrerinnen und Lehrer, engagierte Personen sagen. Sie sagen: Wir haben zu wenig Gestaltungsspielraum! Wir wüssten, was am Schulstandort am besten ist! Wir am Schulstandort wüssten auch, was wir machen müssten, um Kinder zu för­dern und auch zu fordern, aber wir können es nicht, weil wir in ein System eingebettet sind, das uns die Hände fesselt, das uns budgetär, das uns personell, das uns mit Di­rektiven und Auflagen die Luft zum Atmen nimmt und damit verhindert, die wirklich besten Entscheidungen für unsere Kinder zu treffen! – Da können Sie nicht von Auto­nomie reden! Da müssen wir wirklich entschlossenere Schritte in die Zukunft machen. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Cox.)

Ein Letztes noch – Chancen und Innovationspaket: Natürlich braucht es an Schul­standorten, an denen es besondere Herausforderungen gibt – vulgo Brennpunktschu­len –, mehr Mittel, mehr Ressourcen. Ich weiß – und ich werde es heute wahrschein­lich wieder vor allem von FPÖ-Seite hören –, die wichtigste sozusagen Bildungseinrich­tung sind die Eltern. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Ich glaube, dass die Eltern den Kindern in den ersten Jahren sehr viel mitgeben. Jetzt schauen wir auf die Be­völkerung und stellen fest, dass das viele Eltern nicht tun.

Ist es nicht die Aufgabe der Politik, dennoch nach Chancengerechtigkeit zu streben und alles daranzusetzen, das auszugleichen, dass eben manche Kinder nicht zu Hau­se gefördert werden und vielleicht 2 Meter Bücherregal zu Hause haben, eine Mutter und einen Vater, die jeden Abend vorlesen? Ist es nicht die Aufgabe der Politik, dafür Sorge zu tragen, dass wir diese Kinder mitnehmen? Und wenn Sie es nicht von mir aus als intrinsische Motivation, als moralische Notwendigkeit, als Frage der Gerechtigkeit sehen, dann sehen Sie es zumindest, Herrgott noch einmal, aus einem Wirtschaftsge­danken heraus, denn das, was Sie hier machen, ist nämlich in Wahrheit auch, arbeits­lose Menschen zu produzieren, die keine Chance am Arbeitsmarkt haben und damit Kosten verursachen werden, wenn Sie das sozusagen nur sachlich und ohne Emotion sehen wollen. (Abg. Deimek: Das ist das alte System; das neue ist besser, und das wissen Sie! – Zwischenruf des Abg. Wurm.)

Es ist in Wahrheit das größte Wirtschaftsverbrechen in Österreich, dass wir es nicht schaffen, jedes Kind mitzunehmen, und schon jetzt wissen, dass wir 16 Prozent der Kinder in der Volksschule als Risikoschüler haben, die es wahrscheinlich auch nicht schaffen werden. (Beifall bei den NEOS.)

Wenn Sie das schon nicht aus Ihrem Gerechtigkeitsempfinden heraus machen, dass Sie jedes Kind mitnehmen wollen, dann machen Sie es zumindest aus einem Wirt­schaftsgedanken heraus! Das wäre ganz, ganz notwendig! (Abg. Wurm – in Richtung SPÖ weisend –: Sie schauen falsch! Nach links schauen, bitte!)

Ich schaue gerne auch in Richtung SPÖ. Ich weiß ganz genau, welche Probleme dort entstanden sind. Glauben Sie mir, wir haben genauso auch in Richtung einer sozialde­mokratischen Unterrichtsministerin immer wieder Autonomie eingefordert, budgetäre, pädagogische, personelle Autonomie. Wir haben eingefordert, dass man die Geistes­haltung, dass alle Kinder gleich sind, zugunsten von Talenteförderung, Begabtenförde­rung, individuellen Eingehens auf die Talente, eines solchen Mindsets ad acta legt. (Zwischenruf des Abg. Wurm.) Uns geht es nicht darum, ob ein Vorschlag von links oder von rechts kommt, uns geht es um diese 12,5 Prozent Kinder, die 100 Prozent Zukunft sind! (Beifall bei den NEOS. – Zwischenruf des Abg. Deimek.)

Dazu gehören natürlich auch Ganztagsschulen, und das ist wiederum eine ideologi­sche Frage, weil ich weiß, Sie haben immer noch das Familienbild, dass es am besten ist, dass die Mutter gar nicht arbeitet, zu Hause ist, das Kind am Nachmittag in eine liebevolle Familie kommt (Abg. Wurm: Geh, hören Sie auf, das ist ein Klischee!), am besten schon um 12 Uhr von der Volksschule kommt, und dann ist es zu Hause. Die Mutter macht dann mit ihm Hausaufgaben und fördert das Kind eh. (Zwischenruf des Abg. Rädler.)

Es mag Ihnen gefallen oder nicht: Erstens hat sich die Gesellschaft verändert und zweitens sind die Herausforderungen groß. – Ich sage das auch als berufstätige Mut­ter, dass es natürlich notwendig ist, im Bereich der ganztägigen Schulformen massiv auszubauen. Wir wissen, dass das auch ein Schlüssel dazu ist, für wirklich mehr Leis­tung und bessere Bildungsabschlüsse Sorge zu tragen. Da die Mittel zu kürzen und sie nicht, wie ursprünglich vorgesehen, massiv in den Ausbau von Ganztagsschulen zu stecken ist einfach fahrlässig, meine Damen und Herren. Damit gefährden Sie auch Zukunft. (Beifall bei den NEOS.)

Zwei letzte Punkte noch: Wir stehen vor großen Herausforderungen im Bereich Inte­gration – ganz großen Herausforderungen! –, wir wissen aber auch, dass wir, soweit es noch geht, das muss man tatsächlich auch sagen, soweit es möglich ist, in der Politik Anreize setzen müssen, um zu einer besseren Durchmischung zu kommen. (Abg. Rädler: Oberlehrer!) Das geht vielleicht nicht unbedingt in einer Volksschule, wo natür­lich die Wohnortnähe immer sehr ausschlaggebend ist. In Sekundarstufe I und selbst­verständlich auch später gilt es natürlich, Anreize für eine bessere Durchmischung zu setzen: eine bessere soziale Durchmischung, aber auch eine entsprechende Durchmi­schung von Herkunft, ethnischem oder kulturellem Background. (Neuerlicher Zwi­schenruf des Abg. Rädler.)

Auch darüber könnten wir reden und darüber, wie wichtig es wäre, gerade in diesen Fällen die Zahl der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Schulpsychologinnen und Schulpsychologen massiv auszubauen. Jetzt kann man natürlich das Spiel spielen: Dafür sind die Länder zuständig!, die Länder sagen aber: Der Bund soll bitte zahlen! – Das ist, verzeihen Sie, aus Sicht der Leidtragenden ein bisschen zu wenig. Ich verste­he schon, dass die Frage, wer das finanziert, sehr wesentlich ist, aber sich immer den Ball gegenseitig zuzuwerfen und zu sagen, für die Schulsozialarbeiter ist jemand ande­rer zuständig, ist einfach zu wenig. (Abg. Deimek: ... ist eine Bringschuld, bis zur As­similation!)

Wo ist der Masterplan, in dem man gemeinsam den Weg festlegt und sagt: Wir wollen in jeder Schule eine Sozialarbeiterin oder einen Sozialarbeiter sitzen haben!, oder zum Beispiel auch: Wir wollen in jeder Schule eine medizinische Versorgung oder einen, ich weiß nicht, Nurser, würde man sagen, sitzen haben!? (Zwischenruf des Abg. Wurm.)

Ich sehe diese Visionen nicht, ich sehe auch die Diskussionen nicht, ich sehe nur ein parteipolitisch motiviertes Hickhack: Schwarz-Blau im Bund gegen zum Beispiel Rot-Grün in Wien, Bund gegen Länder, Links gegen Rechts, Ideologie versus Sachpolitik. Damit, meine Damen und Herren, vertun Sie die Zukunft unserer Kinder! Das ist schändlich, das ist schäbig und das ist einfach zu wenig. (Beifall bei den NEOS.)

2011 gab es ein Bildungsvolksbegehren – wir haben gestern über Volksbegehren ge­sprochen. Sie werden wahrscheinlich sagen, das haben nur, ich glaube, irgendetwas über 350 000 Menschen unterschrieben, das ist vergleichsweise wenig. Ich habe mir die Forderungen dieses Bildungsvolksbegehrens wieder durchgelesen. – Es ist be­schämend, wie wenig seit 2011 passiert ist. Seit 2011 gab es kaum Fortschritte, und was Sie heute vorgelegt haben, sind Rückschritte, und das ist sehr bedauerlich und das ist definitiv zu wenig. – Danke. (Beifall bei den NEOS.)

15.20

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Faßmann. – Bitte.