15.52

Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (JETZT): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Frau Ministerin! Herr Minister! Liebe KollegInnen und liebe ZuhörerInnen! Kollege Rosenkranz, 450 000 Menschen nennt die Statistik als PflegegeldbezieherInnen. Es sind 450 000 Einzelschicksale, und jeder Mensch, der pflegebedürftig wird, hat eine eigene Geschichte und eine ganz eigene Krankheits­geschichte. 450 000 Einzelschicksale und weit über eine Million Menschen, die sich um diese pflegebedürftigen Menschen kümmern – Angehörige auf der einen Seite, aber natürlich auch Pflegekräfte auf der anderen Seite.

In den allermeisten Fällen werden die pflegebedürftigen Personen aber von Angehö­ri­gen betreut. Wir haben gehört, es sind 940 000 Erwachsene und – ein Fakt, der mir ganz wichtig ist anzuführen – über 42 000 Kinder und Jugendliche, die Angehörige pfle­gen, und das täglich, wöchentlich, natürlich auch an den Wochenenden, in der Freizeit, unentgeltlich, einfach weil es darum geht, geliebten Menschen auch das zurückgeben zu können, was man selbst einmal erhalten hat, nämlich dass man auf­gezogen worden ist, behütet aufwachsen konnte und natürlich auch unterstützt wurde.

Jetzt macht die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme immer wieder deutlich – und auch der Herr Bundeskanzler hat die Schlagworte heute erwähnt –: daheim vor statio­när, mobile Pflege, mobile Betreuung vor stationär. Wenn solche Slogans auch nur einen Hauch von Glaubwürdigkeit haben sollen, dann müssen sie auch dement­sprechen­de politische Handlungen nach sich ziehen. Herr Bundeskanzler, ganz konkret ange­sprochen: Wenn Sie sagen, Sie wollen, dass Menschen zu Hause betreut werden können, dann stelle ich die große Frage in den Raum, warum Sie genau bei jenen Per­sonen, nämlich jenen in der Pflegestufe 1 bis 3, die zum größten Teil zu Hause betreut werden – weil es erst ab Pflegestufe 4 überhaupt möglich ist, in ein Heim zu kommen – und daher von Angehörigen gepflegt werden, laut – Sie haben es erwähnt – Minis­terratsbeschluss die Evaluierung so auslegen, dass die Stufen 1 bis 3 nicht indexiert werden.

Es soll erst ab Pflegestufe 4 indexiert werden und darunter der Ausgleich des Kauf­kraftverlustes, der ja nichts anderes als eine kalte Entwertung ist, nicht zugestanden werden. Ich frage mich wirklich, ob das Hand und Fuß hat, was Sie hier heute sagen, nämlich: Wir wollen, dass die Leute zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können, nicht das Schicksal erfahren müssen, dass sie dann am Ende ihres Lebens in einem Heim landen. Gleichzeitig ist es genau jene Gruppe, der sie keine Indexierung des Pflegegeldes zugestehen wollen. Also das ist für mich die größte Unbekannte in der heutigen Debatte. (Beifall bei JETZT.)

Nun zur Höhe des Pflegegeldes: Mein Kollege Bruno Rossmann wird hier auch noch einen Entschließungsantrag einbringen, denn ich glaube, es ist der größte menschliche und politische Skandal, wenn wir uns ansehen, wer dieses Pflegegeld bekommt. Da sehen wir besonders in Pflegestufe 6, Pflegestufe 7 eine Entwertung über die letzten Jahre. Alleine seit der letzten Anhebung 2015 beträgt die Entwertung in der höchsten Pflegestufe 100 Euro, seit der Einführung des Pflegegeldes sind es in der höchsten Stufe, in der Pflegestufe 7, 600 Euro Entwertung.

Ich glaube, es kann in keinster Weise in unserem Sinne sein, dass jene Menschen, die dieses Pflegegeld wie einen Bissen Brot brauchen, diese Entwertung und diese Kürzung hinnehmen müssen, wenn wir nicht vorhaben, das Pflegegeld der Stufen 1 bis 3 anzuheben. Ich ersuche Sie also bitte diesbezüglich um Zustimmung zu unserem Antrag, wenn Sie es wirklich ernst damit meinen, jenen Angehörigen helfen zu wollen, die Personen betreuen, die in Pflegestufe 1 bis 3 eingestuft sind.

Wir haben in den letzten Monaten auch zahlreiche parlamentarische Anfragen ein­ge­bracht, weil es nicht nur um die Indexierung des Pflegegeldes, sondern natürlich auch um nachhaltige Reformen im Bereich der Pflege geht. Wir haben einige Bereiche ausgelotet, betreffend derer wir auch noch Anträge einbringen werden, um gemeinsam an einer nachhaltigen Pflegereform arbeiten zu können.

Ich möchte Ihnen noch einige wichtige Punkte nennen, um die es mir bei dieser Reform besonders geht. Es geht auf der einen Seite, wie bereits angesprochen, um eine Ausbildungsoffensive, da es meiner Meinung nach in keinster Weise sein kann, dass wir unser Pflegesystem zu einem erheblichen Teil auf der Ausbeutung und der Not osteuropäischer ArbeitnehmerInnen aufbauen. Es kann nicht sein, dass wir keine nachhaltige Lösung für die 24-Stunden-Betreuung auf die Beine stellen können.

Es geht um die gesetzliche Verankerung eines Qualitätssiegels, weil ich es ebenfalls nicht unterstützen kann, dass Menschen den hohen Beitrag für eine 24-Stunden-Betreuung erstens kaum aufbringen können, weil das Pflegegeld dazu nicht ausreicht, und auf der anderen Seite dann auch noch auf Agenturen ausweichen müssen, die mafiös und intransparent wie Inkassobüros funktionieren. Wir werden diese weiterhin auf unserem Markt zulassen, da es, wie es die aktuelle Bundesregierung geplant hat, nur freiwillige Gütesiegel geben wird.

Es geht um die Pensionsanrechnung für pflegende Angehörige, wie ich bereits gesagt habe, in der Stufe 1 bis 3, weil es eben erst ab Stufe 4 überhaupt möglich ist, in ein Pflegeheim zu kommen. Da Kollege Muchitsch ein Beispiel erwähnt hat, möchte auch ich in diesem Zusammenhang einen besonderen Dank an meine Mutter aussprechen, die sich zuerst um ihre Schwiegermutter gekümmert hat, sich jetzt um ihre eigenen Eltern kümmert und von der Politik ausgerichtet bekommt, dass sie die letzten Jahre offiziell nichts gearbeitet hat. Das sind Probleme und Zustände, die geändert gehören. (Beifall bei JETZT und SPÖ.)

Es geht nicht nur um einen Dank, es geht nicht nur um eine Anerkennung, es geht auch um eine finanzielle Unterstützung für pflegende Angehörige. (Ruf bei der FPÖ: Das stimmt nicht! Es geht darum, dass du bei der Wahrheit bleibst!) Es geht zudem um die Unterstützung für 42 000 Jugendliche, die ihre Angehörigen pflegen und damit zu einem großen Teil auch Schule und Ausbildung gefährden und nicht das Leben eines Jugendlichen – eine unbeschwerte Kindheit vielleicht – haben. Es geht um die Aus­weitung der Ersatzpflege. Das soll heißen, sich auch einmal als pflegender Angehö­ri­ger eine Auszeit nehmen zu können und vielleicht ein paar Wochen auf die eigene Gesundheit schauen zu können. Pflege darf nicht arm machen und sich aufzuopfern darf nicht krank machen.

Es geht um einen Rechtsanspruch auf Pflegekarenz. Es geht um den Ausbau der mobilen Dienste und auch um die Möglichkeit, dass diese mobilen Dienste in dem Ausmaß leistbar sind, in dem sie in einer gewissen Pflegestufe nötig sind. Es geht um bundesweit einheitliche Qualitätsstandards und Kosten. Es kann nicht sein, dass die mobile Pflege in manchen Bundesländern das Doppelte als in anderen Bundesländern kostet.

Es geht um verbesserte Arbeitsbedingungen und Entlohnung im Sozialbereich. Frau Ministerin, wir haben beide die Referate von Laura Glaser und Bernhard Herzog, zwei Studierenden des Studiengangs Gesundheits- und Krankenpflege an der FH Salzburg, beim Forum Pflege gehört. Ich habe sehr positiv aufgenommen, dass sich junge Menschen überhaupt dieser Herausforderung stellen, weil es eine Grundhaltung, eine soziale Überzeugung braucht, überhaupt in diesen Beruf zu gehen. 

In den ersten Monaten ihrer Ausbildung und der Praxis haben sie Erlebnisse machen müssen, die ich ihnen nicht gewünscht hätte. Ein Satz war ganz zentral für das, was sie sich für das Pflegesystem wünschen: Die Pflege darf keinen Schritt zurück machen, nach dem Motto: warm, satt und sauber. In der Pflege geht es darum, noch Mensch sein zu können. – Zitatende.

Mensch sein zu können: Das ist auch von Ihnen, Frau Ministerin Hartinger-Klein, erwähnt worden, nämlich: die Zeit zu haben, sich mit den Pflegebedürftigen auch aus­einanderzusetzen, sie nicht nur zu füttern, sich nicht nur um sie zu kümmern und körperliche Hygiene et cetera durchzuführen, sondern auch den Menschen vor sich zu haben und ein Gespräch zu führen, Hingabe zum Beruf haben zu können. Deshalb braucht es auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte in unserem Land.

Was ist aus meiner Sicht dazu zu tun? – Ich denke, es hat keinen Sinn, hier und heute die einzig wahre Lösung anzukündigen und sofort einen umfassenden Beschluss zu fassen. Was es aber sehr wohl braucht, ist, dass wir uns in Erinnerung rufen, worauf wir uns schon beim Forum Pflege verständigen konnten. Ich war, Herr Rosenkranz – ich habe Sie am Anfang erwähnt –, besonders von Ihrem Redebeitrag überrascht, dass Sie sich nämlich dezidiert für eine solidarische Finanzierung und eine dement­sprechend steuerlich aufgestellte, nachhaltige Pflegefinanzierung ausgesprochen haben. Sie ha­ben die Solidargemeinschaft erwähnt, die zusammenstehen muss, um für diese Men­schen da zu sein. Das ist es auch, was ich einbringen möchte.

Ich werde den Antrag natürlich unterstützen, weil es in meinem Sinne ist, dass die Not des Einzelnen nicht dazu führt, dass einzelne Pflegeagenturen Gewinne machen, dass die Not des Einzelnen nicht dazu führen darf, dass sie für Private Gewinne bedeutet, sondern dass wir gemeinsam – steuerlich solidarisch – für die Pflege jedes Einzelnen von uns stehen, einstehen und das auch unterstützen. – Vielen Dank. (Beifall bei JETZT.)

16.02

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Als Nächste ist Frau Abgeordnete Heinisch-Hosek zu Wort gemeldet. – Bitte.