16.06

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Prä­sident! (Abg. Höbart: ... die Verteidigungsrede für kriminelle Afghanen!) – Geht es oder wollen Sie vielleicht vor mir etwas sagen? (Zwischenrufe bei der FPÖ. – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.) Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Werte Ministerin und werte Frau Staatssekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst – aber darauf werde ich noch zu sprechen kommen –: Es macht mich immer wieder betroffen, welche parteipolitische Instrumentalisierung (Zwi­schenruf des Abg. Stefan) vor allem von Ihrer Seite (in Richtung FPÖ), aber bedau­erlicherweise auch von Ihrer Seite (in Richtung ÖVP), dieser furchtbaren Taten hier stattfindet. (Abg. Deimek: Also die dürfen nur Linke ansprechen?) Das ist meines Erachtens wirklich ein schäbiger Missbrauch eines Themas. Bringen Sie Lösungen auf den Tisch und missbrauchen Sie nicht ein Thema aus parteipolitischen Motiven! (Bei­fall bei NEOS, SPÖ und JETZT. – Abg. Belakowitsch: Darum geht es ja gerade! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Jetzt aber zur Sache: Warum gibt es diesen Misstrauensantrag, den wir initiiert haben? – Wir haben diesen Misstrauensantrag im vollen Bewusstsein dessen initiiert, dass es dazu heute eine sehr lebendige Debatte geben wird, in der insbesondere wieder Relativismus betrieben wird – das ist ja alles nicht so gemeint!, und so weiter; aber darauf werde ich noch zu sprechen kommen –, von der FPÖ, bedauerlicherweise aber auch von der ÖVP. (Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Höbart.)

Ich möchte jetzt daran anknüpfen, weil ich das ganz interessant gefunden habe, Herr Kollege Rosenkranz, dass Sie als Klubobmann der FPÖ hier dieses Schild mit dem Zitat aus unserer Bundesverfassung aufgestellt haben: „Ihr Recht geht vom Volk aus“, denn offensichtlich ist die FPÖ lernfähig. Vor ein paar Jahren, bei der Bundes­prä­sidentschaftswahl, haben Sie plakatiert: „Das Recht geht vom Volk aus“. – Ich weiß, es ist nur ein kleines Wörtchen – das oder ihr –, aber damals habe ich darüber ge­schrieben, dass es einen sehr entscheidenden Unterschied gibt, ob man sagt, das Recht oder ihr Recht geht vom Volk aus. „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ – Dahinter kann nämlich neben anderen Möglichkeiten auch die Frage stehen, ob Sie sozusagen von Legalität oder Legitimität sprechen, also davon sprechen, dass etwas rechtens ist oder auch gerecht ist. Das ist eine ganz entscheidende Debatte, um die es auch heute hier geht, und das will ich Ihnen erläutern.

Ich gehe davon aus, dass ein Innenminister dieser Republik die intellektuellen Kapa­zitäten hat, das zu meinen, was er auch sagt (Abg. Belakowitsch: Können wir bestätigen! – Zwischenruf des Abg. Wurm), und jetzt möchte ich sagen, was er gesagt hat. Der Herr Innenminister hat von der Gefahr gesprochen, dass der Rechtsstaat „gegen sich selbst zur Anwendung gebracht wird, dass man quasi über die eigenen Gesetze stolpert und handlungsunfähig ist“ (Abg. Haider: Ja, so ist es! Das sieht jeder vernünftige Mensch genauso!), dass es „irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen“ – Menschenrechtskonvention –, „teilweise viele, viele Jahre alt aus ganz anderen Situationen heraus entstanden“ gibt, „und die hindern uns daran, das zu tun, was notwendig ist“. Daher schließt er und sagt, „ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht.“

Das ist genau diese Unterscheidung hinsichtlich der Frage, welches Rechtsverständnis Sie haben: Geht es um das Legalitätsprinzip oder geht es Ihnen darum, das mit einer Ideologie oder mit einem Volkswillen oder einer Moral oder was auch immer zu hinterlegen und zu sagen: Das ist aber auch gerecht, und die Politik legt fest, was gerecht ist!? (Ruf bei der FPÖ: Na wer sonst?!) Das macht genau den Unterschied zwischen Innerhalb-des-Verfassungsbogens-Stehen und Außerhalb-des-Verfassungs­bogens-Stehen aus. (Beifall bei NEOS und SPÖ. Abg. Gudenus: Die Verfassung ist ja beschlossen, bitte! – Abg. Haider: ... nicht möglich, auch nur ansatzweise eine Argumentation zustande zu bringen! – Zwischenruf des Abg. Hafenecker.)

Das ist genau der Unterschied zwischen einem autoritären Politikverständnis, das wir von links wie rechts kennen, und einem Politikverständnis auf dem Boden der Grund­sätze eines liberalen Rechtsstaats, einer Demokratie und einer klaren Verfassung – gerade im Geiste unserer österreichischen Bundesverfassung, des großen Hans Kelsen, der da wirklich Besonderes geleistet hat. Wir als Österreicher können stolz auf das sein, was Hans Kelsen mit seinem Ansatz des Rechtspositivismus in der Verfas­sung geleistet hat. – Das brechen Sie hiermit.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder er hat nicht gewusst, was er sagt dann hat er es nicht verstanden (Abg. Schrangl: Sie haben es nicht verstanden, Frau Kollegin!), dann muss ich daran zweifeln, dass er die Kapazitäten hat, Innenminister zu sein –, oder er hat genau gewusst, was er sagt  dann ist er als Innenminister dieser Republik nicht tragbar, denn dann achtet er die österreichische Bundesverfassung nicht. (Beifall bei NEOS und SPÖ. Zwischenruf des Abg. Haider.)

Zu Herrn Vizeklubobmann Gudenus möchte ich schon noch eines sagen, er hat nämlich nachgelegt, nachdem der Herr Bundeskanzler gesagt hat, er glaube, der Herr Innenminister habe ihn verstanden. Dazu haben Sie (in Richtung Abg. Gudenus) in einem Interview sinngemäß gesagt: Na ja, die Menschenrechtskonvention ist eh ganz in Ordnung, die muss halt „richtig interpretiert“ werden! Das ist genau der gleiche Ansatz. (Abg. Gudenus: Wer interpretiert das?) Was heißt „richtig interpretiert“? Wer entscheidet, was „richtig interpretiert“ ist? – Es gibt eine unabhängige Justiz und es gibt höchstgerichtliche Entscheidungen, und wie diese interpretieren, ist dann richtig und rechtens, und nicht das, was Sie als Klubobmann, als Politiker sagen. Erheben Sie sich nicht über die unabhängige Justiz! Das ist genau das gleiche Prinzip. (Beifall bei NEOS und SPÖ. – Abg. Haider: ... interpretieren den Willen des Gesetzgebers! Das ver­stehen Sie offensichtlich nicht ...!)

Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, die Menschen sind von der Debatte irritiert. Das verstehe ich, das ist auch eine komplexe Debatte, weil sie auf den Grundsätzen unserer Verfassung aufbaut. Genau deshalb ist es aber so wichtig, dass diese Grund­sätze der Verfassung und Institutionen geachtet werden, dass es eine gewisse Staats­räson, ein staatstragendes Verständnis insbesondere von Regierungsarbeit gibt. Die Menschen müssen sich darauf verlassen, dass die Politikerinnen und Politiker, die sie vertreten, die Verfassung achten und die demokratischen Spielregeln beachten (Ruf bei der FPÖ: Das tun sie! Genau deswegen!), und genau das ist hier in Gefahr.

Ich sehe diese Art Ordre public nicht, also das Bekenntnis dazu, zu sagen: Wir als Regierende haben eine Verantwortung, die vielleicht höher steht als die eines hin und wieder im Nationalrat polternden Abgeordneten! Das ist genau die Trennlinie zwischen verantwortungsvoller Politik und unverantwortlicher Politik. Wenn man Minister ist, dann hat man eine ganz andere Verantwortung gegenüber den Institutionen, gegen­über der Verfassung und damit gegenüber den Menschen. Das möchte ich schon ganz klar sagen.

Da Sie auf das Regierungsprogramm zu sprechen gekommen sind – und verzeihen Sie, bei mir ist ein bisschen der Eindruck entstanden, als würde das mit der Verfassung und der EMRK auf einer Ebene stehen –: Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Grundsätze der Menschenrechtskonvention und der Verfassung in einem Regierungsprogramm beachtet werden! Das extra zu betonen erscheint mir doch ein wenig seltsam, das muss ich schon einmal ganz klar sagen (Abg. Rosenkranz: Und wenn es nicht drinsteht, regt ihr euch auch wieder auf! Seid nicht lächerlich! Seid nicht so lächerlich!), und ganz offensichtlich ist es ja auch in ganz vielen Fällen nicht so. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Generell haben wir im Zusammenhang mit dem Umgang der Regierungsparteien mit der Rechtsstaatlichkeit allerdings Bedenken, weil wir wissen, dass es etwa bezüglich der Verfassungskonformität von Bundestrojanern durchaus Bedenken gibt, wie Kollege Scherak angesprochen hat. Wir werden das prüfen lassen (Abg. Rosenkranz: Na also dann! Na also dann! Bedenken! Bedenken! – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Wegen der Indexierung der Familienbeihilfe, dass diese EU-rechtswidrig ist, gibt es ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission. (Zwischenrufe der Abgeord­neten Steinacker, Rosenkranz und Schrangl.) Es gibt andere Beispiele, bei denen wir klar sehen, dass Sie Gesetzwidrigkeiten in Kauf nehmen, und das zeigt mir einen sehr saloppen Umgang mit der Verfassung, mit EU-Recht und den Regularien, die es dazu gibt. (Anhaltende Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass Innenminister Kickl gewusst hat, was er sagt – dann ist das ein Skandal, und das ist ein Appell an die ÖVP, die Tür nicht weiter als unbedingt notwendig aufzumachen. Wenn das nicht der Fall ist, dann stelle ich fest, dass er mit der Arbeit als Minister heillos überfordert ist, weshalb er in diesem Amt ebenfalls nicht tragbar ist.

Ich habe hier einen Packen Briefe (mehrere Blatt Papier in die Höhe haltend), die an mich ergangen sind – nicht von linkslinken Gutmenschen, wie Sie das gerne bezeich­nen (Ah-Rufe bei ÖVP und FPÖ), sondern von besorgten Bürgern, die sehr wohl verstanden haben, worum es in dieser Debatte geht, und die auch ÖVP-Wähler sind. Sie können lachen, aber es sind ÖVP-Wähler, das weiß ich – bedauerlicherweise, muss ich sagen; ich kenne einige von ihnen (Abg. Rosenkranz: Ach so? Schauen Sie in die Wahlkuverts und -zellen hinein?), und es tut mir auch leid, dass sie uns nicht gewählt haben –, und die schreiben auch an Sie, Herr Bundeskanzler: „Mir graut vor Ihnen“ und Ihrer „(türkis)-blauen Regierung“; „Sie sind der Steigbügelhalter und Erfüllungsgehilfe!“ (Beifall bei den NEOS.)

Ich glaube, es sollte eine deutlichere Trennlinie gezogen werden, als Sie das heute hier gemacht haben, auch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die sich ernsthaft Sorgen machen. (Abg. Höbart: Das ist der Einser-Staubsaugervertreterschmäh! Diese Briefe von besorgten ...! – Ruf bei der FPÖ: Selber geschrieben!) – Meine sehr geehr­ten Damen und Herren, Sie haben soeben live erlebt, wie hier Regierungsparteien, insbesondere die FPÖ, mit den Briefen besorgter Bürger umgehen: Sie machen sich darüber lustig. – Das nehmen wir auch zur Kenntnis. (Abg. Rosenkranz: Nein, nein, ich mache mir eher Sorgen, dass Sie ...! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Es machen sich sehr viele Menschen über die Entwicklung in diesem Land Sorgen, darüber, dass zwischen autoritärer Politik und einer Politik auf dem Boden des Rechts­staats (Abg. Haider: Ich zeige Ihnen Briefe, die ich bekommen habe von Eltern von Töchtern ...!), der Demokratie und der Verfassung keine scharfe Trennlinie gezogen wird. Diese Trennlinie müssten Sie viel schärfer ziehen. Sie (in Richtung FPÖ) werden es nicht verstehen, aber in Richtung ÖVP sage ich das ganz entschieden. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Sie brechen das Wahlgeheimnis, offensichtlich!  Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

16.15

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Jachs. – Bitte.