10.10

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Sehr geschätzte Damen und Herren! Herr Prä­sident! Frau Bundesministerin! Ich habe jetzt allen Rednern ohne dazwischen­zurufen zugehört, weil es mir wichtig ist, zu erkennen, was die Motive für dieses geplante neue Gesetz sind.

Ich bin in einer Zeit großgeworden, in den Siebziger- und Achtzigerjahren, als hier in diesem Haus Gesetze gemacht worden sind, die Kinderarmut beseitigt haben. Umso mehr ist es für mich heute ein sehr schlimmer Tag, wenn ich zuhören muss, wie wieder über die Ausländerkarte versucht wird, Dinge schönzureden und den Menschen draußen vor den Fernsehschirmen Sand in die Augen zu streuen, damit sie nicht sehen, was dieses neue Gesetz tatsächlich an Armut auslösen wird.

Ich bin Herrn Klubobmann Rosenkranz, der jetzt leider nicht hier ist (Abg. Rosenkranz – mit Bundesministerin Hartinger-Klein sprechend –: Ach so, hier bin ich! Hallo! Zu deiner Linken!) – zu meiner Linken; es wäre schön, wenn du einmal so handeln würdest –, dankbar, dass er dieses Thema heute eingebracht hat, weil uns das vor dem Hearing und vor der Beschlussfassung Ende April die Möglichkeit gibt, noch einmal unsere Positionen darzulegen. Vielleicht besteht auch die Möglichkeit, doch etwas mehr an Veränderung an diesem Gesetz herbeizuführen, als es der Ministerrat in seinem Vortrag am 28. November – oder mit zwei kleinen Änderungen am 15. März dieses Jahres – getan hat.

Der Titel „Mindestsicherung NEU – mehr Fairness für uns Österreicher statt Zuwan­derung in das Sozialsystem“ ist nur etwas falsch gewählt, Herr Rosenkranz. Er ist insofern falsch gewählt, als er – wenn es nach dem Geschäftsführer der Caritas, Herrn Bodmann, geht – richtig heißen müsste: Mindestsicherung Neu: Armutsbeschleuniger und -verfestiger. Das ist nur ein Zitat aus 142 Stellungnahmen, von denen es lediglich drei nicht so kritisch wie alle anderen sehen: Das war die Wirtschaftskammer, das war die Industriellenvereinigung und das war das Land Niederösterreich. (Abg. Heinisch-Hosek – in Richtung des mit Bundesministerin Hartinger-Klein sprechenden Abg. Rosenkranz –: Können Sie zuhören? – Abg. Greiner: Unmöglich!) – Herr Klubobmann Rosenkranz, offenbar ist es nicht wichtig, welche Position wir als Opposition in dieser Aktuellen Stunde beziehen.

Ich muss die Kollegen und Kolleginnen von FPÖ und ÖVP – wenn Sie sich schon hier herausstellen und von Fairness und Gerechtigkeit sprechen – schon fragen: Ist es fair und gerecht, eine Politik zu machen, bei der Arme noch ärmer werden? (Abg. Belakowitsch: Stimmt ja nicht!) Ist es fair und gerecht, eine Politik zu machen, bei der Ihnen eine Sozialleistung ab dem dritten Kind nur mehr 44 Euro wert ist? (Abg. Belakowitsch: Stimmt ja nicht! In welchem Kollektivvertrag gibt es das?)

Jetzt kann man hergehen und sich durchaus auch einmal das Argument von Klubob­mann Wöginger und das Argument der Frau Sozialministerin anschauen, die behaup­ten, es sind 133 Euro pro Kind. Rechnen wir zusammen: für das erste Kind 221 Euro, für das zweite Kind 139 Euro, für das dritte Kind nur mehr 44 Euro, dividiert durch drei, dann sind wir bei 133 Euro. Ich frage jetzt die Jugend (in Richtung Galerie), die da oben sitzt, ich frage die jungen Menschen zu Hause vor den Fernsehschirmen (Abg. Rosenkranz: Plus Familienbeihilfe!), die sich das jetzt ausrechnen können: Ist es möglich, mit 133 Euro pro Monat ein Kind zu versorgen? (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Hauser: Plus Familienbeihilfe! Du sagst immer nur die halbe Wahrheit!) Ist es möglich, diese Kinder am Musikunterricht, an Schulexkursionen teilhaben zu lassen und ihnen Verpflegung – Essen – und Wohnen zu ermöglichen? Ist das möglich? (Abg. Rosenkranz: Beppo Muchitsch, es gibt auch Familienbeihilfe!)

Wir haben 2010 für die Mindestsicherung ganz bewusst (Ruf bei der ÖVP: Warum immer nur halb informieren?), gemeinsam mit der ÖVP, den Titel Mindestsicherung gefunden – weg von der Sozialhilfe –, weil Sozialhilfe so ein Wort ist, das Sie hier auch verwenden, und dann, Frau Ministerin, noch behaupten: Die wollen nicht arbeiten, die das beziehen, wollen nicht arbeiten! (Abg. Heinisch-Hosek: Das ist ein Wahnsinn! – Abg. Greiner: Sehr zynisch! Sehr zynisch!)

Das ist ja unglaublich! Wissen Sie, warum? – Weil von den 308 000 Menschen, die Mindestsicherung beziehen, 86 000 Menschen arbeitslos sind. Die sind aber nicht freiwillig arbeitslos. Alle anderen sind Aufstocker, das sind Frauen, die arbeiten, die einen Teilzeitjob haben, das sind Menschen, die krank sind, das sind Menschen, die in Pension sind, das sind Menschen, die eine Behinderung haben. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Greiner: So schaut’s aus! – Zwischenruf des Abg. Wöginger.)

Sie stellen sich hierher und sagen, die wollen nicht arbeiten. Frau Belakowitsch geht hierher und sagt, dass das keine Langzeitarbeitslosen sind. Da sind sehr wohl Men­schen dabei, die arbeiten wollen und keinen Anspruch auf eine andere Leistung haben. Fakt ist, die Sozialhilfe Neu führt letztendlich dazu, dass die Armut in diesem Land steigt. (Abg. Rosenkranz: Verarmung?) Das hat sich ein Land mit einem interna­tionalen Ansehen wie Österreich nicht verdient.

Letztes Argument: Schauen Sie, Herr Rosenkranz, wenn 977 Millionen Euro aus dem Budget für die Mindestsicherung aufgewendet werden – Zahlen aus dem Jahr 2017 –, dann sind das 0,9 Prozent sämtlicher Sozialausgaben dieser Republik. 3 Prozent der Menschen, die sich legal in Österreich aufhalten – und nicht illegal, wie es Herr Rosenkranz gesagt hat –, beziehen 0,9 Prozent sämtlicher Sozialausgaben dieser Republik; und dann ist es Ihnen nicht wert, das auch dementsprechend zu verbessern, nein, Sie fahren es noch hinunter. (Abg. Rosenkranz: Auch nicht! Aber es kann schon Herr Leichtfried nicht richtig zuhören bei Ministerräten!)

Mein Appell, meine Bitte an Sie, an ÖVP und FPÖ: Denken Sie in den nächsten vier Wochen wirklich noch einmal darüber nach, ob Sie die Kinderarmut in diesem Land weiter verstärken wollen! Bitte tun Sie es nicht! (Beifall bei der SPÖ.)

10.17

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf die Mentoring-Gruppe aus Kärnten recht herzlich begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Gudenus. – Bitte.