15.02

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Bundesregierung! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute einen Dringlichen Antrag zur Pflege­finanzierung eingebracht. Warum? – Wir haben ihn eingebracht, weil wir Klarheit wol­len, und wir wollen, dass FPÖ und ÖVP, dass die Bundesregierung endlich Farbe be­kennen.

Die Frage ist: Können sich alle Menschen in Zukunft in Österreich darauf verlassen, bei höchster Qualität gepflegt zu werden? Können sie sich sicher sein, dass die Finanzierung der Pflege keine neuen Belastungen, finanzielle Belastungen für sie bringt? Oder wird die Pflegefinanzierung künftig mit einer sogenannten Pflegever­sicherung zu einem weiteren schwarz-blauen Belastungspaket für die Menschen? (Abg. Belakowitsch: Was heißt „zu einem weiteren“?)

Die diesbezüglichen Widersprüche innerhalb der Koalition in den letzten Wochen und Monaten verunsichern die Menschen jeden Tag mehr. (Ruf bei der FPÖ: Sie verun­sichern die Menschen!) Was die Menschen verdient haben, ist Gewissheit, ist Klarheit, dass jemand im Bedarfsfall, im Pflegefall auf sie schaut, sie pflegt und die Angehörigen bestmöglich unterstützt. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.) Es ist eine sichere und verlässliche Pflege in allen Lebenslagen, die sich Menschen für sich selbst wünschen und natürlich auch für ihre Angehörigen.

Herr Bundeskanzler, schauen wir uns an, was Sie in Ihrem Regierungsprogramm niedergeschrieben haben. Sie bekennen sich dort in Sachen Pflege ganz klar zu einer Steuerfinanzierung aus einer Hand. Sehr geehrte Damen und Herren von ÖVP und FPÖ, da können wir nur zustimmen. Glauben Sie mir, das wird in dieser Legislatur­periode nicht sehr oft passieren, dass ich Sie auffordere, zu Ihrem Regierungs­pro­gramm – zumindest, was diesen Punkt betrifft – zu stehen. Die ÖVP hat in den letzten Wochen und Monaten durch ihre Aussagen aber erkennen lassen, dass sie offenbar andere Pläne hat, als es im Regierungsprogramm steht, und offenbar andere Pläne hat als der Koalitionspartner FPÖ.

Ich erinnere mich, dass auch Sie, Herr Bundeskanzler, in einem Interview am 15. Dezember letzten Jahres die Pflegeversicherung als ein Modell bezeichnet haben, dass Sie sich grundsätzlich gut vorstellen können. Ich erinnere mich auch an August Wöginger, den Klubobmann, der letzte Woche – wir waren alle gemeinsam beim Pflegegipfel, zu dem Frau Bundesministerin Hartinger geladen hat – gesagt hat, man müsse bezüglich einer Pflegeversicherung offen sein.

Erstens weiß niemand so recht, was sich hinter dem Wort Pflegeversicherung ver­bergen soll. Ich frage mich auch, was die FPÖ dazu sagt. Sie tendieren doch – das war am Donnerstag beim Pflegegipfel auch zu hören – Richtung steuerfinanziertes Pflege­system. Sehr konkret war es am Ende des Tages allerdings auch nicht, und ein paar Hintertüren sind doch auch offen geblieben. (Abg. Neubauer: Am Ende des Tages waren Sie gar nicht mehr dort!) Es ist in Aussage und Definition weit von Klarheit entfernt. Ich frage mich, sehr geehrte Abgeordnete von FPÖ und ÖVP, haben Sie sich von Ihrem Regierungsprogramm ausnahmsweise doch verabschiedet? Das wollen wir heute erörtern.

Worum geht es? – Es geht um eine klare Aussage. Es geht darum, dieses Thema und die Entscheidung dazu nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern klare und schnelle Lösungen zu finden, denn die Anforderungen steigen, die Herausforderung steigt von Tag zu Tag. Das ist eigentlich eine gute Nachricht, denn dahinter steckt, dass wir alle immer älter werden. Die absolute Lebenserwartung steigt, in der Gesund­heitsversorgung wurde in den letzten Jahrzehnten offenbar etwas richtig gemacht. Das ist gut so, aber damit steigt natürlich die Herausforderung für Politik und Gesellschaft, in unserem Land die Pflege für alle und in Würde zu gewährleisten.

Ich glaube, es wird Ihnen nicht gelingen, qualitativ hochwertige Pflege sicherzustellen, wenn das Fundament dafür, nämlich ein einheitliches und sicheres Finanzierungs­konzept, fehlt. Wir haben dazu bisher abgesehen von Ihrem Regierungsprogramm und vielen mündlichen Aussagen, die sich davon entfernen, keine klare Aussage. Die Frage ist: Was gilt nun? Gilt das schwarz-blaue Regierungsprogramm, gilt, was die ÖVP sagt? Übrigens war das schwarz-blaue Regierungsprogramm in den letzten 15 Monaten so etwas wie die Bibel der Regierung. Ich frage mich, was mit dem Glaubensbekenntnis jetzt ist, wenn es um das Thema der Pflegefinanzierung geht.

Was sagt die ÖVP dazu? Was sagt die FPÖ dazu? Oder ist es erneut ein Versuch, durch Tarnen und Täuschen ein Belastungspaket für die Österreicherinnen und Öster­reicher vorzubereiten?

Ja, die Herausforderungen hinsichtlich einer qualitativ guten Pflege steigen von Tag zu Tag, aber wir alle – als Politik, als Gesellschaft, als Individuen – müssen diese Heraus­forderung meistern, denn sie betrifft uns selbst früher oder später und indirekt durch die Pflege unserer Angehörigen. Wir alle wissen, dass eine gesicherte Finanzierung möglich ist, wenn der politische Wille dazu da ist.

Das Geld ist auch da, denn wir sehen, was Sie in den letzten Monaten ausgegeben haben. Wir sehen, wie viel Sie für PR und Marketing Ihrer Kabinette ausgeben, wie viel die Generalsekretäre, die ohne Ausschreibung in alle Ministerien gesetzt wurden, kosten. Das Geld ist also da. Wir sagen: Verwenden wir dieses Geld für die Menschen in diesem Land! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von JETZT.)

Wenn wir über Pflege diskutieren, auch unter Experten, dann sollten wir darauf achten, dass wir Menschen, die Pflege benötigen, niemals als Problemfälle bezeichnen. Sie sind kein Problem unserer Gesellschaft, sie gehören dazu, wie das Altern zum Leben dazugehört. Sie sind Menschen, die es verdient haben, gut und in Würde zu altern, aber im Fall einer Pflegebedürftigkeit brauchen sie eben Unterstützung. Auf diese Unterstützung und ihre Familien müssen sich die Menschen, die in diese Situation geraten, verlassen können, und an dieser Stelle kommt die Politik ins Spiel. Es ist ganz einfach.

Erst vor ein paar Tagen gab es eine Wifo-Studie, die ganz aktuelle Daten auf den Tisch gelegt hat. Diese besagt, bis 2030 werden gut 24 000 zusätzliche Pfleger und Pflege­rinnen in Österreich benötigt werden, eine hohe Zahl, und bis 2050 sind es laut den Berechnungen mehr als doppelt so viele Pfleger und Pflegerinnen. Man muss heute vorsorgen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Ich sage Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie die Menschen in diesem Land nicht allein, sie benö­tigen unsere Unterstützung! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Unterstützen wir jene Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, unterstützen wir jene, die in der mobilen Pflege arbeiten, die in der stationären Pflege arbeiten, in den Pflege­heimen. Zeigen wir ihnen allen, den Angehörigen und den im Pflegebereich Berufs­tätigen, dass wir an ihrer Seite stehen und dass wir wissen, was sie jeden Tag und vor allem auch in der Nacht – Pflege ist ein beinhartes Geschäft und beinharte Arbeit in der Nacht – leisten. Zeigen wir ihnen, dass wir an ihrer Seite stehen, weil wir wertschätzen, dass sie einen wichtigen Beitrag für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft leisten.

Beim Pflegegipfel am Donnerstag letzter Woche haben wir bereits diskutiert, und ich habe dabei grob umrissen, was aus Sicht der Sozialdemokratie für die Pflegever­sorgung der Zukunft notwendig ist. Aus unserer Sicht braucht es Verlässlichkeit und Sicherheit. Es braucht eine staatliche Finanzierung durch einen sogenannten Pflege­garantiefonds. Es braucht – und das gibt es bislang nicht – bundesweit einheitliche Rahmenvorgaben für Qualität, und es braucht endlich eine systematische Unter­stüt­zung für alle Betroffenen und Angehörigen.

Wozu brauchen wir einheitliche Qualitätsvorgaben? – Wir brauchen sie, weil wir in Österreich derzeit neun unterschiedliche Pflegesysteme haben. Es hängt davon ab, ob Sie in Wien altern, in Niederösterreich oder in Tirol, mit unterschiedlichen Qualitäts­standards im Pflegesystem von Bundesland zu Bundesland. Ich sage aber, alle Öster­reicherinnen und Österreicher haben sich eine gute Pflege verdient, in gleich hoher Qualität, egal wo. Genau das können wir nur gewährleisten, wenn es eine stabile staatliche Pflegefinanzierung durch einen Pflegegarantiefonds gibt – Stichwort Pflege aus einem Topf, in dem Ländermittel und Bundesmittel zusammengefasst werden. Es darf nämlich keinen Unterschied machen, wie groß das Vermögen ist, das man hat, oder wie hoch die Pension ist, ob man in Tirol oder in Niederösterreich gepflegt wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Über diesen Pflegegarantiefonds – indem wir alle finanziellen Mittel, die es vonseiten des Staates gibt, in einen Topf geben – können wir steuern, dass es in Österreich bundesweit einheitliche Qualitätsstandards in der Pflege gibt. Unsere Aufgabe und Ansage dafür ist ganz klar: Das Geld muss dorthin fließen, wo Qualität erreicht wird.

Wir müssen auch damit aufhören, in der Pflegedebatte so zu tun, als gäbe es nur die stationäre Pflege auf der einen Seite und die Pflege daheim auf der anderen Seite. Menschen haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Sie haben unterschiedliche Fami­lien, unterschiedliche Erkrankungen, sie haben unterschiedliche Ressourcen. Genauso flexibel, individuell und unterschiedlich müssen auch die Pflegemodelle werden. Das sind sie derzeit nicht, deswegen braucht es überall in Österreich gleich hohe Qualität, angepasst an die jeweiligen Lebensrealitäten der zu Pflegenden und ihrer Familien.

In dieser Pflegedebatte dürfen wir auch auf die Angehörigen nicht vergessen, auf die Familien selbst, die das wichtigste Umfeld für die zu Pflegenden sind. Jemanden zu pflegen, selbst zu pflegen oder diese Pflege selbst zu organisieren, ist eine wahre Mammutaufgabe und ein behördlicher Hürdenlauf; deswegen müssen wir die Ange­hörigen in dieser emotional schwierigen Situation vom ersten Tag an unterstützen und durch bundesweit einheitliche Pflegeservicestellen begleiten. (Beifall bei der SPÖ so­wie der Abg. Zadić.)

Wir dürfen eines nicht vergessen, nämlich dass ein Drittel der pflegenden Angehörigen berufstätig ist, und wir dürfen auch nicht vergessen, dass es dabei in 90 Prozent der Fälle um Frauen geht, die diese Doppelbelastung und oft Dreifachbelastung – weil es Kinder im Haushalt auch noch gibt – zu schultern haben, die dadurch gezwungen wer­den, von einem Tag auf den anderen aus Berufstätigkeit und Erwerbstätigkeit auszu­steigen und vielleicht auf ihre Pensionsansprüche zu verzichten. Ja, Frauen und Angehörige werden von einem Tag auf den anderen aus ihrer Erwerbstätigkeit ge­drängt. Das Engagement für die Pflege darf aber nicht von der Zustimmung oder dem Goodwill des Arbeitgebers abhängig sein. Wir sagen, die Möglichkeit, Pflegekarenz oder Pflegeteilzeit in Anspruch zu nehmen, reicht nicht aus. Es braucht endlich einen Rechtsanspruch für alle Angehörigen. (Beifall bei der SPÖ.)

Letzte Woche beim sogenannten Pflegegipfel habe ich vor allem eine Frage gestellt – wir haben alle gut diskutiert, darüber besteht kein Zweifel –, die zentrale Frage war: Was passiert am Tag danach? Am Tag nach dem Pflegegipfel müssen nämlich endlich Taten folgen. Wir haben keine Zeit mehr. Diese Herausforderung wächst von Tag zu Tag und wird seit 15 Monaten auf die lange Bank geschoben, denn erst im Okto­ber 2018 haben Sie, Herr Bundeskanzler, angekündigt (Zwischenruf des Abg. Wöginger), dass es bis Ende 2018 – Dezember 2018 – ein Pflegekonzept geben wird.

Jetzt ist März 2019. Wir haben kein Pflegekonzept, und jetzt werden wir seitens der Bundesregierung auf das Jahresende 2019 vertröstet. Mit jedem Tag, an dem nichts passiert und keine Lösungen auf dem Tisch liegen, wird diese Herausforderung größer. Mit jedem Tag, an dem nichts passiert, verschärft sich das Problem, und mit jedem Tag, an dem Sie sich, sehr geehrte Damen und Herren von FPÖ und ÖVP, uneinig sind, wie die Finanzierung abzusichern ist, steigt die Verunsicherung in der Bevölke­rung. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Ich sage, wir alle sind von diesem Thema betroffen, wir alle altern und werden gepflegt werden müssen. Menschen haben ein Recht darauf, Antworten und Verlässlichkeit seitens der Politik einzufordern.

Ja, wir geben Ihnen heute die Möglichkeit, Farbe zu bekennen. Stehen Sie zu Ihrem eigenen Regierungsprogramm? Stehen Sie zu der dort festgeschriebenen Steuerfinan­zierung der Pflege, oder fallen Sie um? Bekennen Sie sich dazu, einer Pflegever­sicherung eine Absage zu erteilen? Bekennen Sie sich dazu, einem Belastungspaket für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine klare Absage zu erteilen, oder fallen Sie auch in dieser Frage um?

Heute haben Sie die Möglichkeit, zu zeigen, was Ihr Wort und Ihr Regierungs­pro­gramm Ihnen wirklich wert sind. Wir und die Österreicherinnen und Österreicher wer­den Sie daran messen. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

15.18

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf die Schülergruppe der Rudolf-Steiner-Landschule in Schönau recht herzlich bei uns im Hohen Haus begrüßen. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist nun der Herr Bundeskanzler. – Bitte.