12.06

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir NEOS sind heute hier, um die Alarmglocken zu läuten. Es geht um nichts weniger als um indivi­duelle Freiheitsrechte. Die Freiheit der BürgerInnen im Netz ist heute mehr in Bedräng­nis als je zuvor, und das weltweit: In China und Russland – es gibt natürlich noch viele andere Beispiele – kann man dabei zuschauen, wie moderne technologische Ent­wick­lungen dazu missbraucht werden, um eine Zensurinfrastruktur, einen Über­wachungs­staat aufzubauen und in diesem Fall für viele in modernen Diktaturen die letzte Bastion der Freiheit, das Internet, endgültig abzuschaffen.

Machen wir uns nichts vor: Dieses Modell eines digital-autoritären Staates hat das Zeug dazu, zum Exportschlager zu werden.

Und was macht unsere Regierung in Sachen Netzpolitik? – Sie reiht sich in den Klub jener Staaten ein, die die Freiheit im Internet immer weiter einschränken wollen, anstatt sinnvolle Regeln zu gestalten und zu schaffen. Natürlich sind auch diese notwendig. Es gibt einen wesentlichen Regulierungsbedarf gerade auch in Fragen der Digitalisierung, in Fragen der Netzpolitik. Umso wichtiger ist es, da mit Bedacht vorzugehen und gute Lösungen zu finden.

Zu den Lösungen dieser Regierung gibt es für mich nur zwei Erklärungen, nämlich dass ÖVP und FPÖ Freiheitsräume einschränken wollen, weil es zu ihrem autoritären Narrativ passt oder – zweite Variante; ich weiß nicht, ob ich die besser oder schlechter finden sollte – weil sie keine Ahnung davon haben, wie das Internet wirklich funktio­niert, und dementsprechende Lösungen auf den Tisch bringen. Sie verstehen nicht, dass das Netz ein essenzieller Teil unseres Lebens ist und dass das auch bedeutet, dass jede Einschränkung der Freiheit dort auch eine wesentliche, tiefgreifende Einschränkung der individuellen Freiheit von jedem und von jeder ist. Trotzdem setzen ÖVP und FPÖ auf Zensur, Überwachung und Freiheitseinschränkungen, und das sind ganz alte Antworten für sehr neue Probleme. (Beifall bei den NEOS.)

Das Ganze zeigt sich auch an drei aktuellen Beispielen: am Uploadfilter, an diesem unsinnigen Ausweiszwang im Netz und am weiteren Ausbau des Überwachungsstaats, wofür es einige Beispiele gibt.

Beginnen wir aber einmal mit den Uploadfiltern, dazu gibt es ja besonders viel Erklä­rungsbedarf: Ja, wir müssen das Urheberrecht ins 21. Jahrhundert führen. Das ist gar keine Frage, dass das auch im digitalen Zeitalter ganz besonders wichtig ist, dass geistiges Eigentum bestmöglich geschützt wird. Die Europäische Volkspartei hat sich letztendlich aber für jene Lösung entschieden, die vielleicht auf den ersten Blick am einfachsten ist, aber dadurch auch brandgefährlich. Es ist nämlich Zensur durch Up­loadfilter. Die funktionieren nämlich so: Man möchte YouTube und Facebook erwischen, nimmt eine Schrotflinte her, zielt auf die beiden und erschießt dabei das halbe Internet.

YouTube und Facebook lachen sich im Übrigen wahrscheinlich gerade zu Tode, denn denen ist das vollkommen wurscht, ob es jetzt verpflichtende Uploadfilter gibt. Die haben überhaupt kein Problem damit. Das schädigt ihr Geschäftsmodell auch über­haupt nicht. Der Kollateralschaden entsteht hier an der Meinungsfreiheit im Netz, an der Kreativität und an der Vielfalt im Internet und auch an Wettbewerb und Innovation.

Warum? – Weil Uploadfilter nun einmal teuer sind, das heißt, sie sind ein Nachteil für die Kleinen in einem ohnehin schon sehr harten Wettbewerb. Sie sind fehleranfällig, was bedeutet, dass legale Inhalte wahrscheinlich auch blockiert werden, und sie schaffen eine Zensurinfrastruktur, die auch irgendwann einmal dafür verwendet werden kann, dass unliebsame Artikel, Bilder und andere Inhalte im Internet verhindert werden und dort nicht mehr auffindbar sind.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel, damit das hier auch wirklich alle verstehen: Wenn es Ihnen in Zukunft nicht gefällt, dass eine unliebsame Demo online eine noch größere Reich­weite findet, weil sie durch einen Livestream übertragen wird, dann stellen Sie sich einfach mit einem fetten Lautsprecher dort vor das Bild hin und spielen Musik, die urheberrechtlich geschützt ist. Zack ist das Video weg, die Inhalte, die Sie nicht im Netz haben wollen, sind weg, die Meinungsfreiheit ist weg. Es ist also brandgefährlich, keine Ahnung davon zu haben, wie das Internet funktioniert.

Nächstes Thema: dieser unsinnige Ausweiszwang im Netz, wobei ich wirklich kaum Worte dafür finde, wie – mir fällt jetzt kein nettes Wort ein – unsinnig das ist. Die Regierung will, dass sich jeder, der sich im Internet am Diskurs beteiligt, ausweisen soll und bei einer Plattform wie zum Beispiel dem Online-„Standard“ seine Daten hinter­lässt. Es ist, als müsste man beim Betreten eines Supermarktes zu Beginn noch schnell seine Adresse und einen Ausweis für den Fall hinterlegen, dass man vielleicht etwas mitgehen lässt. Das ist natürlich in der realen Welt eine total irre Vorstellung – warum machen wir das dann online?

Es ist auch absurd, dass der Herr Medienminister jede berechtigte Kritik als Blödsinn abtut, unzählige offene Fragen nicht beantworten kann – vielleicht hat er ja heute ein paar Antworten für uns – und stattdessen irgendetwas von einer südkoreanischen Soft­ware, die das Ganze irgendwie lösen sollte, schwadroniert. Schauen wir doch nach Südkorea, wenn man das schon als Beispiel hernimmt! Da hat ein ähnliches Gesetz nämlich überhaupt nicht dazu geführt, dass es weniger Hasspostings im Netz gibt, aber die unsicher gespeicherten Daten von Millionen von Nutzern konnten von externen An­greifern gestohlen werden. Es zeigt sich, dass da über den Umweg einer PR-Aktion, die vermeintlich gegen Hasspostings helfen sollte, eine massive Vorratsdaten­speiche­rungsoffensive lanciert wird. Diese Initiative nützt absolut gar nichts im Kampf gegen den Hass im Netz. Das sagen alle Experten in diesem Bereich, das ist durch Studien belegt. Fangen Sie doch beim Hass bitte endlich einmal bei sich selber an (Beifall bei den NEOS), denn auch die aktuelle Debatte über dieses unsägliche Pamphlet aus Braunau – nicht nur, dass es nicht online war, es war Print, es war auch mit einem Absender versehen – hat gezeigt, nicht einmal wenn der eigene Name draufge­schrie­ben wird, hilft das dabei, den Hass in dieser Gesellschaft zu bekämpfen.

Da sind Sie uns wirklich Antworten schuldig. Was tut die Regierung gegen den Hass, der in der Gesellschaft geschürt wird? Was tun Sie dagegen, dass der nächste Einzel­fall schon wieder vor der Tür steht? Der Hass in der Gesellschaft muss endlich be­kämpft werden, aber nicht mit PR-Aktionen, die die Freiheit im Internet einschränken. (Beifall bei den NEOS.)

Diese Maßnahme führt zu einer weiteren Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Bürgerrechte, weil es ja auch Menschen gibt, die Anonymität im Netz aus beruflichen, aus politischen Gründen brauchen, und diese müssen in Zukunft fürchten, dass sie relativ leicht verfolgbar werden.

Von den anderen Sicherheitsaspekten, dass jetzt unfassbare Datenkonvolute gespeichert werden und man eigentlich noch nicht weiß, wie das alles ablaufen sollte, reden wir ja noch gar nicht. Das ist das nächste Problem, das Sie mit diesem Thema aufmachen: Sind diese Daten der Userinnen und User dann überhaupt sicher? Ich glaube aber, dazu könnte man hier jetzt eine eigene Debatte anfangen.

Reden wir doch darüber, dass es der Regierung nicht um den Kampf gegen Hass im Netz geht! Es geht ihr um den Aufbau ihres Überwachungsstaates. Auf europäischer Ebene und auch von dieser Regierung wird die Vorratsdatenspeicherung weiter voran­getrieben. Es kommt der Bundestrojaner im Überwachungspaket, eine Kfz-Kenn­zeichen­erfassung, und jetzt hat der Innenminister auch noch vom Einsatz einer Gesichtserken­nungssoftware gesprochen, ohne zu sagen, wozu oder wie, aber das ist eh normal in der Regierungskommunikation. China und George Orwell lassen grüßen, das ist voll­kommen irre! (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Leichtfried.)

Was die Bundesregierung vorhat, ist eine neue digitale Dimension in einem allum­fas­senden Überwachungsstaat. Die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger wird bald endgültig ein Ende haben. ÖVP und FPÖ führen einen Frontalangriff gegen den liberalen Rechtsstaat und auf unsere Freiheitsrechte durch, und das in diesem Fall offenbar auch ohne jegliche Rechtsgrundlage. Das ist jenseitig und verfassungswidrig, und wir werden das auch nicht durchgehen lassen. (Beifall bei den NEOS.)

Ich finde es auch deshalb wahnsinnig schade – in dem Fall auch als Digitalisierungs­sprecherin meiner Parlamentsfraktion –, weil das schon auch ein Thema ist, bei dem dringend Handlungsbedarf gegeben ist, nämlich die Digitalisierung als Chance zu sehen, auch Europa als den Ort zu sehen, wo man proaktiv auf Regulierungen setzt, die Innovation begünstigen, die Europa auch zu dem Ort machen, wo eine liberale Art und Weise, wie Digitalisierung gelebt werden kann, entsteht und weiter propagiert wird, anstatt die Vorschläge des Rests der Welt, wie aus China oder Russland, zu über­nehmen.

Anstatt diese Herausforderung der Digitalisierung als Chance zu sehen, setzen Sie auf Freiheitseinschränkungen, Überwachung und Zensur. Wir haben es gestern auch noch live im Fernsehen miterleben können, wie auf Kritik eingegangen wird – mit dem Gan­zen geht natürlich auch die Pressefreiheit unter, wenn auf kritische Fragen von Jour­nalisten mit Drohungen geantwortet wird. (Beifall bei NEOS und SPÖ.) Es ist hier nicht nur die Freiheit im Internet in Gefahr, sondern auch die Pressefreiheit und die Mei­nungsfreiheit. Anstatt Europa zum Ort der Freiheit und der Grundrechte zu machen, schränken ÖVP und FPÖ lieber beide ein.

Ahnungslosigkeit mischt sich da auf gefährliche Art und Weise mit einem bedenklichen Verständnis von Demokratie. Jetzt werden wieder Beschwichtigungen kommen, ich bin mir sicher, dass nach mir einige Redner kommen, die sagen: Sie haben das alles falsch verstanden, das ist überhaupt nicht so gemeint, das kommt alles ganz anders!, aber ich sage es Ihnen jetzt: Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht blöd. Wir werden uns das nicht vormachen lassen, denn wenn die Demokratie langsam und leise ver­schwindet und mit ihr Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, dann passiert das natürlich immer leise und in kleinen Schritten – so ist der Weg in den Überwachungsstaat. Wir NEOS werden aber klar sagen: Wir stellen hier ein Stoppschild auf. Mit uns sicher nicht! (Beifall bei den NEOS.)

12.16

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf die Schülergruppe der HBLA Bruck an der Mur recht herzlich im Hohen Haus begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Bundesminister Mag. Blümel, den ich im Hohen Haus herzlich begrüße. – Sie haben das Wort, bitte.