10.03

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Sehr geschätzte Damen und Herren! Frau Bundesministerin, Sie haben gesagt, das ist eine der größten Reformen und ein großes Vorhaben der Bundesregierung – auch Herr Klubobmann Wöginger hat das gesagt –, aber: Wenn das wirklich ein solch großes Wunderding ist und wenn alle davon so toll profitieren, warum sitzen Sie dann allein hier und sonst niemand von der gesamten Regierungsmannschaft? (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Loacker.)

Warum sitzen Sie allein hier? Ist es den anderen wurscht oder wissen vielleicht die anderen Regierungsmitglieder (Abg. Neubauer: Weil die arbeiten! – Abg. Hauser: Die müssen arbeiten!), was Sie heute hier tun werden, nämlich Sie als Abgeordnete der FPÖ und als Abgeordnete der ÖVP? (Ruf bei der FPÖ: Die haben nicht so viel Zeit wie Sie!)

Es tut mir immer so weh (Abg. Hafenecker: Man sieht es förmlich!), wenn Sie eine Reform dazu benützen, Funktionierendes schlechtzureden. (Ruf bei der FPÖ: Das hat nur für eure Funktionäre funktioniert!) Wir haben ein Sozialversicherungssystem, das international anerkannt ist und für das wir gelobt werden.

Jetzt hören Sie einmal auf mit diesen Funktionären! (Abg. Hafenecker: Es geht euch nur ...!) Es geht nicht um die Funktionäre, sondern es geht um ein funktionierendes System. Und dieses funktionierende System nutzen Sie, um es schlechtzureden und letztendlich Ihre Machtpolitik durchzusetzen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Linder: 56 Entscheidungen!)

Am 16. November wurde der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungs­träger vom internationalen Verband der Sozialversicherungen dafür gelobt, dass das wirklich funktioniert und dass das eines der besten Systeme auf der ganzen Welt ist. Die internationalen Experten verstehen nicht – sie sind dieser Auffassung –, warum dieses System an die Wand gefahren werden soll. Das verstehen sie nicht. (Abg. Linder: 56 Beschlüsse für eine Entscheidung!) Das tut weh!

Weil Sie immer von den Kosten sprechen, von den Verwaltungskosten, die wir auf­grund dieses Systems der Selbstverwaltung haben, wo Hunderte Funktionärinnen und Funktionäre von unterschiedlichen Parteien, von unterschiedlichen Interessenver­tretungen, von Arbeitgebern, von Bauern, von unselbstständig Erwerbstätigen, von Eisenbahnern, von Beamten, für nur ein geringes Sitzungsgeld diese Selbstverwaltung durchgeführt haben, muss ich sagen: Diffamieren Sie diese Menschen nicht, die überwiegend ehrenamtlich dafür gesorgt haben, dass wir dieses tolle System in Öster­reich haben! (Beifall bei der SPÖ.)

Dafür bedanke ich mich bei allen Funktionärinnen und Funktionären, egal, welcher politischer Ausrichtung, dass sie diese Arbeit geleistet haben.

Wenn Sie schon vom Kostensparen sprechen – schauen Sie sich das an! (der Redner zeigt eine Tafel mit Grafiken und der Überschrift: „Verwaltungskosten Krankenkassen“, „Internationaler Vergleich“) –: Wir haben mit 2,8 Prozent Aufwand, Selbstverwaltung und Verwaltung, dieses Gesundheitssystem in Österreich verwaltet und geführt, in der Selbstverwaltung.

Schauen wir auch, was bei den Versicherten ankommt (der Redner zeigt eine Tafel mit der Aufschrift „Leistungsquote Privatversicherung/öffentliche Versicherung“, „Was pas­siert mit 100 Euro?“, „Öffentlich: 97,2 Euro für Versicherte, Privat: 64,05 Euro für Ver­sicherte“): 97,2 Prozent von dem, was sie an Beiträgen geleistet haben.

Eines Ihrer drei Ziele ist es – und das steht in der Regierungsvorlage drinnen –, Anreize für mehr private Anbieter zu schaffen, für mehr private Versicherungen. Bei diesen haben die Versicherten dann aber weniger und es können sich nicht alle Men­schen in diesem Land diese private Versicherung leisten. Sie liefern ein funktio­nierendes Sozialversicherungssystem privaten Anbietern aus. Das ist schäbig und das ist nicht gerecht gegenüber jenen Menschen, die sich das nicht leisten können! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie betreiben eine rücksichtslose Machtpolitik! Sie färben um! Sie schaffen neue Posten – neue Posten schaffen Sie! Und wir werden uns ganz genau anschauen, wie da die Besetzungen durch Sie stattfinden werden, Frau Ministerin. Genau dort werden Sie die Macht übernehmen wollen und genau dort werden in Ihrem neuen System Spitzenposten für blaue und für ÖVP-Funktionäre geschaffen. Da geht es Ihnen nicht um die Versicherten. (Beifall bei der SPÖ.)

Fakt ist: Sie versprechen den Menschen gleiche Leistungen, und das ist eine Lüge! Das ist deshalb eine Lüge, weil es keine Harmonisierung zwischen den Trägern gibt. Es gibt keine Harmonisierung der Leistungen zwischen den Trägern. Im Gegenteil! Sie schaffen eine Dreiklassengeschichte, nämlich die Klasse I: Beamte, die Klasse II: Selbstständige und die Klasse III: Das sind die sieben Millionen unselbstständig Erwerbstätigen. Sie versprechen - -

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter! Ich bitte Sie, das Wort „Lüge“ zurückzunehmen.

Abgeordneter Josef Muchitsch (fortsetzend): Warten wir bis zum Schluss, vielleicht kommt es ja noch einmal vor, dann können wir zusammenzählen, Herr Präsident! (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie Beifall bei Abgeordneten von JETZT. – Abg. Neubauer: Was ist jetzt?)

Sie versprechen den Menschen eine Patientenmilliarde, und das ist die nächste Lüge: von einer Funktionärsmilliarde zu einer Patientenmilliarde. Warum ist das eine Lüge? – Weil die Selbstverwaltung nur 5,7 Millionen Euro kostet und keinen Cent mehr! (Abg. Neubauer: Jetzt reicht es aber!) Mit 5,7 Millionen Euro haben wir ein Budget von 62 Milliarden Euro über Jahrzehnte immer wieder gut verwaltet und es hat funktioniert. Sie wischen das einfach weg und wollen einfach nur umfärben! (Beifall bei der SPÖ.)

Das Dritte: Sie versprechen den Menschen, Sie sparen im System. – Auch eine Lüge, meine sehr geehrten Damen und Herren, weil man im System nicht sparen kann! (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Wenn man im System spart, dann spart man auch bei den Menschen! (Abg. Lugar: Das ist ein Missbrauch des Parlaments!) Sie entziehen dem Sozialversicherungssystem Milliarden – Milliarden! –, weil Sie Beiträge senken, weil Sie Mittel nicht mehr zur Verfügung stellen und weil Sie Geld von Versicherten an private Krankenhäuser übermitteln, für Schönheitschirurgie und Sonstiges. Das ist Ihre Politik für die Menschen.

Weniger Geld im System heißt weniger Leistung. Weniger Leistung heißt entweder Selbstbehalte oder Beitragserhöhungen für mehr Leistungen. Sie können den Men­schen nicht vormachen, dass Sie mit weniger Geld mehr Leistungen anbieten können, denn das stimmt nicht. Sie zerschlagen die Selbstverwaltung und damit verbunden auch die Sozialpartnerschaft.

Wenn ich jetzt hier hinüber (in Richtung ÖVP) schaue, zu Karlheinz Kopf, zu Peter Haubner, zu August Wöginger, kann ich sagen: Das System hat ja funktioniert! Ihr wart ja selbst in verschiedenen Gremien, ihr habt ja selbst mitbestimmt, im Interes­sen­ausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, wie unser Sozialversiche­rungs­system funktionieren soll. Und wenn Sie jetzt hergehen und sagen, wir machen das nicht mehr, und, ja, die FPÖ mitspielt – die FPÖ spielt mit, wenn es darum geht, dass jetzt der ÖVP-Wirtschaftsbund mit seinen Arbeitgebern dieses System übernimmt (Abg. Heinisch-Hosek: Genau!) –, dann müssen Sie mir das wirklich erklären. Sie haben mir diese Frage noch nicht beantworten können (Abg. Neubauer: Sie haben sie nie gestellt!): Warum gibt es ein Rotationsprinzip nur bei jenen Trägern, in denen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vertreten sind? Warum wird der Vorsitz nur in den Krankenkassen, in der Pensionsversicherung gewechselt und bei den anderen nicht? – Das ist reine Machtverschiebung hin zu den Arbeitgebern!

Wenn die Arbeitgeber in Zukunft entscheiden, was die Arbeitnehmer an Versiche­rungsleistungen erhalten und was nicht, dann mache ich mir wirklich Sorgen und dann tut mir das, was hier abgehen wird, wirklich sehr, sehr weh.

Zum Schluss kommend: Meine sehr geschätzten Damen und Herren von ÖVP und FPÖ! Sie sind gewählt worden, um Politik für die Menschen zu machen. (Abg. Belakowitsch: Machen wir auch!) Sie sind gewählt worden, um sich auch für die Menschen einzusetzen, die jetzt durch diese Reform unter die Räder kommen werden. Sieben Millionen Versicherte – sieben Millionen Versicherte, die Sie einfach weg­wischen, und das nur, um den Steigbügel zu halten, um dem Wirtschaftsbund in den Sozialversicherungsträgern mehr Macht zu verleihen; das ist nicht okay.

Ich appelliere jetzt an Sie als Volksvertreter, die auch die Sozialpartnerschaft hoch­halten wollen, denen es nicht egal ist, wie es den Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmern in diesem Land geht, diesem Gesetz heute nicht zuzustimmen.

Wie scheinheilig hier Politik gemacht wird (Abg. Neubauer: Das ist auch ein Ord­nungsruf, „scheinheilig“!), von dieser Regierungsbank aus, das zeigt Ihr Vorhaben, eine VIP-Klasse in Ambulanzen schaffen zu wollen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Gudenus: Da kennen Sie sich ja aus!)

Fakt ist, Frau Kollegin Belakowitsch (Abg. Belakowitsch: Die gibt es ja schon!), es ist ein großer Unterschied zwischen Tagesklinik und Ambulanz, ein großer Unterschied (Abg. Belakowitsch: Welcher?): Bei der Tagesklinik, da haben Sie recht, gibt es Privatversicherte mit Vorteilen (Abg. Belakowitsch: Genau darum geht es!), aber bei einer Tagesambulanz, wo ein Reicher mit einer Verletzung in Zukunft früher behandelt werden soll (Abg. Schwarz: Darum geht es doch gar nicht!) als ein Armer, obwohl er schwer verletzt ist, das ist letztklassig. (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt können Sie sich hierher stellen und sagen, das stimmt alles nicht (Abg. Hafenecker: ... was ist aus Ihnen geworden?), es wird einen Abänderungsantrag zu einem späteren Tagesordnungspunkt geben, das war nie so beabsichtigt, das ist ein Missverständnis – wieder einmal ist es ein Missverständnis! Wie beim Arbeitszeit­gesetz, da sind Sie ja auch hier herausgekommen und haben gefragt: Wo ist die Glaskugel der SPÖ? (Abg. Hafenecker: ... Pflastersteine geliefert!) Wo wird es hier eine Verschlechterung für die Arbeitnehmer geben? (Abg. Belakowitsch: Gibt es eh keine!) – Wir haben Sie darauf hingewiesen, und Arbeitnehmer sind durch Ihr Arbeits­zeitgesetz unter die Räder gekommen.

Zurück zu Ihrer VIP-Klasse für Reiche in Ambulanzen: Sie können das alles zurück­nehmen, weil der Druck der Bevölkerung zu groß geworden ist. Aber wissen Sie, was schlimm ist? – Allein, dass hier (nach links zeigend) oder hier (nach rechts zeigend) irgendjemand diesen Gedanken auf ein Blatt Papier geschrieben hat. (Ruf bei der SPÖ: Das lassen sie eh, das bleibt doch!) Wenn das auf Papier geschrieben wurde, dann ist das kein Missverständnis, dann war es Absicht – schämen Sie sich dafür! Schämen Sie sich dafür, das ist nicht in Ordnung! (Beifall bei der SPÖ.)

Zum Abschluss: Wenn Herr Klubobmann Wöginger hier sagt: Wir haben große Pakete geschnürt!, muss ich sagen, es ist Weihnachten. Sie haben mit diesem Entwurf große Pakete genau für Ihre Klientel, für Großkonzerne, für Reiche und für private Ver­sicherungen geschnürt. Genau das sind Ihre Weihnachtspakete. Wir nehmen halt eine andere Position ein. (Zwischenruf des Abg. Hafenecker.)

Unsere Position ist klar: Beste Medizin für alle statt VIP-Klasse für Reiche! (Beifall bei der SPÖ.)

10.14