15.19

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Schülerinnen und Schüler auf der Besuchergalerie! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Kollegen in der Bundesregierung! Vielen Dank für die Möglichkeit, mit Ihnen heute das Thema Pflege zu diskutieren, das, wie Sie wissen, eines der drei Schwer­punktthemen der Bundesregierung im Jahr 2019 ist.

Wir haben uns neben den Themen Digitalisierung und Steuerentlastung ganz bewusst dieses Thema ausgewählt, weil wir der festen Überzeugung sind, dass es ein Thema ist, dem wir uns widmen müssen, bei dem es Luft nach oben gibt, bei dem es die Mög­lichkeit gibt, einiges zu verbessern, eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen und viele Menschen in Österreich zu unterstützen, die pflegebedürftig sind, aber auch diejenigen zu unterstützen, die als pflegende Angehörige Verantwortung in unserer Ge­sellschaft übernehmen.

Ich darf vielleicht einleitend kurz auf die Zahlen eingehen: Es gibt rund 450 000 pfle­gebedürftige Menschen in unserem Land, rund 940 000 Angehörige pflegen und betreuen. Sie machen das teilweise in der Pension, teilweise aber neben dem Job, neben der Erwerbstätigkeit. Sie leisten Unglaubliches, und sie haben sich Dank und Anerkennung, aber auch Unterstützung seitens der Republik verdient.

Hinter jeder einzelnen Person steht ein Schicksal – desjenigen, der pflegebedürftig geworden ist, des pflegenden Angehörigen, der vielleicht nicht weiß, wie er alles unter einen Hut bringen soll: Erwerbstätigkeit, Familie, Kinder und pflegebedürftige Eltern. Hinter jeder einzelnen Zahl stehen Personen, die es schwer genug haben und die man nicht beneiden sollte.

Ich weiß aus meiner eigenen Familie ganz genau, was es auslöst, wenn ein Mensch, der sich immer aufopfernd um die Kinder, Enkelkinder und Urenkelkinder gekümmert hat, plötzlich auf Unterstützung und Hilfe angewiesen ist; was das bei diesem Men­schen auslöst, was das aber auch bei den Kindern und Enkelkindern auslöst, was sich für die Angehörigen ändert, die auf einmal eine sehr große Verantwortung übertragen bekommen. Gerade deswegen würde ich Sie bitten: Nutzen Sie dieses Thema nicht dazu, Ängste zu schüren, es eignet sich nicht dafür! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Es gibt 450 000 pflegebedürftige Menschen, die auf ein funktionierendes System ange­wiesen sind. Es gibt fast eine Million pflegende Angehörige, die auf ein funktionie­rendes System angewiesen sind. Wir können als Republik dankbar dafür sein, was da geleistet wird: vom Pflegepersonal, aber auch von den Angehörigen, die pflegen und betreuen.

Diejenigen, die pflegebedürftig sind und davor ihr Leben lang in unserem Land gear­beitet haben, die etwas geleistet haben und dann in der Pension diesem Risiko aus­gesetzt sind, verdienen unsere Unterstützung. Betreffend all diese Menschen gilt: Es sollte nicht auf ihre Kosten Politik gemacht werden, es sollten nicht Ängste geschürt werden, über die sie dann vielleicht nachdenken, obwohl sie sich mit anderen Themen beschäftigen sollten. Sie verdienen es nicht, dass damit parteipolitisches Kleingeld geschlagen wird. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Wenn Sie, Frau Klubobfrau Rendi-Wagner, heute sagen, mit jedem Tag, an dem nichts passiert, werde das Problem größer (Ruf bei der SPÖ: Dann tuts endlich einmal was!), dann muss ich Ihnen sagen: Ich wollte in meiner heutigen Rede eigentlich niemandem einen Vorwurf machen, nicht mit dem Finger darauf zeigen, wer das System ge­schaf­fen hat oder wer vielleicht schuld daran ist, dass man etwas verändern muss. (Zwi­schenruf des Abg. Schieder.) Wenn Sie aber schon sagen, jeder Tag, an dem nichts passiert, mache das Problem größer, muss ich schon einmal ganz kurz darauf hin­weisen, dass für dieses System die Sozialdemokratie verantwortlich ist. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Rufe bei der SPÖ: Ja, ja!)

Zehn Jahre lang waren sozialdemokratische Minister, die genau dieses System ge­schaffen haben, zuständig. (Abg. Schieder: Das ist jetzt aber auch schon eineinhalb Jahre her!) Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass dieses System furchtbar, grauenhaft und schlecht ist und dass jeder Tag, den dieses System so weiterbesteht, ein Riesenproblem darstellt. (Abg. Schieder: Das war ein Kurz-Schluss!) Ich glaube aber sehr wohl, dass wir es besser machen können. Wir als Bundesregierung haben daher den Anspruch, das System zu verbessern, pflegende Angehörige zu unterstüt­zen, zu stärken, ihnen das Leben leichter zu machen. (Abg. Leichtfried: Ja tuts einmal was, nicht nur reden!)

Wir möchten eine nachhaltige Finanzierung gewährleisten, sodass Pflege nicht nur heute, sondern auch morgen und in den nächsten Jahrzehnten möglich ist. Diejenigen, die pflegen beziehungsweise die pflegebedürftig sind, sollen sich sicher sein können, dass sie die maximale Unterstützung seitens der Republik erhalten. Was wollen wir also tun? – Da das ein sehr sensibles Thema ist, haben wir uns ganz bewusst dazu entschieden, einen ordentlichen Dialog mit allen Stakeholdern zu führen: mit den Ländern, mit den Gemeinden, mit pflegenden Angehörigen, mit Personen, die im Pflegebereich arbeiten und Expertinnen und Experten sind. (Abg. Schieder: Ich glau­be, es stimmt nicht, weil der Präsident schläft gerade ein!)

Ich darf mich ganz herzlich bei unserer zuständigen Ministerin Beate Hartinger-Klein dafür bedanken, dass sie diesen Prozess aufgesetzt hat und einen breiten Dialog möglich macht. Ich darf mich bei Josef Moser dafür bedanken, dass er – noch aus seiner Zeit im Rechnungshof – sehr viel Expertise einbringt, in welchen Bereichen das System effizienter und funktionaler gemacht werden kann.

Ich darf vielleicht ganz kurz, um Sicherheit zu geben und nicht Ängste zu schüren oder zu verunsichern, darauf eingehen, was unser Ziel ist. (Abg. Heinisch-Hosek: Rechts­anspruch auf Teilzeit!) Zum Ersten: pflegende Angehörige besser unterstützen. Diese Menschen haben unsere Unterstützung verdient. Sie bekommen heute schon Unter­stützung seitens der Republik, aber wir wollen diese Unterstützung weiter ausbauen, um für möglichst viele Menschen vor allem ein Altern in Würde zu Hause sicherzu­stellen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Heinisch-Hosek.)

Zweites Ziel: eine bessere Organisation der Pflege, ein stärker bedarfsorientiertes Angebot. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Pflege: von der Pflege zu Hause bis zum Heim, dazu Zwischenstufen wie Tagesbetreuungsstätten oder auch die Mög­lich­keit der mobilen Pflege. Das wollen wir bestmöglich aufstellen, sodass zum einen sichergestellt ist, dass das Steuergeld ideal eingesetzt ist, zum anderen aber auch eine bestmögliche Betreuung gewährleistet ist.

Zum Dritten: eine ordentliche Ausbildung des Pflegepersonals, weil es wichtig ist, dass es neben den pflegenden und betreuenden Angehörigen auch professionelle Pflege­rin­nen und Pfleger gibt, die die Angehörigen unterstützen, die aber auch in den Pflege­heimen eine ganz wesentliche Aufgabe unserer Gesellschaft wahrnehmen.

Das sind drei Hauptpunkte, an denen wir arbeiten. Darüber hinaus stellt sich natürlich – und das haben Sie richtigerweise angesprochen – die Frage der Pflegefinanzierung. Da wäre unsere Bitte, dass man unideologisch an dieses Thema herangeht, dass man nicht versucht, sofort das eine oder andere System auszuschließen oder schlechtzu­machen. Wir schauen uns gerade weltweit alle unterschiedlichen Systeme an und versuchen, das bestmögliche System für Österreich zu finden, damit wir sicherstellen können, dass eine nachhaltige Finanzierung der Pflege gewährleistet wird. Was ich Ihnen heute versprechen kann, ist, dass wir als Bundesregierung die Steuer- und Abgabenbelastung senken. Es wird also sichergestellt, dass die Menschen in unserem Land nach unserer Regierungszeit weniger Steuern und Abgaben zahlen als vor unserer Regierungstätigkeit. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Ich darf daher zum Abschluss eine Einladung aussprechen: Es gibt einen sehr gut aufgesetzten Prozess, in dem wir ganz bewusst den Dialog mit unterschiedlichen Stakeholdern führen und unterschiedliche Meinungen einholen wollen, um dann unideologisch und ganz pragmatisch die besten Ideen auszuwählen. Ich lade Sie ein, sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition (Abg. Heinisch-Hosek: Machen Sie jetzt eine Weltreise oder laden Sie uns alle ein?): Beteiligen Sie sich an diesem Prozess, arbeiten Sie bei diesem sensiblen und wichtigen Thema konstruktiv mit! Und ich bitte Sie zum Abschluss: Nutzen Sie dieses Thema nicht, um Ängste in der Bevöl­kerung zu schüren! (Abg. Heinisch-Hosek: Die sind schon da!) – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Abg. Heinisch-Hosek: Vorige Woche im Sozialausschuss wäre das schon möglich gewesen! – Abg. Schieder: Jetzt ist Pause, oder?)

15.28

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gehen in die Debatte ein.

Ich darf darauf aufmerksam machen, dass die Redezeit nunmehr maximal 10 Minuten beträgt und jeder Fraktion insgesamt 25 Minuten zustehen.

Zu Wort gemeldet ist als Erster Herr Abgeordneter Muchitsch. – Bitte sehr.